Angesichts der aktuellen totalen Lähmung der Vereinten Nationen als Folge machtpolitischer Schachzüge der mächtigsten Nationen wirkt es wie ein Hohn, wenn von Pechmann schreibt:
Die Vereinten Nationen existieren aufgrund ihrer Anerkennung als Repräsentant des allgemeinen Willens. Ihre Sache ist das Wohl der gegenwärtigen wie künftigen Menschheit, der sie durch die Sicherung des Weltfriedens, die Ueberwindung der sozialen Kluft zwischen der reichen und armen Welt sowie der ökologischen Krise dienen. Mit ihrem Beitritt hat folglich jede Nation die Verpflichtung übernommen, ihr Handeln nach diesen gemeinsamen Zielen auszurichten.
Besser müsste es heute wohl heissen: … hätte eigentlich jede Nation die Verpflichtung übernommen, .…. , tut es aber in der Regel nicht. Damit sind wir schon beim Kern des Problems:
Ueber die Wege jedoch sowie über die erforderlichen Mittel zur Realisierung dieser Ziele entscheiden nicht die Vereinten Nationen als Repräsentant des allgemeinen Willens. Vielmehr hat jeder Nationalstaat das allgemein anerkannte Recht, souverän, d.h. nach seinen eigenen Vorstellungen, Interessen und Ressourcen, zu entscheiden. Dieses Souveränitätsrecht liegt … dem komplexen und fragilen System der internationalen Verträge zugrunde. Die gegenwärtige “Doppelherrschaft” der Weltgemeinschaft gründet also darin, dass die Vereinten Nationen zwar von den Nationalstaaten rechtlich als legitimer Eigentümer der Erde anerkannt sind, dass aber über den Gebrauch dieser Sache nicht der Eigentümer selbst, sondern die einzelnen souveränen Staaten entscheiden, von deren Willen folglich der Gebrauch abhängt.
Wenn alle Staaten — gross oder klein — sich über die grundsätzliche Stossrichtung ihrer Politik zur Sicherung des Weltfriedens, zu wirtschaftlichen und sozialen Fragen und zur Rettung vor dem ökologischen Kollaps einigen könnten, könnte diese “Doppelherrschaft” Schritt um Schritt aufgelöst werden. Aber das ist reine Theorie, denn es ist offensichtlich, dass in Bezug auf die gemeinsame Sache das Wohl der lebenden wie künftigen Menschheit, die Vorstellungen und Interessen der Nationen nicht nur verschieden, sondern in der Regel auch gegensätzlich sind.
Von Pechmann illustriert das anhand der Fragen, wie ein Weltfrieden erreicht, das wirtschaftliche Wohlergehen aller Nationen gesichert und eine ökologische Katastrophe verhindert werden kann.
♦ Während hinsichtlich des Weltfriedens die militärisch starken Nationen sich dessen Erhaltung von ihrer Aufrüstung erwarten, die (nicht nur) von den militärisch schwachen hingegen als Bedrohung empfunden wird, erwarten die militärisch schwachen Nationen sich die Bewahrung des Friedens umgekehrt eher von der allgemeinen Abrüstung, die von den starken jedoch als Risiko der Friedenssicherung beurteilt wird.
Das zeigt sich nirgends klarer als beim Versuch der 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten “Internationalen Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen” ICAN, einen völkerrechtlich Vertrag zu erreichen. 122 vorwiegend schwache und arme Nationen in Afrika, Lateinamerika und Asien stimmten einem solchen Vertrag zu. Jene reichen Nationen, die ihr Nuklearpotential als Garant für ihre Stärke und Souveränität betrachten, boykottierten die Verhandlungen und verweigerten die Zustimmung.
♦ Während die ökonomisch reichen Nationen sich die Entwicklung der armen Nationen von deren Oeffnung für den Weltmarkt erwarten, die von diesen hingegen als Gefahr ihres Ausverkaufs gesehen wird, erwarten die armen Nationen ihre ökonomische Kontrolle eher von der nationalen Kontrolle oder Schliessung ihrer Märkte, die von den reichen jedoch als Verhinderung ihrer Entwicklung gesehen werden.
♦ Während die höher entwickelten Nationen sich die Lösung ökologischer Probleme vor allem von der Erfindung neuer Technologien erwarten, drängen weniger entwickelte Nationen auf die Erhaltung traditionell nachhaltiger Produktionsstrukturen.
Kurz: Die gegenwärtige Situation ist für eine gewichtigere Rolle der Vereinten Nationen im Weltkonzert aussichtslos.
Es ist nicht absehbar, wie die Gegensätze durch eben diese Gegensätze überwunden werden sollten. Es ist, als wolle man Feuer mit Benzin löschen. Dieser lähmende Widerspruch zwischen dem gemeinsamen Ziel und den entgegengesetzten Wegen zu diesem Ziel kann letztlich jedoch nur dadurch gelöst werden, dass entweder das gemeinsame Ziel aufgegeben wird und jeder Staat nur mehr sein eigenes nationales Interesse verfolgt, — oder aber dass die Nationalstaaten zugunsten des gemeinsamen Ziels auf das Recht ihrer souveränen Wahl des Wegs verzichten.
Im Fall eines solchen Verzichts übertragen die Nationalstaaten ihre Entscheidungs- und Verfügungsmacht auf die Vereinten Nationen als anerkannten Eigentümer der Erde. Mit dieser Uebertragung aber erhalten die Vereinten Nationen zugleich die Macht und die Mittel, um von ihrer Sache, dem Wohl der lebenden wie künftigen Menschheit, einen effektiven Gebrauch zu machen. Sie werden so aus einem machtlosen zu einem machtvollen Eigentümer der Erde.
Angesichts dieses Gedankenspiels tauchen natürlich jede Menge Fragen und Befürchtungen auf, z.B.
— Wer hat in diesem Fall die Entscheidungsgewalt inne?
— Steuern wir damit vielleicht auf das von Verschwörungstheoretikern vielbeschworene “One World Government” zu, ein Orwell’sches “1984″ Version 3.0 oder die Huxley’sche “Brave New World”?
Man darf auf die Ueberlegungen von Pechmanns dazu in den nächsten Folgen gespannt sein, — und dies wie immer am kommenden Freitag, den 14. Juli.
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