Die Konföderation der Haudenosaunee war im Laufe ihrer Geschichte immer wieder radikalen Zerreissproben ausgesetzt. Der Kontakt mit den Eindringlingen aus Europa — Franzosen, Niederländer und Engländer — beeinflusste die ursprüngliche Lebensweise der indigenen Völker massiv. Neue Gebrauchsgegenstände aus Metall, Feuerwaffen, kapitalistisches Erwerbsdenken (Biberfellhandel!) und nicht zuletzt der Alkohol lockten. Die sich gegenseitig bekämpfenden weissen Nationen versuchten, mit den Indigenen Allianzen zu schmieden, um sich so die Vorherrschaft in den neuen Territorien zu sichern. Die Irokesen zeigten sich immer wieder bereit, den Neuankömmlingen Teile ihres Landes abzutreten.
Und sie zeigten sich bereit für eine friedliche Koexistenz:
Im Jahr 1711 baten Flüchtlinge aus dem heutigen Südwestdeutschland, die sogenannten Pfälzer, die Irokesenstammesmütter um die Erlaubnis, sich auf ihrem Land niederzulassen. Bis zum Frühjahr 1713 hatten etwa 150 pfälzische Familien Land von den Irokesen gepachtet. Die Irokesen lehrten die Palatiner den Anbau der “Three Sisters”, wie sie ihre Grundnahrungsmittel Bohnen, Mais und Kürbis nannten, und wo sie essbare Nüsse, Wurzeln und Beeren fanden. Im Gegenzug lehrten die Palatiner die Irokesen, wie man Weizen und Hafer anbaut und wie man eiserne Pflüge und Hacken in der Landwirtschaft einsetzt.
Dank des Geldes, das sie mit dem an die Palatiner verpachteten Land verdienten, gab die Irokesen-Elite das Leben in Langhäusern auf und begann, in Häusern im europäischen Stil zu wohnen, wobei sie über ein Einkommen verfügte, das dem einer englischen Mittelklassefamilie entsprach. In der Mitte des 18. Jahrhunderts war eine multikulturelle Welt entstanden, in der die Irokesen neben deutschen und schottisch-irischen Siedlern lebten. Die Siedlungen der Pfälzer vermischten sich mit den Dörfern der Irokesen. (Wikipedia, Iroquois)
Doch der Landhunger der Weissen war unersättlich, was immer wieder zu neuen Spannungen führte. Inzwischen hatten sich auch diverse Kolonien entwickelt, die mehr und mehr Unabhhängigkeitsgelüste von der englischen Krone zeigten. Der sich anbahnende Konflikt zwischen dem englischen Mutterland und den amerikanischen Kolonisten führte zu einer Spaltung, an der die Irokesen-Konföderation beinahe zerbrechen sollte. Eigentlich wollte diese sich angesichts der sich zuspitzenden Auseinandersetzung zwischen England und den Kolonien neutral verhalten, aber es
war es eine unmögliche Aufgabe, die Neutralität aufrechtzuerhalten. Ihre Volkswirtschaften und ihr Leben waren in Bezug auf den Handel mit Gütern und Leistungen so abhängig voneinander geworden, dass es unmöglich war, den Konflikt zu ignorieren. Gleichzeitig mussten sie versuchen, ein Gleichgewicht zwischen ihren Beziehungen zu beiden Gruppen herzustellen. Sie wollten nicht den Eindruck erwecken, dass sie eine Gruppe gegenüber der anderen bevorzugen, um nicht Eifersucht und Misstrauen auf beiden Seiten zu wecken. Außerdem hatten die Engländer im Laufe der Jahre viele Vereinbarungen mit den Sechs Nationen getroffen, während die Irokesen im Alltag hauptsächlich mit den Kolonisten zu tun hatten.
Dies machte die Situation für die Irokesen verwirrend, da sie nicht wissen konnten, wer die wahren Erben des Abkommens waren, und ob die Abkommen mit England von den Kolonisten weiterhin eingehalten würden, wenn sie die Unabhängigkeit erlangten. Die Unterstützung einer der beiden Seiten im Revolutionskrieg war eine komplizierte Entscheidung. Jede Nation wog einzeln ihre Optionen ab, um zu einer endgültigen Haltung zu gelangen, die letztlich die Neutralität aufhob und das gemeinsame Abkommen der Konföderation beendete. Die Briten waren eindeutig die am besten organisierte und scheinbar auch die mächtigste Nation. In vielen Fällen stellten die Briten die Situation gegenüber den Irokesen so dar, als seien die Kolonisten einfach nur “unartige Kinder”. Andererseits waren die Irokesen der Ansicht, dass “die britische Regierung dreitausend Meilen entfernt war”. (…)
Die Bevölkerung der Irokesen-Konföderation hatte sich seit der Ankunft der Europäer stark verändert. Krankheiten hatten ihre Bevölkerung auf einen Bruchteil der früheren Größe reduziert. Daher lag es in ihrem besten Interesse, auf der Seite derjenigen zu stehen, die den Krieg gewinnen würde, denn die siegreiche Seite würde die künftigen Beziehungen zu den Irokesen in Nordamerika bestimmen. …
Aufgrund dieser schwierigen Situation mussten sich die Sechs Nationen für eine Seite entscheiden. Die Oneida und Tuscarora entschieden sich für die Unterstützung der amerikanischen Kolonisten, während die übrigen Mitglieder des Irokesenbundes (die Cayuga, Mohawk, Onondaga und Seneca) sich auf die Seite der Briten und ihrer Loyalisten unter den Kolonisten stellten. (Wikipedia, Iroquois)
Deren Haltung war verständlich, weil sie immer wieder neu erfahren mussten, dass die Kolonisten die abgeschlossenen Landverträge nicht einhielten. Die Gefahr bestand, dass sie nach einem Sieg über England den Irokesen das Land ganz wegnehmen würden.
Nach diversen Attacken auf Siedlungen der Kolonisten liess deren Rache nicht auf sich warten:
Befehle George Washingtons an General John Sullivan, beim Hauptquartier am 31. Mai 1779
Die Expedition, die sie zu befehlen ausgewählt sind, soll gegen die feindlichen Stämme der Sechs Nationen der Indianer gerichtet werden, sowie ihren Verbündeten und Gefolgsleuten. Die unmittelbaren Ziele sind die vollkommene Zerstörung und Verwüstung ihrer Siedlungen, und die Gefangennahme von so vielen Gefangenen jeden Alters und Geschlechts wie möglich. Es ist von äußerster Wichtigkeit, ihre Feldfrüchte zu vernichten, die sich im Boden befinden, und sie davon abzuhalten, neue anzupflanzen.
Ich würde empfehlen, dass in der Mitte des Indianergebiets ein Posten eingerichtet wird, der von der gesamten Expeditionsstreitkraft bezogen wird, in dem eine ausreichende Zahl an Nachschub vorhanden ist, und von dem die Abteilungen mit Anweisungen über die effektivste Art zur Verwüstung der umliegenden Siedlungen aufbrechen, so dass die Gegend nicht nur eingenommen, sondern zerstört wird.
Doch sollen Sie nicht in irgendeiner Weise sich auf irgendwelche Friedensangebote eingehen, bevor die komplette Vernichtung der Siedlungen abgeschlossen wurde. Unsere künftige Sicherheit hängt von ihrer Unfähigkeit ab, uns zu treffen, und von dem Schrecken, den die Ernsthaftigkeit unserer ihnen zugefügten Bestrafung in ihnen hervorrufen wird. (Wikipedia, Sullivan-Expedition)
Dieser Strafexpedition fielen über 40 irokesische Dörfer und deren sämtliche Nahrungsgrundlagen zum Opfer. Einige Historiker scheuen sich nicht, von einem eigentlichen Ethnozid, wenn nicht gar Genozid zu sprechen.
Einer der Mohawk-Anführer, Joseph Brant, war 1775 am Vorabend der Amerikanischen Revolution in weiser Voraussicht nach London gereist, um von der Krone das Versprechen zu erhalten, dass die Irokesen, wenn sie auf Seiten der Briten kämpften, bei Landverlust eine Landzuweisung in Kanada erhalten würden. Tatsächlich erhielt er nach der britischen Niederlage durch die Haldimand-Proklamation eine grosse Landzuweisung am Grand River auf der kanadischen Seite, wo sich die Mohawks und Angehörige anderer Mitglieder der Haudenosaunee-Konföderation niederliessen.
Womit wir endlich bei Deskaheh und seiner Völkerbunds-Mission angelangt wären. Dazu mehr in der nächsten Folge
am kommenden Donnerstag, den 22. September.
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