Der Abstim­mungs­kampf um die Ver­län­ge­rung des 14er-Trams gewinnt an Fahrt. Kürz­lich haben Land­rat Tho­mas Noack, SP, und Land­rat Mar­co Ago­sti­ni, Grü­ne, auf Tele­ba­sel ihre Klin­gen gekreuzt. Dabei wur­de sofort wie­der klar, dass es auch bei die­ser Abstim­mung letzt­lich um die Fra­ge geht, ob Sali­na Rau­ri­ca über­baut wer­den soll (Noack: “Schlüs­sel­ent­wick­lungs­ge­biet des Kan­tons” ver­sus Ago­sti­ni: “Retor­ten­stadt”). Pikant: Die grü­ne Stän­de­rä­tin Maya Graf sitzt eben­falls im Ja-Komitee …

Chris­toph Meu­ry hat im birsfälder.li kürz­lich die Argu­men­te für die Über­bau­ung des Sali­na Rau­ri­ca auf den Punkt gebracht:
… Sze­na­ri­en gehen davon aus, dass wir im 2050 im BL mit 318’200 Einwohner*innen rech­nen müs­sen. Da wir die zusätz­li­chen rund 26’900 Einwohner*innen nicht in Zel­ten unter­brin­gen kön­nen, müs­sen wir frü­her oder spä­ter für sie Woh­nun­gen, respek­ti­ve MFH bau­en. Oder, wir schlies­sen die Gren­zen und stop­pen die Zuwan­de­run­gen. Ohne Zuwan­de­run­gen käme aber die wirt­schaft­li­che Pro­spe­ri­tät unse­rer Regi­on ins schleu­dern. AHV und BVG hät­ten noch grös­se­re Finanzierungsprobleme.

Bau­pro­jek­te als Retor­ten­städ­te zu dif­fa­mie­ren, ist wenig kon­struk­tiv .… Retor­ten­städ­te baut schon längst nie­mand mehr. Die Städ­te­pla­ner sind seit den 70er Jah­ren schlau­er gewor­den (oder aus­ge­stor­ben) und wis­sen zwi­schen­zeit­lich sehr genau auf wel­chen Grund­la­gen neue Wohn­quar­tier kon­zi­piert wer­den müs­sen. … Alter­na­tiv könn­te man natür­lich auch das gesam­te Ober­ba­sel­biet und Frick­tal mit Ein­fa­mi­li­en­häu­sern zupflas­tern. Das Resul­tat wäre dann in jedem Fall eine wei­te­re Zunah­me des Pend­ler­ver­kehrs. Was wir in Birs­fel­den sicher begrüs­sen wür­den! Ergo gibt es Sinn, wenn in der Nähe der Wirt­schafts­zen­tren und in unmit­tel­ba­rer Nähe der Arbeits­plät­ze gebaut wird, wenn der ÖV in der Agglo flä­chen­de­ckend aus­ge­baut wird und Velo­schnell­stras­sen die Wohn- und Arbeits­ge­bie­te effi­zi­ent erschliessen.

- und er unter­stützt den Ent­scheid des Basel­bie­ter Regie­rungrats, die Ungül­tig­keits­er­klä­rung der Initia­ti­ve für ein Sali­na-Rau­ri­ca Mora­to­ri­um durch den Prat­te­ler Ein­woh­ner zu sanktionieren:
Grund­satz­ent­schei­de fällt man nicht am Ende eines Pla­nungs­pro­zes­sen und nach 15 Jah­ren inten­si­ver Pla­nung, son­dern am Anfang.

Unser Rechts­staat mit all sei­nen Geset­zen ist auf demo­kra­ti­scher Basis ent­stan­den. Die Fül­le der Geset­ze ist manch­mal zum Ver­zwei­feln, aber man kann die Geset­ze nicht ein­fach dort in Fra­ge stel­len, wo’s nicht passt. Zudem beruft sich auch das besag­te Komi­tee auf Geset­ze und pro­zes­sua­le Mög­lich­kei­ten, wel­che den Pla­nungs­pro­zess stop­pen soll­ten.
 Ein­woh­ner­rat, Gemein­de­rat, Basel­bie­ter Regie­rung, etc. sind Gre­mi­en, wel­che in demo­kra­ti­schen Pro­zes­sen gewählt wor­den sind. Die­se Behör­den haben den Auf­trag die ope­ra­ti­ven Geschäf­te vor­an­zu­trei­ben. Der 15-jäh­ri­ge Pla­nungs­pro­zess hat all die­se Gre­mi­en kor­rekt durchlaufen.

Zu guter Letzt: Es ist frag­wür­dig Pla­nungs­gel­der in Mil­lio­nen­hö­he durch ein all­fäl­li­ges Mora­to­ri­um zu ver­bren­nen. Das sind zu einem gros­sen Teil Steu­er­gel­der und ohne exis­ten­ti­el­le Not ist es ille­gi­tim sinn­los Geld zu ver­nich­ten .
.. 
Noch­mals: Bau­pro­jek­te in die­ser Grös­sen­ord­nung sind Genera­tio­nen­pro­jek­te und dau­ern a prio­ri meh­re­re Jah­re. Daher plant und baut man für die nächs­te, oder über­nächs­te Genera­ti­on. Heisst: Die Genera­ti­on, wel­che der­einst in Sali­na Rau­ri­ca woh­nen und arbei­ten wird, geht zur Zeit in den Kin­der­gar­ten. Das soll­ten sich die Gross­el­tern, wel­che jetzt oppo­nie­ren, mal kurz vor Augen halten.

Ange­sichts die­ser Argu­men­ta­ti­ons­fül­le bleibt dem Komi­tee “aapa­cke” anschei­nend nur noch, in Sack und Asche zu gehen 😉

Ana­ly­sie­ren wir des­halb die Argu­men­ta­ti­on Meu­rys von unten ausgehend.
Las­sen wir die Tat­sa­che ein­mal aus­sen vor, dass heu­te in der Schweiz so neben­bei sang- und klang­los — und ohne recht­li­che Fol­gen — schnell ein paar Mil­li­ar­den ver­brannt wer­den (CS-Skan­dal), so stellt sich tat­säch­lich die Fra­ge, aus wel­chem Grund denn bei einem all­fäl­li­gen Mora­to­ri­um Mil­lio­nen in Rauch auf­ge­hen würden.

Die Ant­wort ist ein­fach: Die Pla­nung ver­lief über wei­te Stre­cken über die Köp­fe der betrof­fe­nen Bevöl­ke­rung hin­weg.

Chris­toph Meu­ry 2014 in der bz über die Sali­na Rau­ri­ca-Pla­nung (Her­vor­he­bun­gen von mir):
” … Seit­her ist viel­leicht hin­ter den Kulis­sen Eini­ges pas­siert. Nur die Öffent­lich­keit hat dar­über wenig erfah­ren. Will man sich auf der ein­schlä­gi­gen Web­site schlau machen, erfährt man so gut wie nichts. Aus­ser ein paar Richt­plä­nen und weni­gen nichts­sa­gen­den PR-Sät­zen erfah­re ich ledig­lich über die Ver­le­gung der Amphi­bi­en­laich­ge­bie­te Erhel­len­des. Bei ein paar münd­li­chen Erkun­di­gun­gen trifft man vor­nehm­lich auf bere­de­tes Schweigen.
Irri­tie­rend ist bei die­ser Recher­che eigent­lich nicht nur die feh­len­de Infor­ma­ti­on, son­dern auch das Ver­hält­nis der Pla­ner zur Öffent­lich­keit. Wir reden hier von der Pla­nung eines neu­en Stadt­teils. Wir reden von einem Gross­pro­jekt. Das heisst, dass die kon­ti­nu­ier­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on, der Dis­kurs, der infor­mel­le Aus­tausch, Par­ti­zi­pa­tio­nen aller Art das Wesen des neu­en Stadt­teils prä­gen werden.”

Tönt das nach einem demo­kra­ti­schen und par­ti­zi­pa­ti­ven Pla­nungs­pro­zess? Ich mei­ne, wohl eher nicht.

Jetzt wird plötz­lich von einer 15-jäh­ri­gen gerad­li­ni­gen und seriö­sen Pla­nung gesprochen.
Wie ist es dann zu erklä­ren, dass noch 2019 der Vor­schlag der Bas­ler Ärz­te­ge­sell­schaft, in Sali­na Rau­ri­ca ein neu­es Spi­tal zu erstel­len, sowohl vom Gemein­de­prä­si­den­ten von Prat­teln als auch vom Areal­ent­wick­ler Losin­ger Maraz­zi freu­dig begrüsst wur­de, — obwohl in die­sem Fall logi­scher­wei­se das Wohn-/Ge­wer­be­pro­jekt auch in den Pla­nungs­pa­pier­korb gewan­dert wäre?

Aus der bz vom 16. Aug. 2019, Inter­view mit Losin­ger Marazzi:
Ihr Vor­ge­hen scheint eher unge­wöhn­lich, da Sie bereits ein Pro­jekt prü­fen, bevor über­haupt die Poli­tik grü­nes Licht gege­ben hat.
Das ist nicht unge­wöhn­lich. Uns geht es ja um das Gesamt­wohl der Ent­wick­lung von Sali­na Rau­ri­ca Ost. Unse­re Moti­va­ti­on ist auch, durch unse­re Arbeit Schwung ins Gan­ze zu bringen.
An der Pres­se­kon­fe­renz hiess es, dass es bereits inter­es­sier­te Inves­to­ren gibt?
Wir sind sehr breit unter­wegs im Immo­bi­li­en­markt. Wir rea­li­sie­ren vie­le Pro­jek­te und haben Kon­tak­te. Da ein Anla­ge­not­stand herrscht, sind zudem Gel­der in hohem Mas­se verfügbar.

Wäre es denk­bar. dass eine Moti­va­ti­on für die Über­bau­ung des Sali­na Rau­ri­ca Are­als auch in der Eta­blie­rung eines guten Anla­ge­pro­jekts für “Big Money” lie­gen könnte?

Chris­toph Meu­ry moniert, es sei unde­mo­kra­tisch, Ent­schei­de von demo­kra­tisch gewähl­ten Gre­mi­en (Ein­woh­ner­rat, Regie­rungs­rat) anzu­fech­ten und sie in ihrer heh­ren Auf­ga­be, “die ope­ra­ti­ven Geschäf­te vor­an­zu­trei­ben”, zu stören.

Die­se Art von Argu­men­ta­ti­on gab es in der Schweiz schon ein­mal im 19. Jahr­hun­dert, als sich die Libe­ra­len mit Hän­den und Füs­sen dage­gen wehr­ten, dass “das gemei­ne Volk” ihnen mit den vor­ge­schla­ge­nen Volks­rech­ten in das Regie­ren hin­ein­pfu­schen könnte.

Machen wir eines klar: Die poli­ti­sche Gewalt liegt beim “gemei­nen Volk”, bei jeder ein­zel­nen Bür­ge­rin (seit 1971), und bei jedem ein­zel­nen Bür­ger. Die­se Bür­ge­rin­nen und Bür­ger tre­ten etwas von ihrer poli­ti­schen Gewalt für eine beschränk­te Zeit an bestimm­te Gre­mi­en wie Ein­woh­ner­rat und Regie­rungs­rat ab mit dem Auf­trag, für das Gemein­wohl der gesam­ten Bevöl­ke­rung zu sorgen.

Wenn nun 832 Bür­ge­rin­nen und Bür­ger in Prat­teln eine ande­re Ansicht als die gewähl­ten Gre­mi­en dar­über haben, was unter “Gemein­wohl” zu ver­ste­hen sei, ist es ihr direkt­de­mo­kra­ti­sches Recht, mit Hil­fe des Volks­rechts “Initia­ti­ve” dar­über eine Dis­kus­si­on mit anschlies­sen­der Abstim­mung zu ver­lan­gen. Und wenn dar­auf­hin der Ein­woh­ner­rat und der Regie­rungs­rat Dis­kus­si­on und Abstim­mung abwür­gen unter dem Vor­wand der Pla­nungs­si­cher­heit, die es so gar nie gege­ben hat (sie­he oben), so ist das schlicht und ein­fach das völ­lig unde­mo­kra­ti­sche Aus­he­beln eines direk­de­mo­kra­ti­schen Werkzeugs.

Und dage­gen wehrt sich das Komi­tee “aapa­cke”, — mei­ner Mei­nung nach abso­lut zu Recht!
“Bür­ge­rin­nen und Bür­ger einer direk­ten Demo­kra­tie sind nicht nur pas­siv Betrof­fe­ne, Objek­te oder Kon­su­men­ten der Poli­tik, son­dern auch akti­ve Sub­jek­te, deren Pro­du­zen­ten. Sie sind alle auch poli­ti­sche Akteu­re und wol­len von den gewähl­ten Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­kern ent­spre­chend behan­delt wer­den.” (His­to­ri­sches Lexi­kon der Schweiz, “Volks­rech­te”)

“… für den Poli­tik­wis­sen­schaft­ler San­dro Lüscher von der Uni­ver­si­tät Zürich ist es legi­tim, dass die Inter­es­sen der Lokal­be­völ­ke­rung höher gewich­tet wer­den. “Denn sie ist es, die ganz unmit­tel­bar von den Aus­wir­kun­gen eines sol­chen Pro­jek­tes betrof­fen sind – sowohl im posi­ti­ven als auch im nega­ti­ven Sin­ne.” Wür­de ein Pro­jekt gegen den Wil­len der Lokal­be­völ­ke­rung durch­ge­setzt, gewis­ser­mas­sen machia­vel­lis­tisch, so Lüscher, “wider­sprä­che das der demo­kra­ti­schen Aus­hand­lungs­kul­tur, wie wir sie ken­nen und leben. Und dies wür­de das Ver­trau­en in die loka­len Behör­den nach­hal­tig schädigen.”
(swiss­in­fo: “Wenn die Bür­ger sagen: Nicht in unse­rem Hinterhof!”)

Mor­gen folgt der zwei­te Teil der Ana­ly­se zu Chris­toph Meu­rys Argu­ment, dass die Über­bau­ung aus wirt­schafts- und bevöl­ke­rungs­po­li­ti­scher Sicht ein unbe­ding­tes Muss ist.

 

 

Aus meiner Fotoküche 9
Montag: Wegen zu geschlossen!

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