Worin liegt der Unterschied zwischen den erwähnten Formen des Gemeineigentums in der letzten Folge und einer sozialistischen Eigentumsordnung, wie sie im 20. Jahrhundert im Ostblock oder in China zu finden war?
Ganz einfach: Sie verstand sich als klare Alternative zum bürgerlich-kapitalistischen Eigentum und konstituierte sich durch eine revolutionäre, historisch neue Willens- und Rechtsgemeinschaft, in deren Zentrum das Gemeineigentum an den gesellschaftlichen Produktionsmitteln stand. (Sämtliche Auszüge aus Alexander von Pechmann, Die Eigentumsfrage im 21. Jahrhundert)
John Locke begründete das Recht auf Eigentum mit dem Bild des gepflückten Apfels: Ein Gegenstand — der Apfel — wird deshalb zum privaten Eigentum, weil ich durch meine Arbeit — das Pflücken — etwas Eigenes hinzugefügt habe.
Nur: wenn der Apfelbaum nicht mir gehört, was dann?
Es war Karl Marx, welcher der erst einmal einleuchtenden Apfelgeschichte den Todesstoss versetzte. Er hielt dagegen, dass in der Realität der Wertschöpfungsprozess kein einsamer, vereinzelter Akt wie etwa das Pflücken eines Apfels sei, sondern ein gesellschaftlicher, arbeitsteiliger und kooperativer Vorgang der Güterherstellung, und in ihr bestehe keine Identität von Arbeiter:in und Eigen-tümer:in, sondern ein Gegensatz zwischen der Klasse der Arbeiter:innen einerseits und der Klasse der Privateigentümer:innen der Produktionsmittel andererseits. Daher werde, was durch die gesellschaftliche Arbeit an Mehrwert produziert wird, durch die Eigentümer privat angeeignet.
Diesen sozialen Gegensatz von Arbeit und privatem Eigentum drückte Marx mit dem Begriff der Entfremdung aus: Das durch die Arbeit geschaffene Produkt ist — entgegen Lockes Annahme — nicht das Eigentum der Arbeiter:innen; es tritt ihnen vielmehr in Form des privaten Eigentums als eine fremde, sein Leben beherrschende Macht gegenüber.
Eine Alternative wäre gewesen, dieses kapitalistische Eigentum zugunsten des durch eigene Arbeit erworbene Eigentum abzuschaffen. Diese Ansicht vertrat der französische Frühsozialist Pierre-Joseph Proudhon. Bekannt ist das Motto, das er der ersten Ausgabe seiner Zeitung “Le Représentant du Peuple. Journal des travailleurs” voranschickte:
“Was ist der Produzent? Nichts? Was sollte er sein? Alles. Was ist der Kapitalist? Alles. Was sollte er sein? Nichts”
(Wer die Französische Revolution im Geschichtsunterricht nicht verschlafen hat, erinnert sich sicher noch an den berühmten Ausspruch des Abbé Sieyès aus seiner Schrift: Was ist der Dritte Stand?: “1. Was ist der Dritte Stand? — Alles. 2. Was ist er bisher in der politischen Ordnung gewesen? — Nichts. 3. Was fordert er? — Etwas zu sein.” Damit half er bekanntlich mit, in Frankreich den grossen Umsturz in die Wege zu leiten.)
Proudhon war nicht gegen das Privateigentum an sich, aber gegen Privateigentum als Privileg oder Monopol:
“Solange Eigentum Privilegien birgt, solange bedeutet privilegiertes — also erpresserisches Eigentum Diebstahl.” Man dürfe ausser den persönlichen Arbeitsmitteln lediglich diejenigen Güter besitzen, die man durch eigene oder kollektive Arbeit hergestellt oder im Tausch dafür erworben hat. Ausbeutung der Arbeitskraft anderer gehöre unterbunden, um die daraus resultierende Kapitalanhäufung und Machtkonzentration zu verhindern. (Wikipedia)
Proudhons Idee lief auf die Schaffung einer agrarischen und handwerklichen Zivilisation hinaus. Angesichts der rasch voranschreitenden Industrialisierung verbunden mit der Entstehung einer neuen Klasse, des Proletariats, verhöhnte Karl Marx dessen soziale Vorstellungen als “kleinbürgerlichen Sozialismus”. Er forderte, dass nicht der Einzelne die Früchte seiner Arbeit als sein Eigentum geniessen dürfe, sondern dass an die Stelle der “Diktatur der Bourgeoisie” — die Klasse der privaten Eigentümer des erarbeiteten Reichtums — die “Diktatur des Proletariats” zu treten habe, in der die gesellschaftlichen Produzenten kollektive Eigentümer des von ihnen produzierten Reichtums sind.
Im Oktober/November 1917 übernahmen bekanntlich Marxens radikalste Jünger, die Bolschewiki unter der Führung Lenins und Trotzkis, in Russland die Macht. Und sie verkündeten sogleich:
“Das Recht auf Privateigentum an Grund und Boden wird für immer aufgehoben, der Boden darf weder verkauft noch gekauft, verpachtet, verpfändet oder auf irgendeine Weise veräussert werden. Der gesamte Boden … wird entschädigungslos enteignet, zum Gemeingut des Volkes erklärt und zur Nutzung all denen übergeben, die ihn bearbeiten.”
Das Recht auf persönliches Eigentum, das den individuellen Bereich des Güterkonsums erfasst, tasteten die Bolschewiki allerdings nicht an. Völlig umgebaut und neu gestaltet sollte hingegen die Verfügungsgewalt über den natürlichen Reichtum und dessen produktive Nutzung werden, — zuhanden des arbeitenden Volkes.
Allerdings drängte sich sogleich die Frage auf, wie genau diese Verfügungsgewalt des arbeitenden Volkes in die Praxis umzusetzen sei.
Dazu mehr in der nächsten Folge wie immer am kommenden Freitag, den 3. November.
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Franz Büchler
Okt 29, 2022
»Verlassen Sie mein Land!«, fordert der Landbesitzer einen Fremden auf.
Worauf ihn der Fremde fragt, woher er denn sein Land habe.
»Von meinem Vater«, war die Antwort.
»Und woher hatte der es?«
»Von seinem Vater und der von seinem Vater und so weiter!«
»Aber der eine Ihrer Vorfahren, der es als Erster besessen hat, wie ist er an das Land gekommen?«
»Er hat mit jemandem um das Land gekämpft!«
»Gut«, sagte der Fremde, »dann werde ich mit Dir um das Land kämpfen.
Wenn es in Ordnung war, das Land so in Besitz zu nehmen, dann muss es auch in Ordnung sein, es auf dieselbe Weise zurückzuerobern. Und wenn es nicht in Ordnung war, nun, dann sollte es zurückerobert werden.«
Autor unbekannt