Als Halb­wüch­siger in den 60er-Jahren war meine Bewun­derung für die USA gren­zen­los. USA stand für “den Duft der weit­en Welt”. Ich kaufte am Bahn­hof­skiosk meines Dor­fes Wrigley-Kau­gum­mis, hörte nachts auf meinem alten Röhren­ra­dio die neuesten Hits des amerikanis­chen Sol­datensenders AFN Munich und war, wenn ich eine Ferien­woche bei meinem Göt­ti in Zürich ver­brin­gen durfte, regelmäs­siger Gast im amerikanis­chen Army Shop, wo man mit dem in den Som­mer­fe­rien erar­beit­eten Geld coole Hosen und Parkas kaufen kon­nte. Später kamen dann noch Lucky Strike und Marl­boro dazu …

Das ist schon eine ganze Weile her, und während dieser Weile wan­delte sich das Bild. Da war ein­er­seits der faszinierende Auf­bruch der Jugend in der “Hippie”-Bewegung, da war Kali­fornien als Schmelztigel für ganz neue spir­ituelle Entwick­lun­gen, da war der Kampf um Bürg­er­rechte für die Schwarzen, — aber da war auch die McCarthy-Hex­en­jagd  gegen alles Linke, der Viet­namkrieg, die bru­tale Durch­set­zung der eige­nen wirtschaftlichen Inter­essen. Kurz: “der Hort der Frei­heit” nahm im Laufe der Zeit immer ambiva­len­tere Züge an. Heute sind wir sog­ar an einem Punkt ange­langt, an dem die Vere­inigten Staat­en zum Hort allen Übels gewor­den sind, wenn man His­torik­ern wie Daniele Ganser glauben will. “Imperi­um USA. Die skru­pel­lose Welt­macht” lautet ein­er sein­er Best­seller. Und es ist ja tat­säch­lich nicht zu leug­nen, dass im Kampf gegen “die Achse des Bösen” oft nicht mehr klar war, wo nun das Böse tat­säch­lich sitzt …

Als 2015 ein Immo­bilien­mak­ler und Fernsehstar namens Don­ald Trump unver­hofft zum amerikanis­chen Präsi­den­ten gewählt wurde, ging ein Schock durch die Welt­presse. Wie kon­nten die Amerikan­er nur … !? Es gab zwar auch jubel­nde Stim­men, — Welt­woche-Her­aus­ge­ber Roger Köp­pel tanzte nach eige­nen Angaben vor Freude im Büro herum -, aber der Ein­druck, dass sich die Welt­macht USA mit dieser Wahl auf eine abschüs­sige Bahn begab, war all­ge­gen­wär­tig. Und dieser Ein­druck täuschte bekan­ntlich nicht: Heute ist das Land sozial und poli­tisch abge­se­hen vom Bürg­erkrieg im 19. Jahrhun­dert zer­ris­sen wie noch nie. Die Alt­las­ten des Ras­sis­mus sind immer noch da. Die sozialen Ver­w­er­fun­gen sind mas­siv. Das poli­tis­che Duop­ol, in dem die eine Partei ger­ade daran ist, sich defin­i­tiv in eine Welt der “alter­na­tiv­en Fak­ten” zu ver­ab­schieden, ist defin­i­tiv auss­er Tritt ger­at­en. Ex-Präsi­dent Jim­my Carter warnte jüngst in einem Artikel in der New York Times, dass die Nation daran sei, “in einen Abgrund zu star­ren”.

Sind die Aus­sicht­en für “God’s Own Coun­try” also nur noch düster, — mit unab­se­hbaren Kon­se­quen­zen für die restliche Welt?

Ich denke nicht. Es gibt in den USA eine ganze Rei­he von Bewe­gun­gen und Organ­i­sa­tio­nen, die daran sind, neue Entwick­lungsmöglichkeit­en für die grosse Nation auszu­loten. Eine der inter­es­san­testen Vor­denkerin­nen ist eine zier­liche, kleine Frau, die sich im Jahre 2020 dazu entschloss, für die Präsi­dentschaft zu kan­di­dieren: Mar­i­anne Williamson. Ihr Slo­gan: What was. What is. What will be. Sie ist in den USA keine Unbekan­nte. Ihre Büch­er standen viele Male auf der Best­sellerliste der NYT. Sie ist regelmäs­sige Kolum­nistin bei der ange­se­henen Zeitschrift “Newsweek”.

Was Williamson inter­es­sant macht, ist ein­er­seits die scho­nungslose Analyse der aktuellen poli­tis­chen und sozialen Sit­u­a­tion der Welt­macht, und ander­er­seits ihre Vorschläge, wie die USA zu einem “Reich des Friedens” find­en kön­nten. Schon in den 90-er Jahren schrieb sie ein Buch mit dem Titel “The Heal­ing of Amer­i­ca”, das inzwis­chen unter dem Titel “Heal­ing the Soul of Amer­i­ca” neu aufgelegt wurde. Darin schreibt sie u.a.:
Ameri­ka war schon immer ein Land der Wider­sprüche. Wir waren sowohl Sklaven­hal­ter als auch Abo­li­tion­is­ten, gewis­senlose Indus­trielle und Arbeit­sre­former, Umweltver­schmutzer und Umweltschützer von Wel­trang. Manch­mal haben wir die bru­tal­sten Hal­tun­gen verkör­pert und manch­mal, in Lin­colns Worten, “die Engel unser­er besseren Natur”. Aber ganz gle­ich, wofür sich jed­er von uns zu einem bes­timmten Zeit­punkt entsch­ieden hat, das amerikanis­che Ide­al, wie es in unseren Grün­dungs­doku­menten niedergelegt ist, bleibt das­selbe: der Aus­druck der Men­schheit in ihrer größten Frei­heit, Kreativ­ität und Gerechtigkeit. Das ist der Sinn und Zweck des Lan­des, wie er durch das Große Siegel der Vere­inigten Staat­en dargestellt wird. 

Dieses mys­tis­che Siegel — ent­wor­fen von Franklin, Adams und Wash­ing­ton — zeigt den Schlussstein der Großen Pyra­mide von Gizeh, ein freimau­rerisches Sym­bol für Weisheit. Das Auge des Horus, das den höheren Ver­stand der Men­schheit repräsen­tiert, verkün­det in schillern­der Weise, dass wir hier Novus Ordo Seclo­rum, eine “neue Ord­nung der Zeital­ter” oder das Zeital­ter der uni­versellen Brüder­lichkeit erre­ichen wer­den. Dieser Gedanke bleibt, ungeachtet dessen, wie kor­rumpiert und ver­fälscht er zu ver­schiede­nen Zeit­punk­ten unser­er Geschichte war, unsere geistige und poli­tis­che Mis­sion. Die Kraft des Ideals leuchtet weit­er­hin wie ein Leucht­feuer für alle Amerikan­er und ermah­nt uns, das zu wer­den, wozu wir uns ursprünglich verpflichtet haben.

Mar­i­anne Williamson wird oft mit dem Label “New Age” verse­hen, vielle­icht in der Hoff­nung, sie damit abqual­i­fizieren zu kön­nen. Tat­säch­lich hält sie fest, dass ihr per­sön­lich­er Werde­gang stark vom Buch “A Course in Mir­a­cles” bee­in­flusst und geprägt wurde. “A Course in Mir­a­cles” ( auf deutsch: Ein Kurs in Wun­dern) ist ein sys­tem­a­tis­ch­er Lehrgang, uns selb­st und die Welt um uns herum Schritt für Schritt mit neuen Augen betra­cht­en zu ler­nen. Die Her­aus­ge­berin, die Psy­cholo­gin Helen Schuc­man, schrieb darin ihre Einge­bun­gen nieder, die sie über Jahre hin­weg erhielt.

Aber das berechtigt noch lange nicht, was Mar­i­anne Williamson uns zu sagen hat, nicht ernst zu nehmen. Denn die scho­nungslose poli­tis­che Analyse, die sie in ein­er ihrer Newsweek-Kolum­nen präsen­tierte, hat es in sich:
Wir müssen anfan­gen, eine ern­sthaftere Diskus­sion über die Kor­rup­tion unseres poli­tis­chen Sys­tems zu führen, ins­beson­dere über die Rolle des Geldes der Konz­erne, das diese Kor­rup­tion nährt, und über die Rolle, die es für das Funk­tion­ieren unser­er bei­den poli­tis­chen Parteien spielt. In diesem Sinne sind die bei­den Parteien nicht so sehr ein Duop­ol als vielmehr ein Monopol des kor­po­ra­tiv­en Ein­flusses. An diesem Punkt ist die kor­po­ratis­tis­che Ein­flussnahme eine Straße des Todes.

Ich spreche wed­er über­spitzt noch sym­bol­isch. Unsere Energiepoli­tik bedro­ht das Leben auf der Erde, so ver­heerend ist sie für das Woh­lerge­hen des Plan­eten. Unsere Mil­itär­poli­tik bedro­ht das Leben auf der Erde, so unver­ant­wortlich fördert sie den ständi­gen Krieg in ein­er zunehmend atom­ar bewaffneten Welt. Die eine Partei beschle­u­nigt ger­adezu aufgeregt, ja sadis­tisch den Zusam­men­bruch unser­er Demokratie, während die andere zu wenig tut, um ihn aufzuhal­ten. Wenn wir weit­er­hin kurzfristi­gen Prof­it über das Woh­lerge­hen unser­er Men­schen und unseres Plan­eten stellen, ist das ein poli­tis­ch­er Todes­marsch für die Demokratie und möglicher­weise für die Men­schheit selbst.

Das ist der Anfang, die Fort­set­zung folgt

am kom­menden Fre­itag, den 21. Januar.

 

Die Schweiz in Europa 29
Birsfelder Fasnacht 2022

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