Wir erleben die größte humanitäre Katastrophe seit Jahrzehnten, aber »der Flüchtling« kommt in der öffentlichen Diskussion nur als Asylant, als Problem vor. Das Problem sind mögliche wirtschaftliche Motive, die Italiener (die nicht ordnungsgemäss registrieren), die skupellosen Schlepper (die sich dumm und dämlich bereichern), natürlich ist auch die Herkunft ein Problem und wenn alles das nicht, dann sicher die Religion.
Dass aber hinter »dem Flüchtling« auch ein Mensch steckt, der vielleicht monatelang durch die Wüste marschierte, der sein letztes Geld für die Mitfahrt in einer lebensgefährlich überfüllten Nussschale bezahlte um einem Land mit fast totaler Kriegsverwüstung zu entkommen, bleibt auf der Strecke.
Wenn sich dann der bürgerliche Luzerner Regierungsrat bemüssigt fühlt, die Lage in Eritrea anders als alle europäischen Staaten zu beurteilen und einen Asylstopp verlangt, ist es klar, dass Nationalratswahlen bevorstehen. Und wenn dann vorgängig unter der Ägide des bürgerlichen Zuger Rechtsaussen-Nationalrats Gerhard Pfister (C?VP) und dem Einverständnis des bürgerlichen Parteipräsidenten Darbellay (C?VP) verlangt wird, die Asylgangart wesentlich zu verschärfen, scheint es klar, dass auch ein bürgerlicher Schwyzer (nicht Schweizer) Landamman Andreas Barraud (S?VP) versucht sein Scherflein Wählersympathien zu ergattern.
Das Ganze wird dann der Presse zugespielt und anschliessend in den Leserkommentaren eifrig kommentiert. Die Zustimmung zu diesem Vorgehen der Luzerner und Schwyzer Regierung ist gross und gewisse drohende Kommentare lassen Schlimmeres vermuten, z.B. im Tagesanzeiger:
»Falls die grenzenlose Zuwanderung, davon ein beachtlicher Teil langfristig zu Lasten der öffentlichen Hand, nicht drastisch gesenkt wird, werden wir schon in relativ wenigen Jahren brennende Asylheime nur als Randnotiz wahr nehmen.«
Natürlich nicht dazu aufgerufen, aber davor gewarnt: Ich habe es ja immer gesagt … und in Deutschland brennen die Asylheime ja schon …
Ich befürchte, dass der Stil des kommenden, oder wohl besser gesagt des laufenden Wahlkampfs, in diese Richtung läuft. Wenn sich die bürgerlichen Parteien am Elend der Flüchtlinge zu profilieren suchen, dann gilt es genau hinzuschauen und hinzuhören.
Und nachher entsprechend zu wählen …
Vielleicht fragen Sie sich langsam was das Bild zu diesem Artikel soll. Nun, die Frau heisst Anja Reschke und hat Ihnen etwas Besonderes zu sagen.
Die Weisheit zum Artikel:
Selbst wenn du nicht politisch bist
und dich aus allen raushalten willst,
schreibst du an der Zukunft mit.
(Laurie Penny)
ueli kaufmann
Aug 8, 2015
Danke Franz!
Was Anja Reschke nicht sagt, dürfen wir Schweizer vorläufig noch vom entfernten Gebirg nach Norden rufen. Beim nördlichen Nachbarn schnippseln sie derzeit an einem Gesetz, das ermöglichen soll, fehlende Facharbeiter sofort oder schneller zu integrieren.
Haben wir das nicht schon gehabt?
Herr Dr. M. (NsdAP) steht auf der Rampe, Arbeitsfähige nach rechts, alle anderen nach links.
Frau Dr. M. (C?DU) steht auf dem Bahnsteig, Fachkräfte nach rechts, alle anderen nach links.
Es ist langsam Zeit, dass sich die Kirchen ihr C rechtlich schützen lassen, damit nicht jeder Parteifunktionär damit Schindluderei betreiben kann.
Noch sinnvoller wäre, die Kirchen würden ihr C auch umsetzen, die Trittbrettfahrer vom Zug werfen und von der Rampe verbannen, dafür Bedürftigen die Hand reichen.
Peter Oser
Aug 8, 2015
Lieber Franz
Du sprichst mir aus dem Herzen! Ich bin nun gespannt, ob endlich CVP-Politiker oder ‑Mitglieder aus Birsfelden und Umgebung den Mut finden, sich öffentlich gegen die Schlagworte Ihrer Vordenker zu wehren.
franz büchler
Aug 8, 2015
Lieber Peter,
Du hoffst auf eine Stellungnahme von C?VP-Politikern?
Diese Hoffnung habe ich schon lange aufgegeben, besonders auch was Birsfelden betrifft. Und Gemeideratswahlen sind ja erst im Februar 2016. Da muss man sich noch nicht mit einer Meinung exponieren. Bis dahin kann man sich ja noch gut verstecken. Und bis dahin ist ja auch alles wieder vergessen …
Die leiden alle unter einer Allodoxaphobie!
hasira
Aug 10, 2015
In den ersten Monaten dieses Jahres kamen in Griechenland über 60’000 Flüchtlinge an. Dank dem Schengenabkommen bleibt die Schweiz weitgehend verschont. Neben der humanitären Katastrophe, die sich im von Schulden geplagten Griechenland abspielt, kommt nun die zweite humanitäre Katastrophe dazu.
Leider weiss ich nicht mehr, wer den folgenden Ausspruch (sinngemäss) machte:
»Die Schweiz sitzt in der Loge der Neutralität und spuckt den kämpfenden Völkern auf die Köpfe.«
Aber irgendwie trifft er zu …
rugeli
Aug 10, 2015
Tönt nach Dürrenmatt oder Meienberg.
Kritischi
Aug 10, 2015
Herr Kaufmann,
Man mag vom geplanten Einwanderungsgesetz halten, was man will- ein Vergleich mit der Mordmaschinerie im 3. Reich ist unerträglich. Übrigens müssen ganz einfache Zuwanderer in die Schweiz einen unbefristeten Arbeitsvertrag vorweisen- sonst gibt es auch keine B Bewilligung. Und im Gegensatz zur Schweiz dauert es in Deutschland sehr lange, bis Flüchtlinge arbeiten dürfen. Dabei wäre damit allen gedient- den einen damit, ihren Lebensunterhalt selbst verdienen zu können, den anderen, weniger Kosten zu haben- und evtl. Im ein oder anderen Mangelberuf mehr Arbeitskräfte zu finden. Zu gerechten Bedingungen natürlich.
Franz Büchler
Aug 11, 2015
Ich habe in der letzten Zeit in einigen Blogs und Foren geblättert. Wenn ich den dortigen Jargon bei Themen wie Asylanten und Ausländer bewerten müsste, kämen mir ähnliche Vergleiche in den Sinn.
Wenn Frau Merkel wertere und unwertere Asylanten und Ausländer bei der Zulassung unterscheiden will, ist das doch eigentlich nur eine subtilere Form dessen, was auf der Rampe passiert ist.
Wird denn auf solche Vergleiche darum so empfindlich reagiert, weil sie so verdammt nahe dran sind?
Kritischi
Aug 11, 2015
Nein. Weil das eine Massenmord war und das andere eine in den meisten Teilen der Welt- inklusive der Schweiz- praktizierte Einwanderungspolitik. Komisch, in, sagen wir mal, Australien gibt es deutlich härtere Einwanderungsgesetze. Da kommt niemand auf denVergleich. Es ist legitim, wenn ein Land Einwanderer bevorzugt, die Volkswirtschaftlichen Nutzen bringen. Das tut die Schweiz auch. Da jedesmal die Nazi Keule auszupacken ist wirklich komplett daneben. Merken Sie den Unterschied nicht? Und: Frau Merkel ist wahrlich nicht meine Freundin. Ich halte auch nicht viel von dem Gesetz. Dass aber ausgerechnet Schweizer, die mehrheitlich sogar gegen die Schengen Vereinbarung gestimmt haben, Deutschland jetzt vorwerfen, eine gewisse Steuerung der Einwanderung zu wollen und dies mit der Selektion der Nazis vergleichen macht mich sprachlos. Was ist denn in der Schweiz besser?
Franz Büchler
Aug 11, 2015
Ja, der Vergleich ist überzogen. Aber ich sage ja nicht dass die Einwanderungsgesetze in der Schweiz (und Australien, etc.) gut sind. Und hier schreibt auch nicht die Schweiz, sondern der Kaufmann und der Büchler.
Wenn ich aber zum Thema Asylsuchende schreibe, habe ich immer auch das Grab im Mittelmeer vor Augen. Und dort geschieht im Moment ein Massenmord.
annacarla
Aug 11, 2015
Massenmord, Mord, Totschlag?
Sicher ist es unterlassene Hilfeleistung.
hasira
Aug 11, 2015
Was für die Menschen im nassen Grab auf das Gleiche herauskommt.
Kritischi
Aug 11, 2015
Nachtrag: ich bin sicher, dass Sie in einigen Foren Einträge gelesen haben, die tatsächlich in die Nähe der Nazis kommen. Auch das ist unerträglich. Denn wir alle sind Menschen. Einige von uns hatten nur das Glück, in einem sicheren und wohlhabenden Land geboren zu werden. Es ist wirklich Zeit für einen Aufstand der Anständigen. Ich trete jeglicher Hetze, egal von welcher Richtung, entgegen. Es fängt nicht im großen an. Kleine Dinge verändern die Welt.
ueli kaufmann
Aug 11, 2015
Doch, liebe Kritischi,
ich bestehe auf dem Vergleich. Er ist zwar von Frau M. nicht gemeint wie von Herrn M. Die Folgen sind aber letztlich die gleichen, und die Arroganz des/der Herrschenden ist es eben auch. Wie das z.Z. in Deutschland läuft, ist eigentlich egal. Das wurde von mir eingebracht, weil es dort aktuell diskutiert wird, von den mehrheitlich christlichen Parteien. Übrigens wird es hier von den christlichen Parteien noch nicht diskutiert, allenfalls, aus anderen Gründen, von den neoliberalen.
Es waren nicht Gewerkschaften oder Sozialdemokraten, die in den 60-erjahren Italiener in die Schweiz geholt haben. Es waren die Unternehmer. Mir wird übel, wenn z.B. die EMS-Chemie sich nun, angesichts des unvermeidbaren Schicksals der linken Rampe, die gewinnbringenden Rosinen rechts der Rampe rauspicken kann, und gleichzeitig mit den anderen Wahlkampf macht.
Was glauben Sie denn, was mit Syrern, Eritraern und all den anderen Ausgeschafften in deren Heimatländern geschieht? Werden die dort mit offenen Armen empfangen?
Was an der Rampe des Herrn M. geschah, wussten viele deutsche, viele nichtdeutsche Europäer nicht oder spät.
Was hier geschieht ist weltweit jeden Abend im TV zu sehen.
Prüfen Sie selbst, schalten Sie an!
Doch: Ich bestehe auf dem Vergleich. Wir können weissgott nicht sagen: Wir haben es nicht gewusst.
Übrigens: Dieser Artikel und die Kommentare dazu wird von vielleicht 300 Personen gelesen. Kleine Dinge verändern die Welt.
P.Büschi (Exil-Birsfelder)
Aug 12, 2015
Ich finde diese Dame — Regula Stämpfli -, hat es auf den Punkt gebracht
http://www.blickamabend.ch/kolumnen/fadegrad/schuld-suehne-id4056579.html
Wer nun immer noch meint, all das hat mit uns der Schweiz nichts zu tun, der lebt wohl eher ein Leben durch die rosarote Brille!
Übrigens als meinen Eltern in den 60-er Jahre aus dem armen Graubünden nach Birfelden gezügelt sind, waren die auch eine Art Flüchtling, weil die in ihrer alten Heimat (Kanton Graubünden) damals nicht hätten überleben können. So haben damals viele Schweizer am eigenen Leib erlebt, was es heisst ihre alte Umgebung zu verlassen.…ich bin extra nicht noch früher zurückgegangen, denn sonst müsste ich ins 19. Jahrhundert zurück wo die Schweizer so arm waren, um ihr Glück in Nordamerika zu versuchen. Aber eben die fette Schweiz von heute ist sowas von verblendet, dass wohl eine Mehrheit dieser Verblendeten kaum eine Ahnung noch davon hat.
Brigitte Sacchi
Aug 12, 2015
Danke an Franz Büchler und Ueli Kaufmann, dass ihr so klar Stellung bezieht gegen diese menschenverachtende Gesinnung, die sich in unserer Gesellschaft immer weiter ausdehnt! Dass das Thema wichtig und die öffentliche Diskussion nötig sind, zeigt sich nicht zuletzt an den emotionalen Kommentaren von Kritischi (who’s that?).
Kritischi
Aug 14, 2015
Lieber Herr Kaufmann-
Da gibt es ein Missverständnis- ich sprach von Einwanderung der Arbeit wegen. Selbstverständlich ging es mir ausdrücklich nicht um Flüchtlinge . Die Menschen, die aus den von Ihnen genannten Ländern flüchten, werden übrigens fast alle in der Eu anerkannt. Für einige Länder aus dem Balkan gilt das nicht, ob die wirklich sicher sind- gerade zB für Roma — wage ich zu bezweifeln. Ich halte die gesamte Flüchtlingspolitik des Schengenraums für völlig verfehlt, gerade die reicheren Länder, die nicht an das Mittelmeer grenzen, können die Menschen einfach zurückweisen und lassen zB Griechenland und Italien mit dem Problem alleine, die Flüchtlinge im Elend. Uns geht es gut. Wir haben sauberes Wasser und Nahrung und ein Dach über dem Kopf. Und vieles mehr. Die Hetze gegen Flüchtlinge ist unerträglich. Und ja, vieles von der Politik hausgemacht. Was das c im Namen dieser Parteien noch soll, frage ich mich schon lange. Trotzdem- Vergleiche mit dem 3. Reich sind wenig sachdienlich. Sie polarisieren nur. Ich bin mehr dafür, einen Aufstand der Anständigen zu machen, wie das schon oben artikuliert wurde. Nochmal möchte ich betonen: es geht mir nicht um Flüchtlinge, sondern um ganz normale Arbeitsimmigranten.
ueli kaufmann
Aug 14, 2015
OK! Alles in Minne. Eine Ausnahme: Arbeitslosigkeit, fehlende Sozialleistungen und Perspektivlosigkeit sind auch Fluchtgründe.
Dazu eine Geschichte: Mein Urgrossvater musste vor rund 140 Jahren, um seine junge Familie zu ernähren, eine Kuh verkaufen. Das Dumme war, die Kuh gehörte nicht ihm. Als das gerichtlich geklärt war, sollte die Familie ausgeschafft werden. Von Therwil BL nach Escholzmatt LU. Das Wort ausschaffen gab‘s noch nicht, man nannte das armengenössig. Dafür war der Heimatort zuständig. Die Wahl zwischen Pest (armengenössig) und Cholera (arbeitslos) umging er, indem er auswanderte. Mit Frau und zwei Kleinkindern, zu Fuss mit zwei Leiterwagen.
Auch Armut, Hunger und Durst sind ein Fluchtgrund, damals wie heute!
Das Jammern der KMU-Handwerksbetriebe, sie könnten Lehrstellen nicht mehr besetzen, es würden 30.000 Lehrlinge fehlen, kann ich nicht mehr hören.
rugeli
Aug 14, 2015
Wer oder was polarisiert? Ich denke an die Abstimmungsplakate der Wurst und Brot Partei, die sich seit Jahren in den Abstimmungsplakaten verbal und grafisch an die Nazis anlehnt und damit die Stimmbürger spaltet. Das nennt man polarisieren. Und das darf auch mal gesagt sein.
Kritischi
Aug 15, 2015
Ja, natürlich sind auch Armut, Hunger und Durst Gründe für eine Flucht. Wie gesagt, uns geht es gut. Selbst Menschen, die nach unseren Masstäben arm sind, sind, global gesehen, immer noch sehr gut situiert — und sicher. Das ist ja auch das, was in dem Kommentar von Anja Rescke gesagt wird. Ich habe immer wieder in Internetforen Diskussionen mit Leuten, die am liebsten alle Ausländer ausschaffen wollen und alle für Verbrecher halten. Rugeli, da stimme ich Ihnen völlig zu. Diese Plakate sind sehr übel.