Ein anderer Philosoph, der sich Gedanken zum Sinn und zur Notwendigkeit von Eigentum machte, war G.W.F. Hegel. Hegel wies die Spekulationen über einen hypothetischen “Naturzustand der Menschheit” zurück, aus dem sich mittels des Eigentums Schritt um Schritt fortgeschrittenere Gesellschaften entwickelten. Für ihn musste die Begründung, warum Eigentum unabdingbar zum Mensch-Sein gehöre, viel tiefer gehen. Seine zentrale These: Ohne Eigentum kein freier Wille:
Eigentum, so argumentiert er in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821), ist nicht nur deshalb ein wichtiges Rechtsinstitut, weil es den Subjekten juristisch widerspruchsfrei einen Gebrauch ihrer jeweiligen Sachen ermöglicht, sondern weil es diese Subjekte überhaupt erst zu denen macht, die sie sind. Eigentum ist unabdingbar für eine Subjektivität, in der, wie Hegel sagt, das Ich um seinen freien Willen weiß. Das weitreichende Argument Hegels lautet also, dass das Subjekt, wie wir es kennen, mit der Institution des Eigentums steht und fällt (…)
Zwar lassen sich Menschen vielleicht noch auf andere, nicht-eigentumsförmige Weise versorgen, so dass sie (biologisch) am Leben bleiben — die Ausbildung einer freien Subjektivität ist für Hegel aber nur in einer Eigentumsordnung möglich. (…) Wollte Locke das Eigentum, weil er dem Subjekt den Gebrauch von Dingen ermöglichen wollte, so will Hegel das Eigentum, weil er das Subjekt will, das Dinge wollen kann.
Diese Subjektivität findet man bei Tieren nicht, weil sie lediglich von ihren Instinkten geleitet werden, aber nicht wollen können. Hegel beschreibt die Struktur des menschlichen Willens so:
Um einen freien Willen zu haben, so Hegel, muss ich die Dinge, die ich gebrauche, selbst in Besitz nehmen. Die Inbesitznahme ist dabei weder ein rein geistiger, noch ein rein körperlicher Vorgang; es reicht weder aus, eine Sache als meine zu wünschen, noch, sie einfach zu ergreifen. (Das Eis-Essen, zum Beispiel, ist nur dann ein Akt eines freien Subjekts, wenn ihm das Eis weder von anderen eingeflößt wird, noch wenn es das Eis nur herbeisehnt: Das Subjekt muss das Eis sowohl wünschen als auch erlangen können). Hegel beschreibt den Akt der Inbesitznahme somit als Zusammenspiel einer physischen und psychischen Aneignung: Ich muss einen Gegenstand zugleich körperlich in meiner Gewalt haben als auch diese Appropriation innerlich affirmieren.
Im Gegensatz zu Locke, bei dem Eigentum einfach ein Mittel der Bedürfnisbefriedigung ist, ist für Hegel die Aneignung von Eigentum für das Mensch-Sein unabdingbar,
weil sich nur so ein freier Wille und daher die “Person als Vernunft” konstituieren kann. (…) Weil Menschen in einem biologisch-basalen Sinne einzelne Wesen sind, ist ihr jeweiliger Wille ein persönlicher, kein kollektiver Wille: „Da mir im Eigentum mein Wille als persönlicher, somit als Wille des Einzelnen objektiv wird, so erhält es den Charakter von Privateigentum.“ (Hegel, Grundlinien, S. 107F [§ 46]). (…) Entsprechend schildert Hegel den Akt der Inbesitznahme nicht als die Begegnung eines fertigen Subjekts mit einem äußeren Gegenstand. Die Subjektkonstitution geht der Inbesitznahme nicht voraus, wie es Locke und andere Vertragstheoretiker Jnnen implizieren (die somit die Entstehung von Subjekten gar nicht erklären können), sondern wird erst durch sie vollzogen: Erst indem es sich Dinge aneignet, wird das Subjekt zum Subjekt.
(Alle Textauszüge aus Daniel Loick, Der Missbrauch des Eigentums)
Nächste Folge am Freitag, den 15. Dezember
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