In der letz­ten Fol­ge zeig­ten Graeber/Wengrow auf, dass der Begriff “Eigen­tum” nicht auf die Ver­si­on ein­ge­schränkt wer­den kann, die bei uns als Fol­ge des Römi­schen Rechts Wur­zel geschla­gen hat.

Es lohnt sich, dem Eigen­tums­be­griff im Römi­schen Reich etwas nachzugehen:
Wer römi­sche Juris­ten eigent­lich waren, sich dies ins Gedächt­nis zu rufen, ist beson­ders wich­tig, denn sie schu­fen die Grund­la­ge für unse­re heu­ti­ge Rechts­ord­nung, für unse­re Theo­rien der Gerech­tig­keit, für die Spra­che, in der unse­re Ver­trä­ge und Delik­te for­mu­liert sind, für die Unter­schei­dung von öffent­lich und pri­vat und so wei­ter. Sie ver­brach­ten ihr öffent­li­ches Leben als Magis­tra­te und leb­ten ihr pri­va­tes als Fami­li­en­ober­haupt (pater fami­li­as) in Haus­hal­ten, in denen sie nicht nur die nahe­zu tota­le Ver­fü­gungs­ge­walt über das Leben ihrer Frau­en und Kin­der und ande­rer Abhän­gi­ger hat­ten, son­dern auch Dut­zen­de und manch­mal sogar Hun­der­te von Skla­ven sich um ihre Bedürf­nis­se kümmerten …

Im Römi­schen Recht ist Eigen­tum streng genom­men gar kein Recht. Rech­te wer­den mit ande­ren aus­ge­han­delt und beinhal­ten gegen­sei­ti­ge Ver­pflich­tun­gen. Eigen­tum ist schlicht und ein­fach Macht: die unver­blüm­te Rea­li­tät, jemand, der etwas besitzt, kön­ne damit tun, was er will, mit Aus­nah­me des­sen, was ihm durch “Gewalt oder Gesetz” ver­wehrt ist.

Da im alten Rom Skla­ven als im Kampf besieg­te Aus­län­der sämt­li­che Rech­te ver­wirkt hat­ten und zum “res”, also ” Ding” mutier­ten, war das Gesetz zu deren Behand­lung recht gross­zü­gig. Es stand “… folgt man den römi­schen Juris­ten, jedem “Haus­herrn” oder Fami­li­en­ober­haupt frei, jeden ein­zel­nen sei­ner Skla­ven jeder­zeit und auf jede erdenk­li­che Art zu ver­ge­wal­ti­gen, zu fol­tern, zu ver­stüm­meln oder sogar zu töten, ohne dass dies als etwas ande­res denn als sei­ne Pri­vat­an­ge­le­gen­heit betrach­tet wor­den wäre. …

Auf­fal­lend und auf­schluss­reich ist für unse­re Zwe­cke, dass das Römi­sche Recht zutiefst geprägt ist von der Logik des Krie­ges, der zufol­ge Fein­de aus­tausch­bar sind und, wenn sie sich erge­ben, ent­we­der getö­tet wer­den oder als “sozi­al tot” gel­ten und folg­lich als Ware ver­kauft wer­den kön­nen. Das Poten­zi­al für will­kür­li­che Gewalt drang als Kon­se­quenz aus die­ser Ein­stel­lung in die intims­te Sphä­re sozia­ler Bezie­hun­gen ein — auch in die Bezie­hun­gen der Für­sor­ge, die das häus­li­che Leben über­haupt ursprüng­lich ermög­li­chen. (Graeber/Wengrow)

Seit­her ist natür­lich viel Was­ser den Rhein hin­un­ter geflos­sen, und vie­le klu­ge Köp­fe haben sich über die Jahr­hun­der­te zu Art, Sinn, Zweck und Berech­ti­gung von Eigen­tum ihre Gedan­ken gemacht. Eine prä­gnan­te Über­sicht zu den Eigen­tums­theo­rien fin­det sich in die­sem Wiki­pe­dia-Arti­kel. Dar­aus sei­en die Über­le­gun­gen von Erich Fromm, dem gros­sen Psy­cho­ana­ly­ti­ker, zitiert, weil sie nach Mei­nung des birsfaelder.li-Schreiberlings für die heu­ti­ge Gesell­schaft­si­tua­ti­on beson­ders rele­vant sind.

Gemäss Fromm kam es zu Beginn der Neu­zeit zu einer unheil­vol­len Entwickung:
Pro­tes­tan­tis­mus und Kapi­ta­lis­mus haben den Men­schen als Indi­vi­du­um iso­liert und ver­un­si­chert. Sei­nen Halt fin­det er nun­mehr im Eigen­tum: „Das Ich und sein Eigen­tum waren nicht von­ein­an­der zu tren­nen. Des Men­schen Klei­dung, sei­ne Woh­nung waren Bestand­teil des Ichs so gut wie sein Kör­per, und je weni­ger er das Gefühl hat­te, jemand zu sein, um so not­wen­di­ger war ihm sein Eigentum.“ 

Auch Anse­hen und Macht beru­hen zumin­dest teil­wei­se auf Eigen­tum. Die­se Gleich­set­zung von Besitz und Ich seit Beginn der Neu­zeit führt zu einer ver­än­der­ten Iden­ti­tät: „Die Defini­ti­on lau­te­te nicht mehr: ‚Ich bin, was ich den­ke‘, son­dern ‚Ich bin, was ich habe‘. Und das hieß: ‚Ich bin, was ich besit­ze‘. […] Dazu gehö­ren nicht nur sein Kör­per, son­dern auch sein Haus, Weib, Kin­der, sei­ne Vor­fah­ren und Freun­de, sein Ruf, sein Werk, sein Land, sei­ne Pfer­de, sei­ne Yacht, sein Bankkonto.“

Der Mensch ent­deckt sich als Ware, die ihren Preis auf dem Arbeits­markt hat. Die moder­ne Gesell­schaft basiert auf den drei Säu­len Pri­vat­ei­gen­tum, Pro­fit und Macht. Es ent­steht ein „Haben­wol­len“ und eine „Besitz­be­ses­sen­heit“, weil „der ‚Erwerbs­trieb‘ zu einem gro­ßen Teil nur der beson­de­ren Hoch­schät­zung des Besit­zes in der bür­ger­li­chen Gesell­schaft sei­ne impo­nie­ren­de Rol­le ver­dankt.“ Die Ori­en­tie­rung am Haben führt zu einer exis­ten­zi­el­len Angst. Ande­rer­seits kom­pen­siert der Mensch die­se Angst durch Kon­sum, der ihm ein Macht­ge­fühl und ein Gefühl der Frei­heit ver­mit­telt, das sei­ner­seits durch Eigen­tum begrün­det wird. Die Gier nach Besitz kann so groß wer­den, dass der Mensch vor Gewalt nicht zurückschreckt.
„In der Exis­ten­zwei­se des Habens findet der Mensch sein Glück in der Über­le­gen­heit gegen­über ande­ren, in sei­nem Macht­be­wusst­sein und in letz­ter Kon­se­quenz in sei­ner Fähig­keit, zu erobern, zu rau­ben und zu töten.“

Fromm warn­te vor einer nai­ven Hoff­nung auf Frie­den, denn „solan­ge die Völ­ker aus Men­schen bestehen, deren haupt­säch­li­che Moti­va­ti­on das Haben und die Gier ist, wer­den sie not­wen­di­ger­wei­se Krieg füh­ren.“ (Wiki­pe­dia)

Die­se Aus­zü­ge stam­men aus sei­nem berühm­ten Klas­si­ker Haben-oder-Sein. Könn­te es sein, dass wir in der west­li­chen Welt auf­grund des “Haben­wol­lens” schlicht­weg das “Sein” ver­ges­sen haben, — so wie es die nord­ame­ri­ka­ni­schen Indi­ge­nen den ers­ten weis­sen Erobe­rern des Kon­ti­nents vorwarfen?

Dass das “Haben­wol­len” sich heu­te zu einer eigent­li­chen Krebs­krank­heit ent­wi­ckelt hat, zeigt sich — um nur ein klei­nes aktu­el­les Bei­spiel zu zitie­ren — am kürz­li­chen Auf­ruf des Uno-Gene­ral­se­k­rekt­ärs Anto­nio Guter­res, der den Öl- und Gas­kon­zer­nen eine “gro­tes­ke Gier” vorwirft.
Welt­weit müss­ten die Regie­run­gen dafür sor­gen, dass die im Zuge der Ener­gie­kri­se wegen des Krie­ges in der Ukrai­ne erziel­ten über­mä­ßi­gen Gewin­ne - 51 Mil­li­ar­den!besteu­ert wer­den, sag­te Guter­res am Mitt­woch vor der Pres­se. »Es ist unmo­ra­lisch, dass Öl- und Gas­un­ter­neh­men aus die­ser Ener­gie­kri­se Rekord­ge­win­ne auf dem Rücken der ärms­ten Men­schen und Gesell­schaf­ten erzie­len – zu mas­si­ven Kos­ten für das Klima.« …

Guter­res sag­te, Russ­lands Krieg in der Ukrai­ne und der Kli­ma­wan­del schür­ten eine glo­ba­le Nahrungsmittel‑, Ener­gie- und Finanz­kri­se. Vie­le Ent­wick­lungs­län­der, die in Schul­den erträn­ken, kei­nen Zugang zu Finanz­mit­teln hät­ten und dar­um kämpf­ten, sich von der Coro­na­pan­de­mie zu erho­len, stün­den am Abgrund, sag­te er. »Wir sehen bereits die Warn­zei­chen einer Wel­le wirt­schaft­li­cher, sozia­ler und poli­ti­scher Tur­bu­len­zen, die kein Land unbe­rührt las­sen wird.« Alle sei­en auf­ge­for­dert, der Öl- und Gas­in­dus­trie sowie ihren Finan­ciers die kla­re Bot­schaft zu schi­cken, dass ihre Gier die »Ärms­ten bestraft und unser ein­zi­ges gemein­sa­mes Zuhau­se zer­stört«. (Spie­gel)

Der “real exis­tie­ren­de Sozia­lis­mus” ist mit sei­nem Anspruch, in Sachen Eigen­tum eine gerech­te­re Gesell­schaft auf­zu­bau­en, bekannt­lich gran­di­os geschei­tert. Anar­chis­ti­sche Expe­ri­men­te wie z.B. in Spa­ni­en, die alter­na­ti­ve For­men des Zusam­men­le­bens zu ver­wirk­li­chen such­ten, wur­den im Keim erstickt, — nota­be­ne durch die Kommunisten …

Wie einen Aus­weg aus den sich immer mehr zuspit­zen­den Kri­sen­si­tua­tio­nen finden?

Nun, es gab schon im letz­ten Jahr­hun­dert Mah­ner, die erkann­ten, in wel­che Sack­gas­se die Mensch­heit zu steu­ern droht, und die ver­such­ten, Alter­na­ti­ven auf­zu­zei­gen. Einer davon ist der etwas in Ver­ges­sen­heit gera­te­ne Schwei­zer Theo­lo­ge Leon­hard Ragaz. Mit ihm wer­den wir uns in den kom­men­den Fol­gen beschäftigen.

Doch zuvor soll in der nächs­ten Fol­ge das inter­es­san­te Buch “Die Eigen­tums­fra­ge im 21. Jahr­hun­dert. Ein rechts­phi­lo­so­phi­sches Trak­tat über die Zukunft der Mensch­heit” von Alex­an­der von Pech­mann, Pro­fes­sor für Phi­lo­so­phie mit Schwer­punkt Poli­ti­sche Theo­rie an der Lud­wig-Maxi­mi­li­ans-Uni­ver­si­tät Mün­chen, vor­ge­stellt wer­den, und dies wie immer

am kom­men­den Frei­tag, den 5. August.

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