In sei­ner kur­zen, aber pro­fun­den Schrift “Der Miss­brauch des Eigen­tums” unter­nimmt es der Phi­lo­soph Dani­el Loick, das Kon­zept des Eigen­tums, wie es sich heu­te als selbst­ver­ständ­li­che Grund­la­ge moder­ner Gesell­schaf­ten prä­sen­tiert, radi­kal zu hin­ter­fra­gen. Er beginnt mit einem klei­nen geschicht­li­chen Exkurs:
Die Vor­stel­lung, dass sich die Frei­heit der Ein­zel­nen nur ver­wirk­li­chen kann, wenn sie über ihr Eigen­tum exklu­siv ver­fü­gen, die heu­te so selbst­ver­ständ­lich erscheint, war es zur Zeit der Her­aus­bil­dung der bür­ger­li­chen Gesell­schaft kei­nes­wegs. Die Durch­set­zung einer indi­vi­dua­lis­ti­schen Welt­sicht … ist viel­mehr Ergeb­nis eines lan­gen his­to­ri­schen Prozesses. 
Der Mensch des Feu­da­lis­mus war nicht indi­vi­du­ell, son­dern gemein­schaft­lich ori­en­tiert, wobei die Gemein­schafts­be­zü­ge Familien‑, Sippen‑, Dorf- und Kir­chen­ge­mein­schaf­ten umfass­ten. Die Umstel­lung von der gemein­schaft­li­chen auf eine indi­vi­du­el­le Hand­lungs­ori­en­tie­rung ging his­to­risch mit einer Trans­for­ma­ti­on von Gemein­ei­gen­tum in Pri­vat­ei­gen­tum einher. 
Eine der ein­drück­lichs­ten Schil­de­run­gen die­ser Trans­for­ma­ti­on fin­det sich im Kapi­tel zur “so genann­ten ursprüng­li­chen Akku­mu­la­ti­on” in Marx’ “Kapi­tal”. Der Kapi­ta­lis­mus ist auf freie Lohn­ar­bei­te­rIn­nen ange­wie­sen, die er zuerst gewalt­för­mig von den Mit­teln der Sub­sis­tenz tren­nen muss­te. Die­se “Expro­pria­ti­on des Land­volks von Grund und Boden” nahm ver­schie­de­ne For­men an: Ver­trei­bung von Bau­ern von der Schol­le, Zer­stö­rung dörf­li­cher All­men­de-Struk­tu­ren, Kon­fis­ka­ti­on von Kir­chen­gü­tern und damit Ver­ar­mung der kirch­li­chen Kli­en­tel, pri­va­ti­ve Par­zel­lie­rung des Bodens. Die so “auf den Arbeits­markt geschleu­der­ten” Pro­le­ta­rie­rIn­nen wur­den dann durch Geset­ze zur Kri­mi­na­li­sie­rung von Armut und Vag­abonda­ge, durch die Zer­schla­gung von Arbei­te­rIn­nen­ko­ali­tio­nen und schu­li­sche Dis­zi­pli­nie­rung in die Lohn­ar­beit gedrängt. 

Loick ana­ly­siert anschlies­send die Begrün­dun­gen von John Locke und G.W.F. Hegel, war­um Eigen­tum für das Funk­tio­nie­ren unse­rer Gesell­schaf­ten, ja für das Mensch-Sein über­haupt, not­wen­dig und unab­ding­bar sei. Die Aus­füh­run­gen Locke’s dazu wur­den im birsfaelder.li hier und hier schon vor­ge­stellt. Die Kurz­fas­sung von Loick:
Am Anfang war die Erde Gemein­ei­gen­tum der Men­schen. Um ihre Früch­te aber als Ein­zel­ne nut­zen zu kön­nen, muss­te es für die Men­schen mög­lich sein, sie sich auf recht­mäs­si­ge Wei­se indi­vi­du­ell anzu­eig­nen. Dies geschieht durch Arbeit: Indem sie ihn bear­bei­ten, machen die Men­schen einen Gegen­stand zu dem ihri­gen. Die Ein­zel­nen dür­fen sich anfangs jedoch nur soviel durch Arbeit aneig­nen, wie sie auch selbst ver­brau­chen kön­nen; sie dür­fen nicht Lebens­mit­tel anhäu­fen, die dann ver­rot­ten. Durch die Erfin­dung des Gel­des, also eines Zah­lungs­mit­tels, das nicht ver­dirbt, ist die­se Akku­mu­la­ti­ons­schran­ke über­wun­den. Auf die­se Wei­se wird es mög­lich, gros­sen Reich­tum an  Geld für eine spä­te­re Ver­aus­ga­bung anzu­häu­fen und sich Güter auf eine neue Wei­se anzu­eig­nen. Der Staat hat die Auf­ga­be, die so recht­mäs­sig eta­blier­te Eigen­tums­ord­nung auf­recht­zu­er­hal­ten und zu schützen. 

Die­se Geschich­te sug­ge­riert, dass sich ein Recht auf Pri­vat­ei­gen­tum direkt aus der natür­li­chen Ver­fasst­heit des Men­schen als Bedürf­nis­we­sen ablei­ten lässt: Eigen­tum als Vor­aus­set­zung von Gebrauch. Lockes Nar­ra­ti­on funk­tio­niert aber nur auf­grund einer Rei­he von ver­deck­ten argu­men­ta­ti­ven Erwei­te­run­gen, die in die­ser Kurz­ver­si­on untergehen. 

Dem gehen wir in der nächs­ten Fol­ge am kom­men­den Frei­tag, den 10. Novem­ber nach.

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