In die­sem par­ti­zi­pa­ti­ven Kon­zept führt der Sou­ve­rä­ni­täts­ver­zicht der Natio­nen — im Gegen­satz zum “Levia­than”, dem Schreck­ge­spenst einer all­mäch­ti­gen “Welt­re­gie­rung” — nicht zu einem Ver­lust der poli­ti­schen Macht. Sie wird ledig­lich ein ein grös­se­res Gan­zes eingebunden.
Durch den Zusam­men­schluss ent­steht ein gemein­sa­mer und ein­heit­li­cher Wil­le, durch den jede Nati­on “als untrenn­ba­rer Teil des Gan­zen” an der gemein­sa­men Sache teil­hat und am Gebrauch die­ser Sache teilnimmt.
(Sämt­li­che Aus­zü­ge aus Alex­an­der von Pech­mann, Die Eigen­tums­fra­ge im 21. Jahrhundert)

In die­sem Fal­le ver­wan­deln sich die Ver­ein­ten Natio­nen durch den Sou­ve­rä­ni­täts­ver­zicht der Staa­ten aus einem bloss for­mel­len und macht­lo­sen Eigen­tü­mer in den wirk­li­chen Eigen­tü­mer der Erde, der von sei­ner Sache, dem Wohl der leben­den und künf­ti­gen Genera­tio­nen, einen unbe­schränk­ten Gebrauch machen kann, weil in ihm die Kräf­te und Res­sour­cen der Natio­nen nun mehr zusam­men­ge­fasst sind. Durch die­sen Zusam­men­schluss bil­den die Ver­ein­ten Natio­nen in der Tat den ein­heit­li­chen Wil­len der Welt­ge­sell­schaft, die “volon­té géné­ra­le”, der zugleich das Ver­mö­gen zukommt, die gemein­sam aner­kann­ten Zie­le tat­säch­lich zu verwirklichen.
Die Gene­ral­ver­samm­lung der Ver­ein­ten Natio­nen ver­wan­delt sich so aus einem Gre­mi­um der Reso­lu­tio­nen in ein gesetz­ge­ben­des Par­la­ment, die Räte der Ver­ein­ten Natio­nen aus Anre­ger und Bitt­stel­ler in eine Welt­exe­ku­ti­ve und die Inter­na­tio­na­len Gerichts­hö­fe in eine sank­ti­ons­be­wehr­te Judi­ka­ti­ve.

Ange­sichts der aktu­el­len Welt­kon­flik­te, des völ­ker­rechts­wid­ri­gen Angriffs Russ­lands auf die Ukrai­ne, des dro­hen­den, noch viel mas­si­ve­ren Kon­flikts zwi­schen den Super­mäch­ten USA und Chi­na, der zuneh­men­den Angrif­fe auf das demo­kra­ti­sche Modell, der Gefahr des schlei­chen­den “umge­kehr­ten Tota­li­ta­ris­mus”, wie ihn Shel­don S. Wolin skiz­ziert, braucht es heu­te eine gehö­ri­ge Por­ti­on Opti­mis­mus, um die­ser Visi­on von Pech­manns eine Rea­li­sie­rungs­chan­ce einzuräumen.

Und doch wird sie sich über kurz oder lang als die ein­zi­ge Alter­na­ti­ve her­aus­stel­len, die das Über­le­ben der “Spe­zi­es Mensch” sichern kann. Wenn man bereit ist, sie ernst­haft und ohne poli­ti­sche Scheu­klap­pen zu prü­fen, muss — wie von Pech­mann sagt — die­ses Bild vom Welt­staat als den in die­ser Wei­se ver­ei­nig­ten Natio­nen der Ver­nunft sym­pa­thisch sein. Denn in ihm ist die läh­men­de Blo­cka­de des Sys­tem sou­ve­rä­ner Natio­nal­staa­ten über­wun­den, das die Lösung der Mensch­heits­pro­ble­me in eine fer­ne und unsi­che­re Zukunft ver­schiebt, ohne dass an des­sen Stel­le die furcht­erre­gen­de Vor­stel­lung eines glo­ba­len Mons­ters tritt, dem alle Welt sich zu unter­wer­fen und zu gehor­chen hat.
Nach die­sem Bild mün­det der Sou­ve­rä­ni­täts­ver­zicht der Natio­nal­staa­ten viel­mehr in eine Rechts­ord­nung, in der die gemein­sa­me  Sache, die Lösung der glo­ba­len und öko­lo­gi­schen Pro­ble­me, durch die täti­ge Par­ti­zi­pa­ti­on der Natio­nen wirk­sam bear­bei­tet wer­den kann. In ihr sind die Natio­nen als Adres­sa­ten der Geset­ze zugleich ihre Autoren. 

Und vor allem: Mit einer sol­chen — durch­aus ®evo­lu­tio­nä­ren — Lösung wür­de die stos­sen­de und letzt­lich absur­de Tat­sa­che, dass die Ver­ein­ten Natio­nen zwar for­mell als die eigen­stän­di­ge Rechts­per­son aner­kannt sind, deren Sache das Wohl der Mensch­heit ist, dass sie aber in Tat und Wahr­heit gelähmt sind und wenig bis nichts zu sagen haben, weil der Gebrauch die­ser Sache … unter dem Vor­be­halt der Sou­ve­rä­ni­tät der Natio­nen steht. 

Zusam­men­ge­fasst: Durch den Ver­zicht auf ihre Sou­ve­rä­ni­tät geben die Natio­nen nur schein­bar ihr kost­bars­tes Gut auf. Viel­mehr wer­den die Natio­nen durch die Ver­ei­ni­gung ihrer Kräf­te recht­lich zu Mit­ei­gen­tü­mern der gemein­sa­men Sache - näm­lich unse­res wun­der­vol­len und kost­ba­ren “blau­en Pla­ne­ten” Erde — um von ihr einen durch die Ver­fas­sung gere­gel­ten gemein­schaft­li­chen und effek­ti­ven Gebrauch zu machen. Die­ser Welt­staat ist somit nichts ande­res als die wirk­lich ver­ein­ten Nationen.

Wie müss­te ein sol­cher Welt­staat nun poli­tisch kon­kret orga­ni­siert sein? Von Pech­mann zitiert als ein mög­li­ches Bei­spiel den Vor­schlag des deut­schen Phi­lo­so­phen Otfried Höf­fe in “Demo­kra­tie im Zeit­al­ter der Glo­ba­li­sie­rung”, die­sen “Welt­staat” als föde­ra­len Bun­des­staat zu kon­zi­pie­ren, inner­halb des­sen die Natio­nal­staa­ten nach dem Prin­zip der Sub­si­dia­ri­tät ihre rela­ti­ve Selb­stän­dig­keit bewah­ren. Das obers­te Organ, die Legis­la­ti­ve, besteht nach die­sem Vor­schlag aus zwei Kam­mern: dem Welt­rat als Ver­tre­tung der Staa­ten und dem Welt­tag als Ver­tre­tung der Bürger.

Da drängt sich natür­lich sofort die Par­al­le­le zum eid­ge­nös­si­schen Stän­de­rat (Staa­ten) und Natio­nal­rat (Bür­ger) auf. Höf­fe sieht aller­dings eine ande­re Auf­ga­ben­auf­tei­lung vor, denn in sei­nem Kon­zept “soll­te die Staa­ten­kam­mer für die völ­ker­recht­li­chen Auf­ga­ben, nament­lich die zwi­schen­staat­li­che Sicher­heit und den zwi­schen­staat­li­chen Frie­den, prio­ri­tär zustän­dig sein, die Bür­ger­kam­mer dage­gen für die welt­ge­sell­schaft­li­chen Auf­ga­ben, nament­lich den sozia­len und öko­lo­gi­schen Weltmarkt”.

Wie gross schätzt von Pech­mann die Chan­ce ein, dass ein solch demo­kra­tisch kon­zi­pier­ter “Welt­staat” kei­ne Fata Mor­ga­na bleibt, son­dern in nicht all­zu fer­ner Zukunft rea­li­siert wird?

Dazu mehr in der nächs­ten Fol­ge am kom­men­den Frei­tag, den 18. August.

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