… so titelt Patrik Mül­ler, Chef­re­dak­tor der CH-Media-Zei­tun­gen, sei­nen Ver­riss der Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve. Und er weiss auch, wel­che Schwei­ze­rin­nen und Schwei­zer die­se desas­trö­se Initia­ti­ve unter­stüt­zen: Zwei gros­se Bevöl­ke­rungs­grup­pen kön­nen sich mit ihr iden­tifi­zie­ren: Wohl­ha­ben­de, getrie­ben vom schlech­ten Gewis­sen, dass es ihnen so gut geht und ande­ren so schlecht. Und Wohl­mei­nen­de, getrie­ben von einem mis­sio­na­ri­schen Eifer wie frü­her die Kir­che. Dies­mal soll die Welt nicht am Chris­ten­tum gene­sen, son­dern am Schweiz­tum. Unse­re Regeln über­all. Ein­klag­bar bei uns. Das ist uner­träg­li­cher, über­gri­ffi­ger Moral-Imperialismus.”

Da haben wir also die üble The­se erneut: Befür­wor­ter der Initia­ti­ve wol­len der rest­li­chen Welt der Welt vom hohen Ross her­un­ter eine uner­träg­li­che, über­grif­fi­ge Moral pre­di­gen, die Patrik Mül­ler mit dem nebu­lö­sen Begriff “Schweiz­tum” eti­ket­tiert. Damit bläst er ins glei­che Horn wie Bun­des­rat Ueli Mau­rer, der aller­dings in sei­nen 1. August­re­den nicht müde wird, all die Tugen­den auf­zu­zäh­len, die uns Schwei­ze­rin­nen und Schwei­zer anschei­nend aus­zeich­nen. Die dür­fen sie offen­sicht­lich durch­aus haben, — solan­ge sie den wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen der Kon­zer­ne nicht in die Que­re kommen.

Was ist das zen­tra­le und ein­zi­ge Anlie­gen der Initia­ti­ve? Dass Kon­zer­ne und eini­ge weni­ge mit­be­trof­fe­ne KMUs für die Miss­ach­tung von Men­schen­rech­ten und Umwelt gera­de­ste­hen sol­len. Doch die hoch­be­zahl­ten PR-Agen­tu­ren wie Furrer&Hugi und SVP-Agen­tur Goal tun ihr Bes­tes, um den Abstim­men­den am nächs­ten Wochen­de mit ang­st­ein­flös­sen­den wirt­schaft­li­chen Hor­ror­sze­na­ri­en ton­nen­wei­se Sand in die Augen zu streuen.

Am per­fi­des­ten ist aller­dings der Vor­wurf der Schein­hei­lig­keit der Initi­an­ten und Befür­wor­ter, weil er die mora­li­sche Legi­ti­mi­tät der Initia­ti­ve grund­sätz­lich in Fra­ge stellt. Und am här­tes­ten wird die­ser Kampf um die­se mora­li­sche Legi­mi­tät dort aus­ge­foch­ten, wo Fra­gen um Ethik und Ver­ant­wor­tung zen­tra­le The­men sind: in den Kirchen.

Über 600 Kirch­ge­mein­den und Grup­pie­run­gen beken­nen sich zur For­de­rung nach Ein­hal­tung der Men­schen­rech­te. Das ist in den Augen der Geg­ner ein uner­träg­li­cher Affront: 600 Kirch­ge­mein­den und Grup­pie­run­gen sind tat­säch­lich der Mei­nung, dass die Bot­schaf­ten der Sonn­tags­pre­dig­ten auch im rea­len Wirt­schafts­le­ben zum Tra­gen kom­men soll­ten! Was für ein Sakri­leg: Die Kir­chen wagen es, zu mora­li­schen Aspek­ten in der Wirt­schaft Stel­lung zu neh­men. Wo kom­men wir dahin!?

Wie es dem Redak­tor einer Kir­chen­zei­tung im Kan­ton Nid­wal­den gehen kann, der sich erfrecht hat, in sei­ner Kirch­ge­mein­de ein Podi­ums­ge­spräch zwi­schen Befür­wor­tern und Geg­nern zu orga­ni­sie­ren, beschreibt die REPUBLIK in ihrem neu­es­ten Bei­trag zur Abstimmungskampagne:
“Tho­mas Vas­za­ry woll­te in der November­ausgabe sei­ner Zei­tung über ein The­ma berich­ten … Vas­za­ry plan­te nichts Ausser­gewöhnliches, ein Pro und ein Kon­tra. Für die Initia­ti­ve hät­te eine Ver­tre­te­rin der kirch­li­chen Platt­form «Kir­che für Konzern­verantwortung» gewor­ben, gegen die Initia­ti­ve hät­te Eco­no­mie­su­is­se-Prä­si­dent Chris­toph Mäder geschrie­ben, der in Her­gis­wil wohnt. Ein hoch­ka­rä­ti­ger Schlag­abtausch, dem man eines nicht hät­te vor­wer­fen kön­nen: Einseitigkeit.

Aber dem Kir­chen­rat war das zu heiss. Nur drei Tage vor Redaktions­schluss inter­ve­nier­te er bei der Redak­ti­on und ver­bot per sofort alle Arti­kel mit poli­ti­schem Inhalt. In einer E‑Mail äus­ser­te sich der Kirchenrats­präsident besorgt: Arti­kel zu Abstimmungs­vorlagen könn­ten Kirchen­austritte provozieren.

Dia­na Hartz, ehren­amt­lich als Vize­prä­si­den­tin des Kir­chen­rats und beruf­lich als Lei­te­rin der Wirtschafts­förderung Nid­wal­den tätig, sagt auf Anfra­ge der Repu­blik, eine Zei­tung, die mit Steuer­geldern finan­ziert und allen Kirchen­mitgliedern kos­ten­los zuge­stellt wer­de, müs­se allen Lese­rin­nen und Lesern eine Hei­mat bie­ten. «Eine sol­che Zei­tung soll nie­man­den bevormunden.»

Jour­na­list Vas­za­ry sah in der Ein­mi­schung des Kir­chen­rats einen Zensur­versuch. Tat­säch­lich ver­stiess die Inter­vention gegen das Redak­ti­ons­sta­tut, das expli­zit «die Bericht­erstattung über kon­tro­ver­se The­men und deren Kom­men­tie­rung» erlaubt. Ent­spre­chend dach­te Vas­za­ry nicht im Traum dar­an, sich den Ein­griff in die Redaktions­freiheit gefal­len zu lassen.

Die Sache eska­lier­te innert weni­ger Tage, wie Brie­fe und E‑Mails zei­gen, die der Repu­blik vor­lie­gen. Am Ende ging Vas­za­ry auf Kon­fron­ta­ti­on. In einer E‑Mail an alle Invol­vier­ten schrieb er: «Will der Kir­chen­rat künf­tig als obers­te Medi­en-Zen­sur­­be­hör­de der Refor­mier­ten Kir­che Nid­wal­den schal­ten und walten?»

Vas­za­ry ver­zich­te­te in der November­ausgabe der «Kir­chen-News» zwar dar­auf, den Pro- und den Kon­tra-Bei­trag zu ver­öf­fent­li­chen. Aber er mach­te die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Kir­chen­rat öffent­lich und appel­lier­te in einem Essay an die Ver­ant­wor­tung der Stimmbürgerinnen.

Ein Affront für den Kir­chen­rat. Er liess die bereits gedruck­ten 3500 Exem­pla­re der «Kir­chen-News» ver­nich­ten. Und ent­liess Vas­za­ry fristlos.”

In der ein­ge­stampf­ten Aus­ga­be liess sich der Kir­chen­rat u.a. so ver­neh­men: “Wir ver­ste­hen uns als eine Insti­tu­ti­on, die inspi­riert durch die bibli­schen Schrif­ten, Jesus Chris­tus fol­gend, ihren Mit­glie­dern die Schöp­fung mit Inhal­ten ver­mit­telt. … Es ist für uns von zen­tra­ler Bedeu­tung, dass ethi­sche Ver­pflich­tun­gen Aus­wir­kun­gen auf unser Han­deln haben, wobei wir es ableh­nen, theo­lo­gisch dar­über zu urtei­len, was rich­tig oder falsch ist.”

Ver­schwur­bel­ter kann man die fei­ge Hal­tung nicht mehr kaschieren .…

Der Chef­re­dak­tor der Kir­chen­zei­tung und die REPUBLIK konn­ten ihre jour­na­lis­ti­sche Ver­ant­wor­tung unab­hän­gig von irgend­wel­chen wirt­schaft­li­chen Abhän­gig­kei­ten wahr­neh­men. So ist vor­ur­teils­lo­ses, sau­be­res und enga­gier­tes jour­na­lis­ti­sches Hand­werk mög­lich. Wer wis­sen will, wie es zur­zeit um die jour­na­lis­ti­sche Ethik in den gros­sen Zei­tungs­ver­la­gen (NZZ, Tame­dia, usw.) steht, liest am bes­ten den gan­zen REPUBLIK-Artikel.

P.S. 1: Ceter­um Cen­seo: Damit unab­hän­gi­ger, hoch­ste­hen­der Jour­na­lis­mus in der Schweiz über­le­ben kann, braucht es die Unter­stüt­zung von wachen Lese­rin­nen und Lesern. Das Monats­abo der REPUBLIK kos­tet gera­de mal Fr. 22.-

P.S. 2: Kaum zu glau­ben: Jetzt mischt sich sogar noch Wil­helm Tell in den Abstim­mungs­kampf ein. Offen­sicht­lich ist er mit dem “Schweiztum”-Vorwurf von Patrik Mül­ler nicht ganz ein­ver­stan­den ;-):

So wirbt F&H gegen KVI. Wir werben zurück.
Basel lockt weiter down

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