Der Psy­cho­ana­ly­ti­ker und Phi­lo­soph Erich Fromm, der sei­ne letz­ten Lebens­jah­re im Tes­sin ver­brach­te, stamm­te aus einer ortho­do­xen jüdi­schen Fami­lie. Aber er setz­te sich inten­siv mit dem Chris­ten­tum aus­ein­an­der und ver­stand die Bot­schaft Jesu bes­ser als man­cher Kir­chen­christ. So ana­ly­sier­te er die Ver­su­chun­gen Jesu in der Wüs­te aus der Per­spek­ti­ve des “Habens” oder “Seins”:
Auf die ers­te Ver­su­chung, Stei­ne in Brot zu ver­wan­deln, die das Ver­lan­gen nach mate­ri­el­len Din­gen sym­bo­li­siert, ant­wor­tet Jesus: „Nicht nur von Brot lebt der Mensch, son­dern von jedem Wort, das aus Got­tes Mund kommt“ .… Dar­auf ver­sucht Satan Jesus mit dem Ver­spre­chen, ihm voll­stän­di­ge Macht über die Natur zu ver­lei­hen (das Gesetz der Schwer­kraft auf­zu­he­ben) und schließ­lich mit unein­ge­schränk­ter Macht mit der Herr­schaft über alle König­rei­che der Erde. Jesus lehnt ab …
Jesus und Satan erschei­nen hier als Reprä­sen­tan­ten zwei­er ent­ge­gen­ge­setz­ter Prin­zi­pi­en. Satan ist der Ver­tre­ter des mate­ri­el­len Kon­sums und der Macht über die Natur und den Men­schen. Jesus ist die Ver­kör­pe­rung des Seins und der Idee, dass Nicht­ha­ben die Vor­aus­set­zung des Seins ist. Die Welt ist seit der Zeit der Evan­ge­li­en den Grund­sät­zen des Teu­fels gefolgt; doch selbst der Sieg die­ser Prin­zi­pi­en hat die Sehn­sucht nach der Ver­wirk­li­chung des wah­ren Seins nicht aus­lö­schen kön­nen, die Jesus und vie­le gro­ße Meis­ter vor und nach ihm aussprachen.

Gros­se Ach­tung bezeug­te Fromm gegen­über dem im 13./14. Jahr­hun­dert leben­den Meis­ter Eck­hart, dem wohl radi­kals­ten Mys­ti­ker inner­halb des Chris­ten­tums. Auch er setz­te sich mit den Fra­gen von “Haben” oder “Sein” aus­ein­an­der, lehn­te aber äus­se­ren Besitz per se nicht als grund­sätz­lich nega­tiv ab, — das ste­ti­ge Stre­ben nach Besitz­ver­meh­rung hin­ge­gen sehr wohl:
Eck­hart geht es um die Art von Haben-Wol­len, die auch eine fun­da­men­ta­le Kate­go­rie des bud­dhis­ti­schen Den­kens ist: Gier, Hab­sucht und Ego­is­mus. Bud­dha sah das Begeh­ren als Ursa­che des mensch­li­chen Lei­dens an; nicht die Lebens­freu­de als sol­che. Wenn Eck­hart davon spricht, dass man kei­nen Wil­len haben soll, so meint er damit nicht, dass man schwach sein soll­te. Er redet von jener Art von Wil­len, der iden­tisch ist mit der Begier­de, von der man getrie­ben wird, – die also recht betrach­tet kein Wil­le ist.

Eck­harts Aus­sa­ge “Das ist ein armer Mensch, der nichts will und nichts weiß und nichts hat” gibt aller­dings auch zu Miss­ver­ständ­nis­sen Anlass:
Wer ist der Mensch, der nichts weiß? Erhebt Eck­hart einen dum­men, unwis­sen­den Men­schen, eine unge­bil­de­te, unkul­ti­vier­te Krea­tur zum Ide­al? Wie hät­te er das gekonnt, da er selbst ein Mann gro­ßer Bil­dung und gro­ßen Wis­sens war, was er nie zu ver­ber­gen oder her­ab­zu­spie­len such­te, und da sein Haupt­an­lie­gen dar­in bestand, die Unge­bil­de­ten zu bilden?

Was Eck­hart meint, wenn er davon spricht, dass man nichts wis­sen sol­le, hat zu tun mit dem Unter­schied zwi­schen dem Wis­sen in der Wei­se des Habens und dem Akt der Erkennt­nis, das heißt dem Vor­drin­gen zu den Wur­zeln und damit zur Ursa­che einer Sache. Eck­hart unter­schei­det sehr klar zwi­schen einem bestimm­ten Gedan­ken und dem Denk­pro­zess. Er betont, es sei bes­ser, Gott zu erken­nen, als ihn zu lie­ben: „Die Lie­be weckt das Begeh­ren, das Ver­lan­gen. Das Erken­nen hin­ge­gen legt kei­nen ein­zi­gen Gedan­ken hin­zu, viel­mehr löst es ab und trennt sich ab und läuft vor und berührt Gott, wie er nackt ist, und erfasst ihn ein­zig in sei­nem Sein“
Um Eck­harts Stand­punkt ver­ste­hen zu kön­nen, muss man sich über den eigent­li­chen Sinn die­ser Wor­te klar wer­den. Wenn er sagt, dass „der Mensch so ledig sein soll sei­nes eige­nen Wis­sens“, so meint er damit nicht, man sol­le ver­ges­sen, was man weiß, son­dern dass man weiß. Das bedeu­tet, dass man sein Wis­sen nicht als einen Besitz anse­hen soll, der einem ein Gefühl der Sicher­heit und Iden­ti­tät ver­leiht; man soll­te von sei­nem Wis­sen nicht „erfüllt“ sein, man soll­te sich nicht dar­an fest­klam­mern, nicht danach begeh­ren. Wis­sen soll­te nicht die Eigen­art eines Dog­mas anneh­men, das uns ver­sklavt. All dies gehört der Exis­ten­zwei­se des Habens an.

Mit die­sen Über­le­gun­gen Erich Fromms haben wir uns etwas vom “äus­se­ren Haben-Wol­len” ent­fernt. Aber das war inso­fern not­wen­dig, als man die­se Hal­tung nur ver­ste­hen kann, wenn uns die ent­ge­gen­ge­setz­te als zu errei­chen­des Ziel klar und deut­lich vor Augen tritt:
Wich­tig sind die Fun­da­men­te, auf denen unser Tun steht. Unser Sein ist die Rea­li­tät, der Geist, der uns bewegt, der Cha­rak­ter, der unser Ver­hal­ten bestimmt; im Gegen­satz dazu sind die Taten und Über­zeu­gun­gen, die von unse­rem dyna­mi­schen Kern abge­trennt sind, nicht real. (…) Sein ist Leben, Tätig­sein, Geburt, Erneue­rung, Aus­flie­ßen, Ver­strö­men, Pro­duk­ti­vi­tät. In die­sem Sinn ist es das Gegen­teil von Haben, von Ich­bin­dung und Ego­is­mus. Sein im Sin­ne Eck­harts heißt aktiv sein im klas­si­schen Sinn, als pro­duk­ti­ver Aus­druck der dem Men­schen eige­nen Kräf­te, es heißt nicht „geschäf­tig“ sein im moder­nen Sinn.
(sämt­li­che Aus­zü­ge aus: Erich Fromm, Haben oder Sein)

Nach die­sem klei­nen Exkurs zu “Haben” und “Sein” auf der see­li­schen Ebe­ne keh­ren wir am nächs­ten Frei­tag, den 23. Febru­ar wie­der zur Gesell­schafts­kri­tik Fromms zurück.

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