Es wur­de mit Recht gesagt, dass jedes Reich durch eine höhe­re Mis­si­on geschaf­fen wur­de. Euro­pa muss ein Reich wer­den, ob es nun die­sen Namen trägt oder nicht. Als gros­ser Markt wird es kei­ne Dau­er haben. Sucht man nach die­ser Idee, wird man sie in der euro­päi­schen Geschich­te fin­den. Euro­pa war jeweils in sei­nen reich­li­chen Peri­oden gross. …

Reich … heisst, dass neben oder über dem ter­ri­to­ri­al begrenz­ten Sou­ve­rä­ni­täts­be­griff eine staat­li­che, gesell­schaft­li­che und geis­ti­ge Ord­nung besteht, die nicht auf Herr­schaft, son­dern auf Recht, nicht auf Befehl, son­dern auf eine rich­ten­de und schlich­ten­de Auto­ri­tät zielt; die sich nicht von der Ein­set­zung durch mensch­li­che Will­kür ablei­tet, son­dern auf gött­li­chem Ursprung beruht. … Das Kon­zept einer über­na­tio­na­len Rechts­ord­nung, die über den Ras­sen und Klas­sen steht und daher den Schwa­chen vor dem Star­ken schützt, war in der Geschich­te zahl­rei­chen Angrif­fen aus­ge­setzt. Obwohl auch heu­te noch nicht von allen ver­stan­den, setzt eine Rück­be­sin­nung auf die­se Idee ein, die sich nicht als Aus­druck irgend­ei­ner Reichs­ro­man­tik abtun lässt, son­dern ein Gebot des Über­le­bens im Zeit­al­ter der Atom­waf­fen ist.

Die­se hoff­nungs­vol­len Wor­te, dass der Reichs­ge­dan­ke nicht auf den Abfall­hau­fen der Geschich­te gehört, stam­men von Otto von Habs­burg, dem ältes­ten Sohn Karls I., letz­ter noch regie­ren­der Kai­ser von Öster­reich und König von Ungarn, Böh­men und Kroa­ti­en. OvH starb 2011 fast hun­dert­jäh­rig, und sein Leben war zu einem guten Teil dem Bemü­hen gewid­met, die Reichs­idee in Euro­pa nicht ster­ben zu las­sen. Bis 2004 stand er über 30 Jah­re lang der von Richard Cou­den­ho­ve-Kal­er­gi gegrün­de­ten Pan­eu­ro­pa-Uni­on als Prä­si­dent vor und er ver­trat die CSU 20 Jah­re lang im Euro­päi­schen Parlament.

Wenn man ein Spröss­ling der jahr­hun­der­te­al­ten Habs­bur­ger Dynas­tie ist — die ihren Ursprung bekannt­lich im Elsass hat -, ist es nicht ver­wun­der­lich, dass er poli­tisch stramm kon­ser­va­ti­ve Ideen ver­trat. Er war ein erbit­ter­ter Geg­ner sowohl des Kom­mu­nis­mus als auch des Natio­nal­so­zia­lis­mus und war sowohl mit Fran­k­lin Roo­se­velt als auch Win­s­ton Chur­chill befreun­det. Sei­ne “Habs­bur­ger Bril­le” ver­stell­te ihm aller­dings regel­mäs­sig eine objek­ti­ve Sicht auf geschicht­li­che Ent­wick­lun­gen in der Nach­kriegs­zeit. So betrach­te­te er die Wahl des sozia­lis­ti­schen Wil­ly Brandts 1969 zum Bun­des­kanz­ler in Deutsch­land als mitt­le­re Kata­stro­phe, und er konn­te in Michail Gor­bat­schow ledig­lich einen Wolf im Schafs­pelz sehen.

Trotz­dem lohnt es sich, sei­nen Aus­füh­run­gen zu einem künf­ti­gen euro­päi­schen Reich noch etwas wei­ter zu fol­gen. Im Schluss­wort sei­nes Buches “Die Reichs­idee. Geschich­te und Zukunft einer über­na­tio­na­len Ord­nung” hält er u.a. fest:
Wir Pan­eu­ro­pä­er tre­ten … für »eine gewis­se Idee von Euro­pa« ein. Wie jeder gro­ße Begriff umfaßt näm­lich das Wort »Euro­pa« ver­schie­de­ne Rea­li­tä­ten. Für mich ist er untrenn­bar ver­bun­den mit den christ­li­chen Gebo­ten, mit Tole­ranz und Viel­fäl­tig­keit, sowie der geis­ti­gen Begrün­dung des Han­delns im öffent­li­chen Leben. Eine poli­ti­sche Dis­kus­si­on, die zu Ende geführt wird, muß zwangs­läu­fig in der Theo­lo­gie mün­den. Die­se gibt näm­lich die letz­te Recht­fer­ti­gung mensch­li­cher Insti­tu­tio­nen, die Ant­wort auf die Fra­ge, war­um wir über­haupt auf die­ser Erde sind. Erst unter die­ser Per­spek­ti­ve hat die Poli­tik ihren Sinn.

Viel zu oft wird heu­te über Wirt­schaft und sozia­le Pro­ble­ma­tik, über Macht und deren Aus­übung die geis­ti­ge Dimen­si­on ver­ges­sen. Das ist übri­gens ein Feh­ler, der eben­so rechts wie links gemacht wird. … Der euro­päi­sche Gedan­ke ist tief im Chris­ten­tum ver­wur­zelt. Daher die Erkennt­nis, daß es ohne eine reli­giö­se Erneue­rung kei­ne euro­päi­sche Zukunft geben kann. Hier wird uns aller­dings ent­ge­gen­ge­hal­ten, heu­te, gegen Ende des zwan­zigs­ten Jahrund­er­ts, sei mit der reli­giö­sen Idee nichts mehr anzu­fan­gen. Die Kir­chen hät­ten sich geleert, der Glau­be schwin­de, ein neu­es, nicht mehr gott­ver­bun­de­nes Zeit­al­ter sei ange­bro­chen. Wer das sagt, hat den Blick für die gro­ßen Zusam­men­hän­ge ver­lo­ren und schätzt daher die Gege­ben­hei­ten falsch ein. Es ist leicht, die Vor­bo­ten mit der Nach­hut zu ver­wech­seln. Wir erle­ben heu­te nicht die Vor­zei­chen einer mate­ria­lis­ti­schen Ära, son­dern die letz­ten Zuckun­gen einer ster­ben­den Epoche. …

In die­ser Per­spek­ti­ve müs­sen wir unse­re Euro­paar­beit sehen. Wir kön­nen fest­stel­len: Opti­mis­mus ist durch­aus berech­tigt, weil das ech­te Euro­pa einen christ­li­chen Gedan­ken ver­kör­pert und die Zukunft der Reli­gi­on gehört. Unse­re Bedürf­nis­se kann der Markt allein nicht befrie­di­gen. Euro­pa ist nicht an ers­ter Stel­le ein Wirt­schafts­ge­bil­de, son­dern eine geis­ti­ge Grö­ße. Das haben übri­gens schon sei­ner­zeit die gro­ßen Väter der euro­päi­schen Eini­gung gewußt. Cou­den­ho­ve-Kal­er­gi, ein Mann von unheim­li­chem Klar­blick, ent­wi­ckel­te ein tie­fes Ver­ständ­nis für unser christ­li­ches Erbe. Er erkann­te die geis­tig-reli­giö­se Auf­ga­be Euro­pas. Dabei war Cou­den­ho­ve kein Christ im enge­ren Sin­ne des Wortes.

Und er schliesst mit einem flam­men­den Appell:
Die Zukunft unse­res Erd­tei­les, der Frie­de zwi­schen unse­ren Völ­kern, die Wei­ter­ent­wick­lung unse­rer Kul­tur wer­den davon abhän­gen, ob es gelingt, die nach uns kom­men­de Genera­ti­on zu moti­vie­ren. Ich glau­be an die jun­ge Genera­ti­on. Sie ist bes­ser als der Ruf, den man ihr anhängt. Mit Got­tes Hil­fe kann sie das Werk vollenden.

Ange­sichts der seit dem Tode Otto von Habs­burg noch galop­pie­ren­de­ren Zunah­me von Kir­chen­aus­trit­ten in allen christ­li­chen Kon­fes­sio­nen scheint sei­ne Hoff­nung auf die Wie­der­auf­er­ste­hung eines von christ­li­chen Wer­ten gepräg­ten Rei­ches reich­lich illu­so­risch und vor unse­ren Augen defi­ni­tiv zu zerbröckeln.

Und vor allem stellt sich die grund­le­gen­de Fra­ge: Von wel­chem Chris­ten­tum wir hier über­haupt gespro­chen? Dazu ein paar Überlegungen

am kom­men­den Frei­tag, den 24. Sep­tem­ber.

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