Alexander von Pechmann zieht den Schluss aus den vorhergegangenen Ausführungen, dass der Begriff “Eigentum” nicht von vornherein klar definiert ist:
Wer als Eigentümer anerkannt wird, was die Sache ist, die ihm rechtlich zugehört, und welcher Gebrauch ihm rechtlich zuerkannt wird, ergibt sich nicht aus dem Begriff selbst; sie hängen von der jeweiligen Willensgemeinschaft ab, in der dieses Recht gilt.
Hinsichtlich des privaten Eigentums können daher alle oder einige Menschen oder auch nur Einer (Gott) als die Rechtsperson anerkannt sein, der die Sache innerlich und exklusiv zugehört. Hinsichtlich des Gemeineigentums hingegen ist es ein bestimmtes Kollektiv; dieses kann entweder eine politische Gemeinschaft … oder eine Produktions- oder Nutzungsgemeinschaft als Betrieb oder Genossenschaft sein.
((Sämtliche Auszüge aus Alexander von Pechmann, Die Eigentumsfrage im 21. Jahrhundert)
Je nach Eigentumsordnung steht dann z.B. das Recht auf beliebigen Gebrauch und Vermehrung einer Sache, oder die Pflicht, damit dem Gemeinwohl zu dienen, im Vordergrund. Welche Ordnung gilt, richtet sich nach den Prioritäten, die sich eine Gesellschaft setzt:
Die Anerkennung der einen oder anderen Eigentumsordnung durch eine rechtsetzende Willensgemeinschaft hängt … offenbar davon ab, ob in ihr die ökonomischen Fragen der Effizienz und Produktivität oder die ethisch-moralischen Fragen der sozialen Gerechtigkeit im Zentrum der politischen Problembearbeitung stehen.
Was sind die Vor- und Nachteile des privaten Eigentumsrechts verglichen mit dem Gemeineigentum?
Der Vorteil des privaten Eigentumsrechts besteht darin, dass der Gebrauch der Sache klar geregelt ist. Es herrscht ein Wille, der Wille des Eigentümers.
Diesen Vorzug hatte schon Aristoteles in Auseinandersetzung mit Platon benannt: Wenn jedem das Seine zukommt …, werde der Streit um die Sache wegfallen; und wenn jeder für das Seine sorgt, werde man mehr zustande bringen, da jeder nach seinem Nutzen strebe.
Dass Aristoteles durchaus klar sah, zeigt sich z.B. am Debakel der landwirtschaftlichen Zwangskollektivierung in der Sowjetunion. Die zwangskollektivierten Bauern trauerten ihrem Eigentum nach, was zu notorisch schlechten Erträgen der Kolchosen führte.
Der grosse Nachteil des privaten Eigentums ist die Spaltung des Gemeinwesens in zwei soziale Klassen: Eigentümer und Nichteigentümer, Arme und Reiche. Soziale Spannungen sind programmiert.
Der Vorteil des Gemeineigentums ist die Verhinderung dieser Spaltung. Kein Mitglied der Gemeinschaft ist rechtlich vom Gebrauch der Sache ausgeschlossen. Beispiele dafür sind etwa die anarchistischen Gemeinden in Spanien vor dem Bürgerkrieg oder die Kibbuz-Bewegung in Israel.
Der Nachteil liegt in der zu lösenden Frage, wie der Gebrauch der Sache nach einem einheitlichen Willen geschehen kann. Das Scheitern der kommunistischen Experimente in der Sowjetunion, in Jugoslawien und in China zeugt von der Schwierigkeit, eine gerechte und effiziente Lösung zu finden.
Beide Eigentumsordnungen haben aber doch einen gemeinsamen Nenner: Die Sachen in ihrem Gebrauch dienen den menschlichen Zwecken …, seien sie der individuelle Nutzen, das Gemeinwohl oder die Wohlfahrt aller.
Und dann weist von Pechmann auf einen Aspekt hin, der bis jetzt in der Diskussion überhaupt keine Rolle spielte, der heute aber von immer zentralerer Wichtigkeit wird:
... die ökologische Dimension, nach der die äusseren Gegenstände, die rechtlich zur Sache des Eigentums werden, nicht nur Ressourcen und Mittel sind, um menschliche Zwecke zu realisieren, sondern dass sie auch integrale Bestandteile der aussermenschlichen Natur sind. (…) Mit der ökologischen Krise der Gegenwart … lässt sich die Eigentumsfrage … nicht mehr ohne den Rekurs auf die Natur und damit auf das Verhalten des Menschen zur Natur angemessen beantworten.
Womit wir endlich in Sachen Eigentum in der Gegenwart angekommen sind.
Dazu mehr in der nächsten Folge am Freitag, den 2. Dezember.
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Louis Kuhn
Nov 27, 2022
Unabhängig von der Frage, was besser sei: Privateigentum oder Gemeineigentum, kann ein Blick auf eine „lustige“ Geschichte von Gogol (1809–1852), “Die Toten Seelen”, einer/m die Augen für einen anderen interessanten Aspekt öffnen. Zuerst die Story (z.T. nach Wikipedia): Der Protagonist des Romans, Tschitschikow, ist entschlossen, sich mit allen Mitteln zu bereichern. Er entdeckt, dass er Bankdarlehen vom Staat gegen die Bürgschaft für Leibeigene (russische Sklaven), in bürokratischer Sprache “die Seelen” erhalten kann. Da er, der gelernte Bürokrat, keine besitzt, reist er in die Provinzen, um jene Gutsbesitzer zu suchen, denen nach der letzten Volkszählung Knechte/innen gestorben sind, für die sie bis zur nächsten Zählung noch Steuern zahlen müssen. Um nicht Steuern für sie zahlen zu müssen, verkaufen sie sie ihm für billiges Geld. Bei den Behörden, die ja nicht wissen, dass sie in Wirklichkeit gar nicht mehr existieren, lässt er sie nun als sein Eigentum registrieren – natürlich mit einem viel höheren, „lebendigen“ Wert. Aufgrund seines nun enorm angewachsenen Vermögens in Form registrierten „lebendiger“ Seelen erhält er nun riesige Kredite von den Banken, um weiter zu spekulieren
Der Trick von Tschitschikow funktioniert, weil in Wirklichkeit Tote im Register noch weiter “leben“. Und nicht nur korrupte Bürokraten, sondern auch wir, bereit sind, Registern, Grundbucheinträge, Darstellungen der Wirklichkeit, (in Verträgen) auf dem Papier, im Geld, mehr zu vertrauen als der Wirklichkeit selbst. Auf diese Weise kann man in ungeahnter Weise Menge von (Grund)eigentum anhäufen, das „man“ selber real gar nicht besitzen, geschweige denn bearbeiten kann und will. Kommt hinzu, dass wir an juristische Personen (z. B. AGs) glauben, die effektiv, im Gegensatz zu wirklichen sterblichen Personen, Fiktionen von „ewigen Personen“, auf dem Papier, sind.
Ein Peruaner, De Soto, hat in El misterio del Capitalismo gezeigt, wie der Kapitalismus im Hinblick auf das Grundeigentum funktioniert: man muss Immobilien auf einem Plan, Register darstellen, dann kann man die Immobilien, nun in Form von Papieren, mobil machen und handeln, verschieben, verschachern. Noch raffinerter wird es, wenn man das wirkliche flache Land in Plänen (auf dem Papier) zu Hochhauszonen auf“wertet“. Es soll mir keine/r sagen, dass er nicht daran glaubt. Angesichts eines solchen grundlegenden Glaubenscredos- bzw. dem damit verbundenen monetären Kredit- und Schuldensystems, verblasst der Unterschied zwischen Privat- und Staatskapitalismus praktisch gänzlich.