Karl Momm­sen aus Mar­burg dis­sertierte 1957 an der Uni­ver­sität Basel unter der Leitung der bei­den berühmten Geschicht­spro­fes­soren Edgar Bon­jour — wegen des Bon­jour-Berichts in Erin­nerung geblieben — und Wern­er Kae­gi mit ein­er Unter­suchung mit dem Titel: Eidgenossen, Kaiser und Reich. Stu­di­en zur Stel­lung der Eidgenossen­schaft inner­halb des heili­gen römis­chen Reiches.

Er hält darin im Kapi­tel “Die Legit­i­ma­tion eid­genös­sis­ch­er Staatlichkeit” unter anderem fest:
Wie jed­er Staat im Spät­mit­te­lal­ter benötigte auch die Eidgenossen­schaft eine Rechts­grund­lage ihrer Herrschaft­sausübung. Das Gottes­g­naden­tum war für die genossen­schaftlich organ­isierte Eidgenossen­schaft nicht anwend­bar. Obwohl es anscheinend sehr nahe lag, durch eine Erweiterung der Lehre von der Volkssou­veränität auf die Repub­lik eine eigene Staatlichkeit zu begrün­den, find­et sich eine solche Lehre oder ein Hin­weis auf der­ar­tige Gedanken nicht. Die eid­genös­sis­che His­to­ri­ogra­phie des 15. und 16. Jahrhun­derts ken­nt wed­er Anspielun­gen auf die Lehre von der Volkssou­veränität, noch sucht sie die Staatlichkeit der eid­genös­sis­chen Orte auf eine eigen­ständi­ge Weise zu begründen.

Die Legit­im­ität lag allein in der Ver­ankerung im heili­gen römis­chen Reich und der vom jew­eili­gen kaiser­lichen Reich­sober­haupt ver­liehenen Reich­sun­mit­tel­barkeit. (Der oft benutzte Begriff der “Reichs­frei­heit” kann zu ein­er falschen Inter­pre­ta­tion ver­leit­en). Sämtliche Chro­nis­ten, die untere­inan­der — ger­ade auch in der Befreiungserzäh­lung — manch­mal stark divergieren, waren sich in einem Punkt einig:
Die Reich­sun­mit­tel­barkeit der drei Län­der wird als uraltes Recht dargestellt, neben dem es kein anderes Herrschaft­srecht über die Eidgenossen je gegeben hat. Ehe­ma­lige Rechte ander­er Fürsten oder Her­ren, vor allem Rechte Öster­re­ichs, wer­den abgestrit­ten oder stark her­abge­mindert. Allein das Reich hat für die Eidgenossen als Ober­herr eine Bedeu­tung. … Ähn­lich­es kön­nen wir für die Städte feststellen.

Während in der Inner­schweiz der Rück­griff auf die Völk­er­wan­derung beliebt war (Abstam­mung von den Schwe­den, Goten oder Friesen), berief sich Luzern zum Beispiel auf Karl den Grossen, Zürich auf Cäsar, Karl den Grossen und Lud­wig den From­men. Bern als Neu­grün­dung durch die Zähringer hat­te diese Möglichkeit nicht, weshalb es gle­ich den Grün­der Berch­told V. sel­ber als Ver­mit­tler der Reich­sun­ab­hängigkeit postulierte.

Es galt also, Frei­heit­en und Rechte der Eidgenossen allein auf kaiser­liche Ver­lei­hun­gen zurück­zuführen und damit ihre Recht­mäs­sigkeit zu bele­gen. Ihr Auf­begehren gegen unter­ge­ord­nete ter­ri­to­ri­ale Gewal­ten war deshalb legit­im: Die Eidgenossen wollen ihre Frei­heit bewahren, aber sie han­deln nicht nur aus purem Eigen­nutz, son­dern durch ihren Wider­stand gegen den Ver­such, sie Öster­re­ich unter­tan zu machen, erhal­ten sie die Rechte des Reich­es in den Waldstätten.

Diese Erhal­tung der Rechte des Reich­es bein­hal­tete keineswegs eine grund­sät­zliche Adels­feind­schaft, wie es im landläu­fi­gen Geschicht­sun­ter­richt oft dargestellt wird. Momm­sen weist auf­grund seines inten­siv­en Quel­len­studi­ums nach, dass die Eidgenossen nicht als Feinde der beste­hen­den Gesellschaft­sor­d­nung gel­ten woll­ten, son­dern sich bemüht­en, ihre beson­dere soziale Ord­nung in die all­ge­mein herrschende einzuord­nen, und die Ansicht ver­trat­en, ihre Ord­nung stünde inner­halb der all­ge­meinen. Wenn auch von der inneren Struk­tur der Eidgenossen­schaft sozial­rev­o­lu­tionäre Wirkun­gen aus­ge­gan­gen waren, so  getraute man sich nicht, dies offen zuzugeben, geschweige denn damit Pro­pa­gan­da zu betreiben, son­dern man trat den Gegen­be­weis an. Man wollte also nicht nur auf poli­tis­chem Gebi­et keine Son­der­rolle spie­len, son­dern auch die gel­tende Gesellschaft­sor­d­nung nicht verletzen. 

… So lässt sich schliessen, dass die Eidgenossen kon­ser­v­a­tiv an ein­er Gesellschaft­sor­d­nung fes­thiel­ten, die sie im poli­tis­chen Leben stärk­er als andere durch­brochen hat­ten, und auch ihre Herrschaft mit ein­er Rechts­grund­lage recht­fer­tigten, die sich streng im Rah­men des Herkom­mens hielt. 

So schreibt der The­ologe und Chro­nist Johannes Stumpf in der Vorrede zu sein­er Schweizerchronik:
Es wirdt auch in dis­em wer­ck gar grundtlich erwisen, dass sich der ursprünglich anfang der loblichen Eydg­nossen­schafft, gar nit mit aufrur, unge­hor­same, ver­ach­tung rechter ordentlich­er Oberkeit, unbil­lichem hass zur Herrschaft, oder durch abw­er­fen von jemands gebührlichen pflicht­en und schulden …, son­der vil mehr durch hand­habung altherge­brachter frey­heit­en und gerechtigkeit­en … erhebt hat und aufkom­men ist.

Während  dieses Bemühen um die Legit­i­ma­tion der Eigen­ständigkeit mit­tels der Beru­fung auf Kaiser und Reich  in der Eidgenossen­schaft im 17. Jahrhun­dert langsam abbröck­elte, hat­te sie sich im Falle der Blutsgerichts­barkeit zum Beispiel in Luzern bis zum 10. Okto­ber 1730 erhal­ten. Man ver­las anlässlich des Todesurteils feier­lich die Frei­heits­briefe römis­ch­er Kaiser und Könige zum Zeichen, dass man den Kaiser kraft sein­er göt­tlichen Mis­sion als den höch­sten Her­ren über Leben und Tod anerkan­nte und fortwährend gle­ich­sam ver­möge sein­er Del­e­ga­tion das Blut­gericht verwaltete.

Dass dies nicht ein­fach eine altüberkommene For­mal­ität war, zeigte sich 1661, als der Luzern­er Rat eine Anre­gung, die Ver­lesung wie in Basel abzuschaf­fen, ablehnte.

Damit kön­nen wir uns endlich der kom­plex­en Beziehung zu Max­i­m­il­ian I. zuwen­den, dies­mal im Rah­men der Serie “Die Schweiz in Europa” am 26. August.

Und hier geht es zur näch­sten “Reichsidee”-Folge.

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