In die­ser locke­ren Serie erlau­be ich mir, Bücher vor­zu­stel­len, die mich berührt, beschäf­tigt und auf mei­nem eige­nen Ent­wick­lungs­weg ein Stück wei­ter gebracht haben. Mag sein, dass der eine oder ande­re Titel auch das Inter­es­se der geneig­ten Lese­rin und des geneig­ten Lesers weckt.

Zu Beginn ein aktu­el­les Buch, das mich immer wie­der mal an indi­ge­ne Autoren wie Jack For­bes (Die Weti­ko-Seu­che) oder Yaku Perez Guart­am­bel (Der Wider­stand) mit ihrer Kri­tik an der west­li­chen Zivi­li­sa­ti­on erin­ner­te: Das Ende der Megama­schi­ne. Geschich­te einer schei­tern­den Zivi­li­sa­ti­on.

Eine War­nung im Vor­aus: Wer sich an die Lek­tü­re die­ses Buchs wagt, ris­kiert, dass sein Geschichts­bild, wie es ihm in der Schu­le ver­mit­telt wur­de, eine mas­si­ve Erschüt­te­rung erfährt.
Klei­ne Kost­pro­be gefällig?
In der gän­gi­gen Erzäh­lung von Euro­pa als Wie­ge von Frei­heit, Demo­kra­tie und Wohl­stand wird die Expan­si­on der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­wei­se im 18. und 19. Jahr­hun­dert als Vor­aus­set­zung für die schritt­wei­se Durch­set­zung demo­kra­ti­scher Rech­te betrach­tet. Markt­wirt­schaft und Demo­kra­tie sind in die­ser Erzäh­lung ein untrenn­ba­res Zwil­lings­paar. Auch wenn es nach der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on eini­ge Rück­schlä­ge und Ver­zö­ge­run­gen gab, so war doch der Weg zur Demo­kra­tie vor­ge­zeich­net, den das auf­ge­klär­te Bür­ger­tum uner­schro­cken beschritt, inspi­riert von den Idea­len der ame­ri­ka­ni­schen Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung. Und weil der Wes­ten die Demo­kra­tie erfun­den hat, ist er gemäß die­ser Erzäh­lung auch zu einer welt­ge­schicht­li­chen Mis­si­on beru­fen, er darf nicht nur, nein, er muss die­se sei­ne Errun­gen­schaf­ten mit Nach­druck ver­brei­ten, zur Not auch mit Gewalt.

Es ist bemer­kens­wert, wie popu­lär die­se Erzäh­lung ist, obwohl prak­tisch jede ein­zel­ne Behaup­tung dar­in falsch ist.

Des­halb: Lesen auf eige­ne Gefahr 😉

Zur Per­son des Autors:
Fabi­an Scheid­ler, gebo­ren 1968, stu­dier­te Geschich­te und Phi­lo­so­phie an der Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin und Thea­ter­re­gie an der Hoch­schu­le für Musik und Dar­stel­len­de Kunst in Frankfurt/M. Seit 2001 arbei­tet er als frei­schaf­fen­der Autor für Print­me­di­en, Fern­se­hen, Thea­ter und Oper. 2009 grün­de­te er mit David Goe­ß­mann das unab­hän­gi­ge Fern­seh­ma­ga­zin Kon­text TV, das regel­mä­ßig Sen­dun­gen zu Fra­gen glo­ba­ler Gerech­tig­keit pro­du­ziert. Zahl­rei­che Vor­trä­ge zu Glo­ba­li­sie­rungs­the­men bei Kon­gres­sen von Attac, Deut­sche Wel­le, Green­peace, Evan­ge­li­sche Aka­de­mie u. a. Otto­Bren­ner-Medi­en­preis für kri­ti­schen Jour­na­lis­mus (2009). Pro­gramm­ko­or­di­na­tor für das Attac-Ban­ken­tri­bu­nal in der Volks­büh­ne am Rosa-Luxem­burg-Platz (2010). Als Dra­ma­turg und Thea­ter­au­tor arbei­te­te er vie­le Jah­re für das Ber­li­ner Grips Thea­ter. 2013 wur­de sei­ne Oper „Tod eines Ban­kers“ (Musik: Andre­as Kers­t­ing) am Ger­hart­Haupt­mann-Thea­ter in Gör­litz uraufgeführt.

Auf sei­ner Web­site fin­det sich ein lesens­wer­ter Blog.

Damit ist schon mal klar, dass Scheid­ler kein Autor im intel­lek­tu­el­len Elfen­bein­turm ist, son­dern zu jenen Akti­vis­ten gehört, die an einer grund­le­gen­den Umwand­lung unse­rer Gesell­schaft arbei­ten. Und das wird auch auf jeder Sei­te sei­nes Buches spür­bar, wenn er einer­seits per­fekt doku­men­tiert die düs­te­ren Sei­ten der geschicht­li­chen Ent­wick­lung ins­be­son­de­re in Euro­pa aus­leuch­tet, die zur “Megama­schi­ne” führ­ten, — oft mit scho­ckie­ren­den Details -, ande­rer­seits aber auch Mög­lich­kei­ten auf­zeigt, wie ein Aus­stieg aus dem Hams­ter­rad einer immer ziel- und sinn­lo­se­ren glo­ba­len wirt­schaft­li­chen “Ent­wick­lung” gelin­gen kann.

Für wache Zeit­ge­nos­sin­nen und Zeit­ge­nos­sen ist “Das Ende der Megama­schi­ne. Geschich­te einer schei­tern­den Zivi­li­sa­ti­on” eine höchst emp­foh­le­ne Lek­tü­re, weil Scheid­ler zwar ein ziem­lich düs­te­res Bild der aktu­el­len Lage der Mensch­heit zeich­net, aber nie in halt­lo­se Ver­schwö­rungs­theo­rien abglei­tet und trotz allem opti­mis­tisch in die Zukunft blickt.

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