Das folgende Bild zeigt das Hafenareal zwischen 1945 und 1949.
Deutlich zu sehen die Kiesgrube und die ersten Mineralöltanks. Ansonst: Ackerland ohne nachhaltige Biodiversität …
Mit Medienmitteilung vom 19. Mai 2020 stellt uns die Gemeinde Birsfelden ihr »Leitbild Natur« vor. Da die Beschäftigung mit dem Hafen Birsfelden in der letzten Zeit ein Schwerpunkt war, soll hier das Leitbild vor allem aus der Perspektive des Hafens, respektive der Hafenentwicklung betrachtet werden.
Die blauen Texte sind aus dem Leitbild Natur entnommen, die schwarzen Texte sind Redaktionsarbeit.
In der Medienmitteilung wird betont, dass das Leitbild unter der Federführung von Gemeinderätin Désirée Jaun und unter Mitwirkung des Natur- und Vogelschutzvereins Birsfelden (NVVB) entstanden ist. Eine weitere Mitwirkung wurde offenbar nicht angestrebt.
In einer Zeit, in der jede Verordnung der Gemeinde vor Inkraftsetzung in eine Vernehmlassung gegeben wird, ein spezielles Vorgehen … Vor den Wahlen meinte Désirée Jaun: »Im Rahmen des Leitbildes für Natur‑, Grün- und Freiräume, das zurzeit finalisiert und anschliessend der Bevölkerung vorgestellt wird, werden auch Massnahmen erarbeitet, die einen Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise leisten sollen. Diese werden unter anderem der Gemeindeversammlung vorgeschlagen.« Ist das Leitbild Natur erst ein Vorschlag, der noch bearbeitet werden soll?
Nun zu einzelnen Punkten:
1 Die Grundsätze zum Umgang mit dem Natur‑, Grün- und Freiraum
1. Die Gemeinde trägt den vorhandenen wertvollen Lebensräumen an Birs und Rhein Sorge.
2. Sie fördert die Artenvielfalt, insbesondere auch im Siedlungsraum; dabei orientiert
sie sich an den aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Siedlungsökologie.
3. Das Siedlungsgebiet ist wo immer möglich naturnah ausgestaltet.
4. Die Bevölkerung ist über die Aspekte der Siedlungsökologie sowie deren Werte
und Bedeutung für die Lebensqualität in Birsfelden gut informiert.
5. Die Gemeinde agiert in Sachen Ökologie und Biodiversität als Vorbild, animiert
dadurch zur Nachahmung und erhöht damit die Standortqualität.
Was macht einen Lebensraum wertvoll? Welches sind die »aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Siedlungsökologie«? Wie definiert sich naturnah in einer Siedlung? Wer informiert die Bevölkerung über »die Aspekte der Siedlungsökologie sowie deren Werte und Bedeutung für die Lebensqualität«? Usw.
Die Grundsätze sind schön und gut. Doch wer definiert sie? Irgendwie sind sie multifunktional, beliebig, und können je nach politischer Position oder Arealentwicklungsabsichten interpretiert werden.
Wie unterscheidet sich z.B. Naturraum von Grünraum und Freiraum? Sind wir da in der Fachsprache der Landschaftsplaner und Ökologen angekommen und sind sich diese in der Sache einig?
Die AutorInnen des Leitbildes versäumen es die Verwendung ihrer Begrifflichkeiten eingangs zu definieren. Das wäre dringend nachzuholen.
Der Sinn und Zweck des Papiers als Handlungsanweisung wird ebenfalls ungenügend ge-
klärt. Dazu müssten Fragen der Rechtsverbindlichkeit beantwortet werden. Wie bereits erwähnt: Das Papier operiert wild auf fremdem Territorium. Da müsste das Papier Hinweise enthalten, wie mit diesen Eigentümern verhandelt, oder kooperiert wird.
In der Argumentation unsauber: Es kann z.B. nicht die Aufgabe der Gemeinde sein: Artenvielfalt zu garantieren. Die Gemeinde kann sich aber für adäquate Bedingungen einsetzen. Mehr nicht.
2 Der detaillierte Zielkatalog
A Ziele zum Erhalt und zur Optimierung der Artenvielfalt-Hotspots und der naturnahen Lebensraumvielfalt
»ZIEL 2
Die mageren, trockenen Böschungen im Gebiet der Schleuse werden als Lebensraum für seltene Tiere und Pflanzen wiederhergerichtet und fachgerecht unterhalten.«
Stellt sich die Frage, wer dafür verantwortlich ist und wer die Kosten trägt …
Die Parzelle 1550 gehört der Kraftwerk Birsfelden AG. Sie will die Parzelle für ein Bauprojekt nutzen. Das ist bekannt. Also gibt es einen Zielkonflikt. Der Konflikt könnte nachhaltig nur gelöst werden, wenn die gesamte Schleusenparzelle umgezont würde und das gesamte Gelände an die Gemeinde zurückfällt und als Grünzone deklariert würde. Das müsste man aber so benennen.
Vielleicht rafft sich ja die SP Birsfelden, die sich vehement für das Erholungsgebiet einsetzen will, dazu auf, diese Umzonung zu beantragen und endlich Nägel mit Köpfen zu machen?
Zudem: Das STEK und das neue Leitbild Natur der Gemeinde widersprechen sich, zumindest in den groben Zügen.
• Während das STEK vorsieht, dass auf der Kraftwerk-Parzelle 1550 – im STEK Gebiet E2.2 genannt – eine „angemessene städtebauliche Struktur“ anzustreben sei,
• heisst es im Naturleitbild, dieser Korridor bleibe „unverbaut“ und sei für „hochwertigen Natur- und Grünraum“ vorgesehen.
Das STEK ist behördenverbindlich, das Leitbild aber nicht.
»ZIEL 3
Die wertvollen Restflächen mit Ruderal- bzw. Trockenvegetation und seltenen Tier und Pflanzenarten im Hafengebiet der SRH (Schweizerischen Rheinhäfen) und in der Industrie (Hafenzone) bleiben analog der Aussagen des kantonalen Nutzungsplanes (Mutation 2019) in ihrer Summe erhalten, werden optimal unterhalten und miteinander vernetzt. Wo möglich, werden diese Flächen auf ca. 10% der Gesamtfläche vergrössert.«
Da wird also im »Zielbild Hafen Birsfelden 2040+« propagiert, dass der Hafen besser genutzt und die vielen Brachen verwertet werden sollen, damit Birsfelden aus dem Hafenareal auch ein bisschen mehr Gewinn schöpfen kann — und nun sollen z.B. die Staatsgrube und der Kiesplatz beim Planzer-Areal als Restfläche erhalten bleiben und optimal gepflegt werden. Wohl in Unkenntnis, dass die Besitzerin der Staatsgrube dort 5 Baurechtsparzellen ausgeschrieben hat. Oder in Kenntnis um diese Projekte zu sabotieren?
Es ist unlauter, wenn unterschlagen wird, dass die Staatsgrube bereits in einem Planungsperimeter liegt und erste Projektskizzen bereits vorliegen.
Für das Projekt Staatsgrube wurde einiger Aufwand betrieben. So musste die Gemeindeversammlung eine Waldverschiebung bewilligen. Ebenso musste für den Glögglifrosch der Hardwald aufgewertet werden. Das Birsfelderpünggtli hat über beides berichtet.
Die Gemeinde Birsfelden hat beim Hafen keinen Zugriff. Das Areal gehört dem Kanton Baselland und wird von der SRH verwaltet. Die Gemeinde hat auch kein Mitbestimmungsrecht. Ergo können Projekte im Bereich Naturschutz nur als Wünsche an die Besitzerin formuliert werden. Auch da wird es aber Zielkonflikte geben. Das Papier müsste diese Zielkonflikte benennen.
B Ziele der spezifischen Förderung überregional bedeutender Arten
»ZIEL 7
Die Lebensräume der Basler Varietät der Bienen-Ragwurz im Hafen sind gesichert und werden optimal unterhalten.
Die Bienen-Ragwurz ist in der seltenen Basler Varietät (Ophrys apifera var. basiliensis) nur vom Rheinbord von Birsfelden und Muttenz bekannt. Ihr Lebensraum, die Halbtrockenrasen an den Rheinböschungen, muss unter besonderer Berücksichtigung ihrer Ansprüche gepflegt werden.«
Ziel 7 ist ein Exot. Wer erklärt die Bienen-Ragwurz zur schützenswerten Pflanze?
Da stellt sich die Frage der Verhältnismässigkeit.
Wer ist für die Pflegemassnahmen verantwortlich und wer bezahlt diese?
Zudem: Offensichtlich ist der Rhein nicht geschützt, oder das Papier hält ihn nicht für schützenswert. Wie die verschiedenen Ölhavarien aber zeigen ist der Rhein (und damit die Fauna und Flora) in höchstem Masse gefährdet und die Gemeinde Birsfelden müsste ein höchstes Interesse daran haben Schutzmassnahmen zu fordern und stellvertretend eine Sorgfalltspflicht zu monieren. Der Rhein ist Teil der Naturlandschaft und als Naherholungszone der EinwohnerInnen unverzichtbar.
Kleiner Scherz:
Eigentlich sind die Ragwurze eh eine verachtenswerte Pflanze aus dem Mittelmeerraum (Neophyte?), die auf schelmische Weise männliche Insekten zur Kopulation verführen wollen. Siehe Wikipedia.
C Ziele zur Vernetzung von Lebensräumen
»ZIEL 9
Die Vernetzung der wertvollen Offenland-Lebensräume entlang der Birs und des Hochrheintals wird gewährleistet.
Das Stärken der ökologischen Werte an den Rändern stützt sich auf
eine Reihe bereits vorhandener Naturwerte ab (vgl. Objekte: Hagnau, Obere Birsböschung, Unterer Vorhafen Süd, Kraftwerkinsel Ostböschung und Spitz, Biotop ‘Am Stausee’, Oberer Vorhafen Süd, Kiesplatz Planzer-Areal, ARA Birs, Autobahnauffahrt Hagnau, Hecke Freulerstrasse, Rhypark-Wiesen gemäss Naturinventar).
Zur Verbesserung der aktuellen Vernetzungssituation sind verschiedene Massnahmen nötig, namentlich das Aufwerten der Böschungen im Bereich der Schleuse (Ziel 2) und das Fördern artenreicher Ruderalflächen im Hafenareal (Ziel 3).«
Ob diese Förderung auch dazu dienen soll, die Bebauung und Bessernutzung des Hafenareals zu verhindern?
Die Vernetzungsgeschichte ist mit Sicherheit ein taktisches Manöver. Mit dieser Argumentation bietet man Hand für zukünftige Einsprachen. Das kann nicht im Sinn und Geist der Gemeinde sein.
Die Vernetzungsidee ist eine unbegründbare Fantasie. Der angeführte Gartenrotschwanz wird sich nicht an der Vernetzung orientieren. Wäre die Vernetzung eine Voraussetzung, hätte der Vogel längstens nicht überlebt. Aber vermutlich ist ihm dies egal und er überfliegt die Probleme …
F Ziele zur Förderung des Grün- und Freiraums im Siedlungsgebiet
»ZIEL 19
Die naturnahe Begrünung des Strassenraums wird überprüft und verbessert.
Mit einem Konzept soll geklärt werden, wo sich der Baumbestand im Strassenraum erweitern lässt.
Hierbei soll ein spezielles Augenmerk auf eine bessere Durchgrünung des Hafenareals gelegt werden; hier besteht das grösste Defizit. Insgesamt soll die Funktion des Strassenraums – neben dem Verkehr – noch stärker auf das Stadtklima und das Wohlbefinden der Menschen ausgerichtet werden.«
Stellt sich die Frage, welche Baumarten im Hafen tatsächlich Bestand haben könnten.
Mit Verlaub, das ist ein unausgegorener Quark. Aber wenn man einen teuren Landschaftsplaner beschäftigen will, na dann. Für die LKW’s ist es natürlich angenehmer, wenn sie durch Baumhaine kurven dürfen und ein Betonmischwerk sieht einfach in grüner Umgebung hübscher aus. Sei’s drum: Der Hafen gehört dem Kanton und der hat an einer Begrünung und damit Nutzungseinschränkung vermutlich wenig Interesse.
Bilder: Titelbild: Theodor Strübin © Archäologie und Museum Baselland; Rheinufer: aus STEK Schlussbericht;
Plan Staatsgrube: www.südport-birsfelden.ch
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Im nächsten Artikel können Sie die Fragen zur Sicherheit lesen, die wir zusammen mit Fachpersonen der Gemeinde am 19. Juni 2020 besprechen wollen …
Christoph Meury
Jun 12, 2020
Nicht, dass man uns falsch versteht: Natürlich sind wir auch für Naturschutz und sind klar der Meinung, dass die Bestrebungen intensiviert werden müssen, um sowohl die Artenvielfalt, wie auch ein Optimum an Biodiversität zu garantieren. Es ist aber befremdend, wenn ein Leitbild Natur nur von ein paar Spezialisten im Backoffice entwickelt wird und dann ohne weitere Diskussionen und Vernehmlassungen vom Gemeinderat sanktioniert wird. Naturschutz ist nichts Axiomatisches, ergo kann man auch zum Naturschutz unterschiedliche Ansichten vertreten. Diese Meinungsvielfalt bildet das vorliegende Leitbild nicht ab. Die VerfasserInnen behaupten Naturschutz-Massnahmen, ohne Begründungen. Die 24 Ziele sind unreflektierte Vorgaben, welche stark ideologisch ausgerichtet sind.
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Die meisten der vorgeschlagenen Massnahmen oder Zielvorgaben sollten auf fremden Arealen realisiert werden. Das heisst aber letztlich, dass diese Massnahmen nur umgesetzt werden können, wenn die Eigentümer der Areale damit auch einverstanden sind und entsprechend Hand bieten. Die AutorInnen des Leitbildes Natur haben es versäumt die Besitzverhältnisse klar aufzuzeigen und darauf hinzuweisen, dass die Ziele nur mit partizipativen Positionen erreicht werden können. Es wäre die Aufgabe der AutorInnen gewesen solche partizipativen Modelle aufzuzeigen und Verantwortlichkeiten und Vorgehensweisen zu definieren. Bereits im Vorfeld hätten Kontakte zu den wichtigsten Eigentümerschaften (Kanton BL & SRH, Kraftwerk Birsfelden AG, Bürgergemeinde BS, Christoph Merian Stiftung, etc.) aufgenommen werden müssen, um in einem kooperativen Vernehmlassungsverfahren die Möglichkeiten & Grenzen des Massnahmenkataloges zu überprüfen.
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Das vorliegende Leitbild ist ein Wunschkatalog. Hat aber wenig Substanz, weil ihm die rechtliche Grundlage fehlt und das Papier ebenfalls nicht aufzeigen kann, wie die Massnahmen durch- und umgesetzt werden. In diesem Sinne ist das Leitbild ein Wohlfühlpapier. Es gibt allen Beteiligten das gute Gefühl Richtiges getan zu haben. Aber es lahmt bei den Umsetzungsoptionen. Eigentlich müsste das Leitbild zurück an die AutorInnen, um es mit einer Handlungsagenda, einem Fahrplan, Umsetzungsoptionen, klaren Verantwortlichkeiten, Partizipationsmodellen, Finanzierungsvorschlägen, etc. zu ergänzen.
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Beispiel: Der Waldfinger entlang der Hardstrasse gehört der Bürgergemeinde Basel-Stadt. Es gab in der Vergangenheit bereits Vorschläge um das vernachlässigte Waldstück adäquat aufzuwerten. Die Besitzerin hat sich damals nicht grundsätzlich gegen Veränderungen gestäubt, hat aber klar signalisiert, dass aus ihrer Sicht kein Handlungsbedarf besteht. Daher war klar, dass Eingriffe nur mit Zustimmung der Bürgergemeinde BS erfolgen könnten und dass dies nur via einer Fremdfinanzierung möglich wäre. Die Abteilung «Leben in Birsfelden« wiederum, hat das damals vorliegende Projekt aus prioritären Gründen abgelehnt. Letztlich begründungslos wurde das privatinitiierte Projekt in die Wüste geschickt. Fazit: Alle Involvierten haben bekräftigt, dass Handlungsbedarf bei der Waldaufwertung besteht. In der Praxis wollte aber niemand die Verantwortung übernehmen, niemand Geld und Manpower zur Verfügung stellen. Es war einfacher den Wald quasi seinem Schicksal zu überlassen.
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Die folgenden Trockenperioden und die mangelnde Waldpflege haben dann Fakten geschaffen und Notrodungen waren plötzlich zwingend. In Windeseile und wahllos wurden Bäume gefällt und liegen teilweise jetzt noch kreuz und quer in besagtem Waldstück. Die Gelegenheit wurde nicht genutzt, um den Wald ordentlich instand zu stellen und einen Wertwert für Mensch und Natur zu schaffen. Kurzum: Lippenbekenntnisse nutzen wenig, wenn keine Taten folgen und keiner Geld in die Hand nehmen will.