Alex­an­der von Pech­mann hält apo­dik­tisch fest:
Die gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen für die leben­de Mensch­heit, im Inter­es­se der kom­men­den Genera­tio­nen das glo­ba­le »Sys­tem der Pro­duk­ti­on und Kon­sum­ti­on« nach dem öko­lo­gi­schen Prin­zip der Nach­hal­tig­keit zu gestal­ten und den gesell­schaft­lich pro­du­zier­ten Reich­tum nach dem Grund­satz der sozia­len Ver­träg­lich­keit zu ver­tei­len, ver­lan­gen die Über­schrei­tung des natio­na­len Rah­mens. Das Glo­ba­le als Bezugs­grö­ße des poli­ti­schen Han­delns ist daher im 21. Jahr­hun­dert nicht mehr eine Idee oder fer­ne Visi­on, son­dern eine Not­wen­dig­keit, die aus den rea­len Ver­hält­nis­sen und den aus ihnen resul­tie­ren­den Her­aus­for­de­run­gen erwächst. Ein ver­ant­wor­tungs­vol­les poli­ti­sches Han­deln muss sich daher von vorn­her­ein als inte­gra­les Ele­ment der Welt­ge­sell­schaft begreifen.

Taucht ange­sichts einer sol­chen Aus­sa­ge nicht wie­der das von Popu­lis­ten gemal­te Schreck­ge­spenst der uni­for­men Men­schen­mas­sen auf, die von einem “One-World-Government” kon­trol­liert werden?
Das wäre ein Miss­ver­ständ­nis: Hin­ar­bei­ten auf ein har­mo­ni­sches Zusam­men­ar­bei­ten und ‑leben der gros­sen Mensch­heits­fa­mi­lie bedeu­tet ja noch lan­ge nicht, dass man des­we­gen die genau­so wich­ti­ge Zusam­men­ar­beit im Klei­nen ver­nach­läs­sigt und die his­to­risch gewach­se­nen und von uns geschätz­ten natio­na­len und loka­len Tra­di­tio­nen aufgibt.

Auf dem Erd­gip­fel von Rio de Janei­ro 1992 wur­de der Slo­gan: Glo­bal den­ken — lokal han­deln geprägt. Seit­her ist denn auch welt­weit eine unüber­schau­ba­re Men­ge loka­ler Akti­vi­tä­ten ent­stan­den, die sich auf die Berei­che der Pro­duk­ti­on, des Han­dels und des Kon­sums bezie­hen, und die sich nicht am Pri­vat­in­ter­es­se kapi­ta­lis­ti­scher Ver­wer­tung, son­dern an den Kri­te­ri­en der öko­lo­gi­schen Nach­hal­tig­keit und der sozia­len Gerech­tig­keit ori­en­tie­ren. Es bil­de­ten sich land­wirt­schaft­li­che und gewerb­li­che Koope­ra­ti­ven, Fair-Tra­de-Orga­ni­sa­tio­nen, Gemein­schafts­gär­ten, Open-Source-Gemein­schaf­ten, Repair- und Näh­ca­fés, Leih­lä­den usf. Sie alle ver­bin­den die loka­le lebens­welt­li­che Pra­xis mit dem glo­ba­len Anlie­gen der »Ret­tung des Planeten«.

Das tönt erfreu­lich. Aber von Pech­mann sagt: Genügt nicht! Kann sich sogar kon­tra­pro­duk­tiv aus­wir­ken, denn ... gegen die­ses Nar­ra­tiv vom ›Gro­ßen Wan­del‹ ist nicht zu Unrecht ein­ge­wandt wor­den, dass das dar­in impli­zier­te nai­ve Ver­trau­en in die poli­ti­sche Gestal­tungs­kraft der sozia­len Bewe­gun­gen dazu füh­ren wer­de, ange­sichts der bestehen­den Eigen­tums- und Macht­ver­hält­nis­se die tat­säch­li­che Lösung der glo­ba­len Pro­ble­me nicht nur zu ver­schlep­pen, son­dern sie gar noch zu ver­hin­dern. Die­ses Nar­ra­tiv blen­det die Ana­ly­se des insti­tu­tio­nel­len recht­li­chen Rah­mens aus, inner­halb des­sen sich poli­ti­sches Han­deln voll­zieht, und trägt damit, wie ein­ge­wandt wur­de, »unge­wollt zur Sta­bi­li­sie­rung der nach­hal­ti­gen Nicht-Nach­hal­tig­keit bei«. 

Die gros­sen wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen Struk­tu­ren, die ent­schei­dend für die sozia­len Unge­rech­tig­kei­ten und für den Raub­bau an unse­ren Pla­ne­ten ver­ant­wort­lich sind, blei­ben durch die­se durch­aus löb­li­chen Initia­ti­ven im Klei­nen unangetastet.

Das gel­te auch für Bewe­gun­gen wie “Fri­days for Future”, die sich expli­zit als poli­tisch ver­ste­hen und … mit­tels Demons­tra­tio­nen, Begeh­ren, Peti­tio­nen etc. oder durch Mit­wir­kung in Par­tei­en auf die Gesetz­ge­ber oder Regie­run­gen öffent­li­chen ›Druck‹ aus­üben, um öko­lo­gisch nach­hal­ti­ge oder sozi­al ver­träg­li­che Prak­ti­ken in recht­lich ver­bind­li­che Hand­lungs­nor­men umzu­set­zen. Sie ver­ste­hen damit aber, expli­zit oder impli­zit, den jewei­li­gen Natio­nal­staat als die­je­ni­ge Instanz, die ihre glo­ba­len Anlie­gen und Ansprü­che in recht­lich ver­bind­li­ches Han­deln trans­for­mie­ren soll.

War­um das ein ent­schei­den­der Schwach­punkt ist, erfah­ren wir in der nächs­ten Fol­ge am kom­men­den Frei­tag, den 20. Oktober.

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