Beim Eintauchen in das Buch “Die Eigentumsfrage im 21. Jahrhundert” von Alexander von Pechmann wurde sich der birsfaelder.li-Schreiberling bald einmal bewusst, wie dürftig es um sein Wissen bestellt ist, wenn es um Fragen wie “Was ist denn eigentlich Eigentum?” geht. Es wäre ihm z.B. nicht im Traum eingefallen, dass man für die Klärung solcher Fragen präzise zwischen “Besitz” und “Eigentum” unterscheiden muss:
Die gewöhnliche Vermischung der beiden Kategorien bringt nicht nur eine verwirrende Vielfalt von Vorstellungen von dem hervor, was “Eigentum” sei, sondern sorgt auch für eine Unklarheit hinsichtlich dessen, worauf die Eigentumsfrage zielt. Es ist unseres Erachtens daher von entscheidender Bedeutung, zunächst festzustellen, wodurch und worin die beiden Kategorien, der Besitz und das Eigentum, verschieden sind.
Von Pechmann spricht von “Besitz” als einem empirisch-deskriptiven Begriff. Er bezieht sich auf ein tatsächliches Verhalten des Menschen zu äusseren Dingen, auf Ereignisse und Zustände in der raumzeitlichen Welt, die uns durch die Sinne gegeben sind. “Eigentum” hingegen ist eine Kategorie des Rechts, ein normativer Begriff: er schreibt vor, was sein soll; er beschreibt nicht, was ist, sondern was gilt. Und das, was gilt, ist in Texten niedergelegt, die diese Geltung bedeuten.
Bleiben wir vorerst beim Besitz. Er bezeichnet das Verhältnis der Gewalt eines willentlichen Subjekts gegenüber einem ihm äusseren, willenlosen, mobilen wie immobilen Gegenstand … Er dauert, solange der Wille besteht, die tatsächliche Gewalt auszuüben. Und der erlischt, wenn der Wille oder die Kraft erlischt, diese Gewalt über den Gegenstand auszuüben. Der Besitz (possessio) ist demnach ein zeitlich befristetes Verhalten des Menschen zu einem ihm äusseren Gegenstand, das einen Anfang und ein Ende hat, und das durch die Ausübung der Gewalt über ihn gekennzeichnet ist.
Der Schreiberling hat sich das anhand seiner Bibliothek klar gemacht: Er hat bei Bider & Tanner ein Buch gekauft, stellt es an einen bestimmten Ort und nimmt es nach Lust und Laune zum Lesen hervor — oder auch nicht. Solange es dort steht, darf es ihm niemand wegnehmen. Aber sobald er es in die Telefonkabine an der Schulstrasse steckt, macht er damit klar, dass sein Wille, seine Gewalt über den Gegenstand auszuüben, erloschen ist — und damit auch der Besitzanspruch auf das Buch.
Sinn und Zweck des Besitzes ist in der Regel, von dem äusseren Gegenstand Gebrauch zu machen. Dem Besitz kommt folglich eine teleologische Struktur zu. … Daher ist die Gewalt, die über ihn ausgeübt wird, nicht blind, sondern zielgerichtet und zweckmässig, und die unmittelbare physische Einwirkung auf den Gegenstand ist durch den Zweck bestimmt, der durch sie erreicht wird. … Der Besitz besteht deshalb in der Regel solange, solange der Gegenstand seinem Besitzer oder Besitzerin nützlich ist, sie ihn als Mittel für gewisse Zwecke brauchen. Wird er für sie nutzlos, schwindet der Wille, ihn zu besitzen, d.h. ihn in seiner Gewalt zu haben, — ausser man hat das Messie-Syndrom entwickelt …
Grundsätzlich dient Besitz der Erhaltung oder Erreichung eines guten Lebens, — wenigstens auf der materiellen Ebene.
Es gilt nun aber auch zwei Arten des Besitzes zu unterscheiden: die Bereiche der Produktion und der Konsumtion.
Im Falle der Produktion dient der Besitz der Herstellung von nützlichen Gütern. Er beginnt mit der Inbesitznahme gegebener natürlicher Dinge; er besteht in der gewaltsamen Umwandlung dieser natürlichen Dinge in für den Menschen nützliche Güter durch die Arbeit (Produktion); und er endet mit deren Fertigstellung.
Im Falle der Konsumtion hingegen dient der Besitz dem Gebrauch der nützlichen Güter. Er beginnt mit deren Inbesitznahme; er besteht in ihrem Genuss (Konsumtion); und er endet, wenn die Güter ihren Nutzen erfüllt haben, verzehrt oder nutzlos geworden sind.
Der Besitz als solcher … besteht im Gebrauch der besessenen Gegenstände als Mittel, um durch sie und mit ihnen gewisse Zwecke zu verwirklichen. Hinsichtlich des Zwecks jedoch ist es von grundlegender Bedeutung, ob der Besitz, d.h. die tatsächliche Gewalt über die Gegenstände, darin besteht, nützliche Güter herzustellen, oder ob er darin besteht, diese Güter zu gebrauchen, da für ihre Produktion eine andere Art von Gesetzen und Regeln erforderlich ist als für ihre Konsumtion.
Auf der einen Seite gilt, dass nützliche Güter nicht konsumiert werden können, wenn sie nicht hergestellt worden sind. Umgekehrt erfüllen die produzierten Güter ihren Zweck in der Konsumtion.
Nach dieser tiefen philosophischen Einsicht wagen wir uns in der nächsten Folge an den “Eigentums”-Begriff. Da gilt: “Bitte anschnallen!” — es wird leider etwas komplizierter. Aber es lohnt sich, tiefer zu bohren, — und dies wie immer am kommenden Freitag, den 16. September.
An anderen Serien interessiert?
Wilhelm Tell / Ignaz Troxler / Heiner Koechlin / Simone Weil / Gustav Meyrink / Narrengeschichten / Bede Griffiths / Graf Cagliostro /Salina Raurica / Die Weltwoche und Donald Trump / Die Weltwoche und der Klimawandel / Die Weltwoche und der liebe Gott /Lebendige Birs / Aus meiner Fotoküche / Die Schweiz in Europa /Die Reichsidee /Vogesen / Aus meiner Bücherkiste / Ralph Waldo Emerson / Fritz Brupbacher / A Basic Call to Consciousness