Die Erkennt­nis der Natur als hoch­kom­ple­xes, dyna­mi­sches Sys­tem im Gleich­ge­wicht ist noch längst nicht in allen Köp­fen ver­an­kert. Auch nicht die sich dar­aus erge­ben­de Tat­sa­che, dass der Mensch nicht ein­fach ein aus­sen­ste­hen­der Beob­ach­ter und Ana­ly­ti­ker natür­li­cher Pro­zes­se ist, son­dern sel­ber ein Teil der Natur,
sodass alle mensch­li­chen Akti­vi­tä­ten und Hand­lun­gen nichts ande­res sind als Momen­te der irdi­schen Ener­gie- und  Stoff­kreis­läu­fe, die den­noch in die­se Kreis­läu­fe ein­grei­fen, auf die der Mensch jedoch ange­wie­sen ist.
(Sämt­li­che Aus­zü­ge aus Alex­an­der von Pech­mann, Die Eigen­tums­fra­ge im 21. Jahrhundert)

Das gegen­wär­ti­ge Wis­sen­schafts­sys­tem trägt der Tat­sa­che, dass wir Men­schen in die­ses dyna­mi­sche Sys­tem voll ein­ge­bun­den sind, immer noch erst am Ran­de Rech­nung. Der berühm­te eng­li­sche Che­mi­ker, Arzt und Bio­phy­si­ker James Love­lock, der zusam­men mit der ame­ri­ka­ni­schen Bio­lo­gin Lynn Mar­gu­lis die sog. Gaia-Hypo­the­se ent­wi­ckel­te und 2022 im Alter von 101 Jah­ren gestor­ben ist, brach­te sei­ne Kri­tik so auf den Punkt:
Seit eini­ger Zeit habe ich das Gefühl, dass die Uni­ver­si­tä­ten so gefähr­lich wer­den wie die frü­he Kir­che (gegen­über Gali­lei). Da gibt’s Duzen­de von Sek­ten …: Wenn man Che­mi­ker ist, weiss man oft nichts über Bio­lo­gie und so wei­ter und so fort. Aus die­sem Grund ist die nor­ma­le Uni­ver­si­täts­wis­sen­schaft nicht wirk­lich hilf­reich, denn die Abtei­lung, die sich mit Algen befasst, ist nicht die glei­che wie die, die sich mit Methyl­jo­did befasst. Es ist eine Ein­tei­lung in Bits. Es ist an der Zeit, dass die Uni­ver­si­tä­ten revo­lu­tio­niert wer­den und viel kol­lek­ti­ver den­ken. Erstaun­lich, wie vie­le Ein­wän­de es gegen Gaia gibt. Ich fra­ge mich, inwie­weit man das auf die Koh­le- und Ölin­dus­trie zurück­füh­ren kann, die gegen alles gekämpft haben, was schlecht für sie ist. (Aus­zug aus einem 2020 im Guar­di­an, Der Frei­tag erschie­ne­nen Inter­view. Der gan­ze span­nen­de Text “Nie­mand ver­steht Gaia” kann hier als PDF  her­un­ter­ge­la­den werden)

Inter­es­san­ter­wei­se waren die ers­ten, wel­che rea­li­sier­ten, wie sehr wir Men­schen in das fra­gi­le Gleich­ge­wicht auf Erden ein­ge­bun­den sind, Astro­nau­tin­nen und Astronauten:
In sei­ner Betrach­tung von aus­sen erkann­ten (sie), dass sie, als Betrach­ter der Erde, selbst dem betrach­te­ten Bild zuge­hör­ten. Der soge­nann­te Over­view-Effekt wur­de … über­ein­stim­mend von Raumfahrer:innen beschrie­ben. Sei­ne grund­le­gen­den Merk­ma­le sind dem­nach ein Gefühl der Ehr­furcht, ein Ver­ste­hen der Ver­bun­den­heit allen Lebens auf der Erde und ein neu­es Emp­fin­den der Ver­ant­wor­tung für die Umwelt.

Sie erkann­ten auch, dass wir den Begriff “öko­lo­gi­sche Kri­se” wei­ter fas­sen müs­sen als bis­her. Wir ver­bin­den ihn vor allem mit Vor­fäl­len wie die Exxon Val­dez-Umwelt­ka­ta­stro­phe oder die Ölpest im Golf von Mexi­co, oder die Mikro­plas­tik in den Welt­mee­ren, ohne uns wirk­lich bewusst zu sein, dass sie sich inzwi­schen nicht mehr
auf loka­le oder regio­na­le Ein­grif­fe oder Zer­stö­run­gen öko­lo­gi­scher Sys­te­me (bezieht), die immer wie­der statt­ge­fun­den haben, son­dern auf die neue Qua­li­tät der Gefähr­dung des irdi­schen Gesamt­sys­tems durch das räum­lich glo­ba­le und zeit­lich ste­tig wach­sen­de Sys­tem der Pro­duk­ti­on und Kon­sum­ti­on sowie auf die Rück­wir­kun­gen der Gefähr­dung auf die­ses Sys­tem. Die­se neue Qua­li­tät der Ein­grif­fe ist mit dem Begriff des Anthro­po­zäns” als einem neu­en Erd­zeit­al­ter bezeich­net worden.

Doch mit die­ser neu­en Qua­li­tät ist die öko­lo­gi­sche Kri­se nur benannt. Es bleibt jedoch unge­klärt, wie eine sol­che Qua­li­tät über­haupt mög­lich ist. Denn wenn man davon aus­geht, dass der Mensch, wie gesagt, ein Teil der Natur ist und die mensch­li­chen Akti­vi­tä­ten folg­lich selbst Bestand­tei­le des irdi­schen Stoff­wech­sels sind, dann schei­nen sie in die­sen Stoff­wech­sel nicht ein­grei­fen und ihn stö­ren zu kön­nen, da sie ja des­sen inte­gra­le Bestand­tei­le sind.
Geht man umge­kehrt jedoch davon aus, dass die mensch­li­chen Akti­vi­tä­ten, wie gleich­falls gesagt, in die irdi­schen Kreis­läu­fe ein­grei­fen und sie zer­stö­ren, dann kön­nen sie nicht zugleich inte­gra­le Bestand­tei­le die­ses Kreis­lauf­sys­tems sein, gera­de weil sie ein­grei­fen. Und doch muss man bei­des, Teil und Nicht-Teil, zusam­men­den­ken, um einen adäqua­ten Begriff der öko­lo­gi­schen Kri­se bil­den zu können.

Die­ser Apo­rie, die­sem unauf­lös­ba­ren Wider­spruch gehen wir in der nächs­ten Fol­ge am kom­men­den Frei­tag, den 20. Janu­ar nach.

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