Der Begriff des “inne­ren Schat­tens” ist vor allem durch die Arbeit von C.G. Jung bekannt und popu­lär gewor­den. Die­ser Wiki­pe­dia-Arti­kel defi­niert ihn so:
Der Schat­ten eines Men­schen ent­hält nach Jung, was sei­nem posi­ti­ven (nai­ven) Selbst­bild und sei­ner ‘Thea­ter­mas­ke’ (Per­so­na) ent­ge­gen­steht. Des Schat­tens ‘Dun­kel­heit’ – vom Ich-Bewusst­sein aus gese­hen – ist auch sei­ne Unbe­wusst­heit, und außer ‘Bösem’ kön­nen aus dem Schat­ten auch posi­ti­ve Ent­wick­lungs­im­pul­se kom­men. …  Als Teil­be­reich der Psy­che eines indi­vi­du­el­len Men­schen umfasst der Schat­ten nach C. G. Jung un- oder teil­be­wuss­te Per­sön­lich­keits­an­tei­le, die häu­fig ver­drängt oder ver­leug­net wer­den, weil sie dem Vor­stel­lungs­bild des Ich­be­wusst­seins von sich selbst ent­ge­gen­ste­hen: “Sei­ne [des Schat­tens] Natur läßt sich in hohem Maße aus den Inhal­ten des per­sön­li­chen Unbe­wuß­ten erschlie­ßen”[1] und des­halb sei Schat­ten­ar­beit zugleich auch Bewusst­wer­dungs­ar­beit am per­sön­li­chen Unbewussten …

Der Schat­ten in die­sem Sin­ne stellt das Gegen­stück zur Per­so­na, der „Thea­ter­mas­ke“ eines Men­schen dar. Er ent­hält oft die ’nega­ti­ven’, sozi­al uner­wünsch­ten und daher unter­drück­ten Züge der Per­sön­lich­keit, also jenen Teil des Ichs, der wegen mög­li­cher­wei­se gesell­schaftsin­kom­pa­ti­bler Ten­den­zen ger­ne unbe­wusst gehal­ten wird.

Auf einer Web­sei­te, die “Schat­ten­ar­beit” anbie­tet, heisst es u.a.
Schat­ten sind die Tei­le von uns, die wir irgend­wann abge­spal­ten und unter­drückt haben oder ableh­nen. Sie sind Tei­le unse­rer Per­sön­lich­keit, die wir aus Angst nicht zei­gen wol­len. Die­se Tei­le — sie kön­nen posi­tiv oder nega­tiv sein — haben wir in einen “Sack” gestopft.
Oft ver­wen­den wir unbe­wusst soviel Zeit und Ener­gie dar­auf, die Din­ge im Sack ver­steckt zu hal­ten, dass wir kei­ne Kraft mehr haben, das Leben zu füh­ren, das wir möchten.

Damit sind wir schon beim ers­ten Pro­blem ange­langt: Gera­de weil wir die­se Tei­le abge­spal­tet und unter­drückt haben, braucht es einen bewuss­ten Ent­scheid, die ver­steck­ten Per­sön­lich­keits­an­tei­le wie­der in das Bewusst­sein tre­ten zu las­sen. Weil das mit Sicher­heit nicht ein­fach und oft ziem­lich schmerz­haft wer­den kann, braucht es auch ein grund­le­gen­des Ver­trau­en, dass wir bei die­sem Pro­zess nicht zugrun­de gehen. Oft gibt uns erst ein pro­fes­sio­nel­les the­ra­peu­ti­sches Umfeld die nöti­ge Sicher­heit, uns dem Unbe­kann­ten in uns zu stel­len. Wenn es dann gelingt, die hin­ter Schuld- und Scham­ge­füh­len ver­ste­cken Schat­ten­an­tei­le bewusst zu machen, — welch neu­es Erleb­nis der Frei­heit und Erleichterung!

Das zwei­te Pro­blem: Solan­ge unse­re Schat­ten­an­tei­le unbe­wusst blei­ben, steu­ern sie einen guten Teil unse­res Ver­hal­tens und unse­rer Wahr­neh­mung der Welt. Sie sind der berüch­tig­te “Bal­ken in unse­rem Auge”, der uns lau­fend dazu bringt, zu urtei­len, und vor allem: zu verurtei­len.
Zunächst wird der eige­ne Schat­ten gewöhn­lich negiert oder aber auf Per­so­nen und Objek­te außer­halb des eige­nen Ichs pro­ji­ziert. Unbe­wuss­te Schat­ten­pro­jek­tio­nen auf den jeweils ande­ren Men­schen[7] sind typi­sche Ele­men­te per­sön­li­cher wie auch kol­lek­ti­ver (z. B. natio­na­ler) Kon­flik­te.[8].. Auf die­se Wei­se ent­ste­hen unter ande­rem Vor­ur­tei­le, aber auch das bekann­te „Sündenbock“-Syndrom und Phä­no­me­ne wie Frem­den­feind­lich­keit, Ras­sis­mus, Anti­se­mi­tis­mus oder auch Homophobie.

Seit mehr als fünf Jah­ren jagt die­ser Mann wie ein Ver­rück­ter in Euro­pa umher, auf der Suche nach etwas, das er in Brand set­zen könn­te! — sag­te Adolf Hit­ler über Win­s­ton Chur­chill vor dem zwei­ten Welt­krieg. Das ist ein ein­drück­li­ches Bei­spiel für die Schat­ten­pro­jek­ti­on, und es bräuch­te schon sehr viel Blind­heit, um nicht zu erken­nen, wel­che Aus­wir­kun­gen sol­che Pro­jek­tio­nen auf der Büh­ne der Welt­po­li­tik auch heu­te immer noch haben. Popu­lis­ten und Auto­kra­ten per­fek­tio­nie­ren sie.

»Urteilt nicht über ande­re, damit Gott euch nicht ver­ur­teilt. Denn so wie ihr jetzt ande­re rich­tet, wer­det auch ihr gerich­tet wer­den. Und mit dem Maß­stab, den ihr an ande­re anlegt, wer­det ihr selbst gemes­sen werden.
War­um siehst du jeden klei­nen Split­ter im Auge dei­nes Mit­men­schen, aber den Bal­ken in dei­nem eige­nen Auge bemerkst du nicht? Wie kannst du zu ihm sagen: ›Komm her! Ich will dir den Split­ter aus dem Auge zie­hen!‹, und dabei hast du selbst einen Bal­ken im Auge! 
Du Heuch­ler! Ent­fer­ne zuerst den Bal­ken aus dei­nem Auge, dann kannst du klar sehen, um auch den Split­ter aus dem Auge dei­nes Mit­men­schen zu ziehen. 
sag­te Jes­hua ben Joseph und bewies damit, welch tie­fe Men­schen­kennt­nis ihm eigen war. 

Das bedeu­tet natür­lich nicht, dass wir nicht für Recht und Gerech­tig­keit kämp­fen und Unge­rech­tig­keit anpran­gern sol­len, — aber es geht dabei immer um Hand­lun­gen und nicht um die Han­deln­den. Das ist aus eige­ner Erfah­rung nicht immer leicht .…

Eine span­nen­de Fra­ge ist, woher der Schat­ten denn eigent­lich kommt. Ist die Erzie­hung in der Kind­heit dafür ver­ant­wort­lich, wie es der Wiki­pe­dia-Arti­kel insinuiert?:
 Sei­ne Ent­wick­lung beginnt bereits in den ers­ten Lebens­jah­ren des Men­schen infol­ge der von der Umwelt an das Indi­vi­du­um her­an­ge­tra­ge­nen Anfor­de­run­gen, Erwar­tun­gen, Gebo­te und Ver­bo­te. Die­se las­sen nur einen Teil der Per­sön­lich­keit zur Ent­fal­tung kom­men. Der per­sön­li­che Schat­ten wächst par­al­lel zur Per­so­na, gleich­sam als ihr Nega­tiv; der Schat­ten lebt dann ziem­lich unab­hän­gig vom Ich-Bewusst­sein mit. 
All­zu­oft müs­sen dann die Eltern als Sün­den­bö­cke her­hal­ten, — Schattenprojektion …

Das Kon­zept, das auf der Reinkar­na­ti­ons­idee basiert, dass wir unse­ren Schat­ten näm­lich über vie­le Leben hin­weg durch Fehl­ver­hal­ten gegen­über spi­ri­tu­el­len Gesetz­mäs­sig­kei­ten auf­ge­baut haben, scheint mir per­sön­lich sehr viel ein­leuch­ten­der. Es führt uns näm­lich zur Erkennt­nis zurück, dass es nur einen ein­zi­gen Ver­ant­wort­li­chen für den Schat­ten in uns gibt: Wir selbst.

Das ist zuge­ge­be­ner­mas­sen eine ziem­lich bit­te­re, aber gleich­zei­tig heil­sa­me Pil­le, denn: Wenn wir den Schat­ten geschaf­fen haben, kön­nen wir ihn auch wie­der auf­lö­sen! Und je mehr es uns gelingt, eine Schat­ten­schicht nach der ande­ren bewusst zu machen und auf­zu­lö­sen, des­to mehr erwächst das Gefühl einer tie­fen inne­ren Frei­heit, einer neu­en Leben­dig­keit und die Ent­de­ckung von unbe­kann­ten krea­ti­ven Sei­ten in uns. Wir sind defi­ni­tiv auf dem Weg zum “König­reich in unse­rem Innern”!

C.G. Jung pos­tu­lier­te auch die Exis­tenz eines arche­ty­pi­schen Schat­tens der Mensch­heit und damit zusam­men­hän­gend die Exis­tenz “des Bösen”:
Der Arche­typ des Schat­tens ist ein reli­giö­ses Pro­blem, das C.G. Jung zeit­le­bens beschäf­tigt hat. Zum Bei­spiel kön­ne der Anti­christ als arche­ty­pi­scher Schat­ten Chris­ti gedeu­tet wer­den; und psy­cho­lo­gisch gese­hen ent­spre­che jener dem “Schat­ten des Selbst, näm­lich der dun­keln Hälf­te der mensch­li­chen Tota­li­tät, wel­che man nicht zu opti­mis­tisch beur­tei­len darf. (Wiki­pe­dia). Aber das ist ein ande­res Thema …

Die nächs­te Fol­ge wie immer am kom­men­den Frei­tag, den 26. November.

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