Am 26. Oktober 1932 verhaftete die Polizei mitten in Paris zwei Angestellte der Basler Handelsbank, die gerade daran waren, reiche Franzosen in Sachen Steuerflucht zu beraten. Eine Liste mit 2000 Kunden fiel ihr in die Hände. Darunter fanden sich Abgeordnete, zwei Bischöfe, mehrere Generäle, die Industriellenfamilie Peugeot und der Verleger des “Le Figaro”. Der Skandal war perfekt.
Die Schweizer kamen ins Gefängnis. Damit nicht genug — machten doch ihre Landsleute in Paris einfach weiter. Kurz nach dem ersten Skandal wurden weitere Schweizer Bankangestellte erwischt und neue Fluchtgelder beschlagnahmt: bei der Diskontbank und bei der Privatbank Lombard, Odier & Cie.
Die Eidgenossen blamierten sich auf offener Szene. Hinter den Kulissen waren sie indessen unschlagbar. In einem jahrelangen Machtpoker rang Bern auch Paris — wie schon Berlin — ein für die Schweiz massgeschneidertes Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung ab. (alle grünen Zitate aus Parma/Vontobel, Schweiz Schurkenstaat?)
Die Franzosen hatten im Völkerbund den Grundsatz durchgesetzt, Doppelbesteuerungsabkommen nur zu empfehlen, wenn sie mit grenzüberschreitender Amtshilfe verbunden war. Diverse Schweizer Grosskonzerne wie Brown Boveri, Landys & Gyr oder die Maschinenfabrik Oerlikon litten unter der Doppelbesteuerung, aber die mächtigere Schweizer Bankiervereinigung setzte sich durch: Das Bankgeheimnis darf durch einen solchen Vertrag unter keinen Umständen tangiert werden. (Protokoll des Verwaltungsrats der Bankiervereinigung vom 1. April 1936).
Paris knickte 1937 schliesslich ein, weil Frankreich auf den Schweizer Anleihenmarkt angewiesen war. Und die Steuerflucht nahm nach dem Sieg der Volksfront 1936 nochmals massiv zu. Im Januar 1939 wurde in Paris erneut ein Schweizer Bankdirektor auf frischer Tat ertappt.
Weitere Affären gaben der Dritten Republik den Rest. Am Ende war sie diskreditiert und die Nation demoralisiert. 1940 wurde Frankreich für Nazi-Deutschland zur leichten Beute. Nach Hitlers Einmarsch in Paris sperrte Bern die französischen Guthaben auf Schweizer Konten. Zum Vorschein kamen für die damaligen Verhältnisse gigantische sieben Milliarden Schweizer Franken — meist Steuerfluchtgelder, die der Dritten Republik bitter gefehlt hatten. Der Betrag entsprach mehr als der Hälfte des damaligen Schweizer Volkseinkommens.
Hinterziehung in diesem Ausmass kann jeden Staat in seinen Grundfesten erschüttern.
Das musste ein paar Jährchen früher — nämlich im 18. Jahrhundert — auch Ludwig XVI. erfahren. Wegen der ungerechten Verteilung der Steuerlast in Frankreich — der 1. Stand (Adel) und der 2. Stand (Klerus) zahlten nichts — versteckten reiche Bürger ihr Geld in der freien Republik Genf und trugen so direkt dazu bei, dass der König angesichts der leeren Staatskasse zwecks Steuererhöhung die Generalstände einberufen musste. Der Rest der Geschichte ist bekannt.
Parma/Vontobel halten deshalb fest:
Verweigern die Besitzenden — mit Beihilfe von Schweizer Bankiers — den Regierenden das Geld, ist ein Staat über kurz oder lang dem Untergang geweiht: ob Königreich Frankreich 1789, Weimarer Republik 1933 oder Dritte Republik 1940. Der “Fall alles übrigen” (de Tocqueville) kann, wie in Paris 1789, den Weg für Besseres ebnen, aber auch, wie aus den anderen Beispielen hervorgeht, den Absturz in die Barbarei bedeuten.
Wer zuletzt lacht, ist freilich so oder anders der Schweizer Bankier.
Wir bleiben in der nächsten Folge noch etwas bei den Finanzen, und dies wie immer
am kommenden Freitag, den 1. April (kein Scherz ;-)!)
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