Das Hei­li­ge Römi­sche Reich bil­de­te sich im 10. Jahr­hun­dert unter der Dynas­tie der Otto­nen aus dem ehe­mals karo­lin­gi­schen Ost­fran­ken­reich her­aus. Von Anfang an war sein Ziel und Zweck zutiefst reli­gi­ös. Fried­rich Heer, der gros­se öster­rei­chi­sche Kul­tur­his­to­ri­ker, macht das in sei­nem Werk “Das Hei­li­ge Römi­sche Reich. Von Otto dem Gros­sen bis zur Habs­bur­gi­schen Mon­ar­chie” deut­lich, wenn er schreibt:
Hein­rich I. erwirbt die Hei­li­ge Lan­ze: Sie wird das sieg­rei­che, sieg­ver­hei­ßen­de Heils­zei­chen des säch­si­schen, otto­ni­schen Rei­ches und bil­det für tau­send Jah­re mit Reichs­kro­ne und Reichs­schwert das wich­tigs­te Heil­s­tum der Reichs­klein­odi­en. Die Hei­li­ge Lan­ze führt über Bur­gund ins lan­go­bar­di­sche König­reich, nach Ita­li­en und zurück nach Jeru­sa­lem (sie wird spä­ter mit jenem Lon­gi­nus­speer iden­ti­fi­ziert, der Jesus am Kreu­ze durch­bohrt hat.)

Es führt ein gera­der Weg von dem Sach­sen­her­zog Hein­rich, der um sein Königs­heil ringt — die­ses kann sich nur auf dem Schlacht­feld, in Kampf und Sieg erwei­sen —, zu sei­nem Sohn Otto dem Gro­ßen,
der als Kai­ser den Ster­nen­man­tel trägt und den mit Glöck­chen besetz­ten Rock. Man­tel und Rock gehö­ren zum Amts­kleid des Hohen­pries­ters. Wich­tigs­ter Teil war der Cho­schen, der Brust­schild mit den zwölf Edel­stei­nen, wel­che die Namen der zwölf Stäm­me Isra­els tra­gen. Die Stirn- und Nacken­plat­te der otto­ni­schen Reichs­kro­ne sind mit je zwölf Edel­stei­nen besetzt; die eine von bei­den hält zwei­fel­los die Sym­bo­lik des Cho­schen lebendig. 

Der otto­ni­sche Kai­ser ist Reprä­sen­tant des Hohen­pries­ters, des Pries­ter-Königs Chris­tus und Nach­fol­ger der Köni­ge des alten Got­tes­vol­kes. Salo­mon und David, Isai­as vor dem Bett des kran­ken Königs Eze­chi­as, Chris­tus als All­herr­scher —auf den vier Zwi­schen­plat­ten der Kai­ser­kro­ne wei­sen sie heils­stark und ver­pflich­tend den otto­ni­schen Kai­ser dar­auf hin: treu-ver­bun­den dem Chris­tus­kö­nig und den hei­li­gen König­s­ah­nen, soll er das Got­tes­volk mit Hil­fe sei­ner treu­en «Freun­de» auf Erden, der Fürs­ten und Her­zo­ge, Köni­ge, der Päps­te und Bischö­fe zu Kampf und Sieg führen. 

Sowohl die strah­len­de Grö­ße als auch Schwä­che der otto­ni­schen Reichs­kon­zep­ti­on liegt hier bereits vor. «Schön», das heißt recht; fromm und gerecht ist es, wenn sich unter Füh­rung des Kai­ser-Königs im gro­ßen föde­ra­ti­ven Treue­bund, im Hei­li­gen Reich, die welt­li­chen und geist­li­chen Freun­de (an der Spit­ze der Papst als Bischof von Rom und Königs-Freund) aus Län­dern rund um das Reich, ihm freund­schaft­lich ver­bun­den, doch nicht unter­wor­fen, zusammenfinden.

Karl Momm­sen fass­te die Funk­ti­on des Kai­sers in sei­ner Dis­ser­ta­ti­on “Eid­ge­nos­sen, Kai­ser und Reich”  so zusammen:
Der Kai­ser ver­sinn­bild­lich­te die Ein­heit des christ­li­chen Abend­lan­des. Er besass und bean­spruch­te kei­ne Welt­herr­schaft im Sin­ne einer staat­li­chen oder über­staat­li­chen Macht­stel­lung, son­dern das Kai­ser­tum bestand mehr in einer «geis­ti­gen auc­to­ri­tas», die sich zwar all­ge­mei­ner Ach­tung erfreu­te, aber kei­nen Gehor­sam erzwin­gen konn­te und woll­te. Die poli­ti­sche Macht des deut­schen Königs beruh­te auf dem Lehen­staat, der durch das Kai­ser­tum eine beson­de­re Wei­he erhielt. Ande­rer­seits setz­ten die Kai­ser des hohen Mit­tel­al­ters die Macht ihres Lehen­staa­tes für die wirk­li­chen und für ver­meint­li­che Belan­ge des römisch-uni­ver­sa­len Kai­ser­tums und sei­ner christ­lich-kirch­li­chen Auf­ga­ben ein, so dass kei­ne schar­fe Tren­nung bei­der Sphä­ren mög­lich ist. Daher ist «das Kai­ser­tum in sei­ner Idee kei­ne recht­lich genau umgrenz­te Herr­schaft, son­dern die höchs­te Aus­drucks­stei­ge­rung der römisch-christ­li­chen Universalitätsidee»

Über die Jahr­hun­der­te zer­brö­ckel­te die ursprüng­li­che Reichs­idee mehr und mehr, bis Franz II. das zom­bie­haf­te Reich 1806 unter dem Druck Napo­le­ons, der sich inzwi­schen auch eine Kai­ser­kro­ne auf­ge­setzt hat­te, und dem Aus­tritt des Rhein­bunds aus dem Reich auflöste.

Was hat­te alles zum Nie­der­gang der Reichs­idee bei­getra­gen? Hier eini­ge weni­ge Beispiele:
Die Zwei-Schwer­ter-Theo­rie ver­such­te, die Bezie­hung zwi­schen welt­li­cher und kirch­li­cher Macht zu regeln. Die Fra­ge, wie sie zu gestal­ten sei, führ­te immer wie­der zu mas­si­ven Span­nun­gen zwi­schen Kai­ser und Papst. Ihren dra­ma­tischs­ten Aus­druck fan­den sie im Inves­ti­tur­streit, als sich Hein­rich IV. und Gre­gor VII. gegen­sei­tig absetz­ten. In Ita­li­en tob­te des­we­gen ein Streit zwi­schen den sog. Guel­fen und Ghi­bel­li­nen. Ein berühm­tes Opfer die­ses Kon­flikts war übri­gens Dan­te Ali­ghie­ri, der sich in sei­nem Werk “De Mon­ar­chia” auf die Sei­te des Kai­sers stellte.

● Die fürst­li­che und geist­li­che Haus­machts­po­li­tik liess den Grund­ge­dan­ken eines in Chris­tus geein­ten Rei­ches immer mehr ver­blas­sen und führ­te so zu einer fort­schrei­ten­den Schwä­chung der kai­ser­li­chen Stel­lung im Reich.

● Die Refor­ma­ti­on, deren Aus­lö­ser die tie­fe Kor­rup­ti­on in der katho­li­schen Kir­che war, führ­te zu mas­si­ven Span­nun­gen zwi­schen alt- und neu­gläu­bi­gen Reichs­mit­glie­dern und bewirk­te eine wei­te­re Erschüt­te­rung des kai­ser­li­chen heils­ge­schicht­li­chen Anspruchs. Der dar­aus erwach­sen­de Dreis­sig­jäh­ri­ge Krieg ent­wi­ckel­te sich schliess­lich zur Urka­ta­stro­phe für den deutsch­spra­chi­gen Teil des Reichs und hin­ter­liess Tod und Verwüstung.

Die Refor­ma­ti­on hat­te den Geist kon­fes­sio­nel­ler Zwie­tracht in das Reich hin­ein­ge­tra­gen und über­dies zu einer Stär­kung des Ter­ri­to­ri­al­fürs­ten­tums geführt; nach dem Dreis­sig­jäh­ri­gen Krieg – die­sem gro­ßen euro­päi­schen Glau­bens­krieg auf deut­schem Boden – bestand das “Reich” aus über 300 deut­schen Teil­ge­bil­den, alle sou­ve­rän, aber ohne gemein­sa­mes Reichs­ge­fühl. Obwohl es noch offi­zi­el­le Reichs­or­ga­ne gab, war das “Reich” nur noch ein feu­da­les Schat­ten­ge­bil­de, ein goti­sches Mons­trum mit sich immer mehr ver­selb­stän­di­gen­den abso­lu­tis­ti­schen Glie­dern. (Wiki­pe­dia)

Nach dem Ver­schwin­den des Hei­li­gen Römi­schen Reichs im Anschluss an die Neu­ge­stal­tung der euro­päi­schen Land­kar­te durch Napo­le­on war der Reichs­ge­dan­ke aller­dings nicht ganz tot. Im 19. Jahr­hun­dert for­mier­te sich unter der Füh­rung Preus­sens ein neu­es staat­li­ches Gebil­de, das “Deut­sche Reich”, das mit dem alten Reich aller­dings nur noch den Namen “Reich” gemein­sam hat­te. Es ging 1918 in der nächs­ten euro­päi­schen Urka­ta­stro­phe, dem 1. Welt­krieg, zugrunde.

Und schliess­lich soll­te der Reichs­ge­dan­ke noch ein­mal — dies­mal aller­dings in völ­lig per­ver­tier­ter Form — als “Drit­tes” oder “Tau­send­jäh­ri­ges Reich” auferstehen.

Doch es gab immer wie­der auch Bemü­hun­gen, die alte Reichs­idee in die neue­re Zeit hinüberzuretten.

Dar­über mehr am kom­men­den Frei­tag, den 3. Sep­tem­ber.

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