Eine Über­lebensstrate­gie muss eine The­olo­gie der Befreiung bein­hal­ten — nen­nen Sie es eine Philoso­phie oder Kos­molo­gie, wenn Sie wollen, aber wir glauben, dass es eine The­olo­gie ist — oder die Men­schheit wird ein­fach weit­er nach effizien­teren Wegen suchen, um das auszubeuten, was sie zu respek­tieren gel­ernt hat. Wenn diese Prozesse unver­min­dert und unverän­dert auf der Grund­lage der Ide­olo­gie der Kolonisatoren weit­erge­hen, wird unsere Spezies niemals von der unbe­stre­it­baren Real­ität befre­it wer­den, dass wir auf einem Plan­eten mit begren­zten Ressourcen leben, und früher oder später wer­den wir unsere Umwelt über ihre Fähigkeit zur Selb­sterneuerung hin­aus ausbeuten.

John Mohawk

Der 2006 ver­stor­bene John Mohawk war ein Seneca-Chief, besass aber auch einen Ph.D. der Uni­ver­sität von Buf­fa­lo. Er war ein uner­müdlich­er Kämpfer für die Anerken­nung der Six Nations als eigen­ständi­ges indi­genes Staatswe­sen. Er pub­lizierte u.a. “Utopi­an Lega­cies. A His­to­ry of Con­quest and Oppres­sion in the West­ern World” und redigierte auch “A Basic Call of Con­scious­ness”.

Den ersten Aspekt, den der birsfaelder.li-Schreiberling näher unter­suchen möchte, ist die Kri­tik am Chris­ten­tum, die im Man­i­fest der Hau de no sau nee  geübt wird.

Schauen wir uns ein paar wenige Auszüge an:
Das Chris­ten­tum ver­trat nur einen Gott. Es war eine Reli­gion, die sich auss­chließlich über alle anderen Glauben­srich­tun­gen stellte. Die ein­heimis­che Bevölkerung der europäis­chen Wälder war ein Volk, das an die Geis­ter der Wälder, der Gewäss­er, der Berge und des Lan­des glaubte; das Chris­ten­tum griff diesen Glauben an und entspir­i­tu­al­isierten die europäis­che Welt.

● Die Kirchen zum Beispiel agieren prak­tisch auf die gle­iche Weise wie die Feu­dal­her­ren. Zunächst iden­tifizieren sie ein Volk, dessen Loy­al­ität sie sich für ihre Expan­sions­be­stre­bun­gen sich­ern wollen. Wenn sie erfol­gre­ich sind, wer­den sie fak­tisch zu den geisti­gen Herrsch­ern oder Dik­ta­toren der­jeni­gen, deren Loy­al­ität sie sich sich­ern wollen. Dieser Prozess im organ­isierten Chris­ten­tum ist vielle­icht sog­ar noch älter als der hier beschriebene Prozess des poli­tis­chen Kolonialismus.
Mod­erne multi­na­tionale Konz­erne arbeit­en auf ähn­liche Weise.

● Die Mis­sion­are attack­ierten ohne Unter­lass die wirtschaftlichen Struk­turen des Lang­haus-Volkes. Sie grif­f­en ins­beson­dere die spir­ituellen Zer­e­monien als “hei­d­nisch” an …

● Die tra­di­tionelle Wirtschaft wurde weit­ge­hend durch die kolo­niale Wirtschaft erset­zt, die den Inter­essen multi­na­tionaler Unternehmen dient. Die kolo­niale Wirtschaft ist eine, die dem Volk der Hau de no sau nee Arbeit und Mate­ri­alien zum Nutzen der Kolonisatoren entzieht. Die christlichen Reli­gio­nen, die Schul­sys­teme, die neokolo­nialen Wahlsys­teme, sie alle arbeit­en auf diese Ziele hin.

Wie gerecht­fer­tigt ist diese Kritik?

Ich denke, es geht zuerst ein­mal darum, sich klar zu machen, in welchem Kon­text die Hau de no sau nee (und die anderen indi­ge­nen Völk­er Nor­damerikas) mit dem Chris­ten­tum in Berührung kamen: Die Mis­sion­are fol­gten den europäis­chen Ein­wan­der­ern, die den Indi­an­ern Schritt um Schritt das Land raubten und viele Völk­er im schlimm­sten Fall ein­fach aus­rot­teten. Ihre Mis­sion­ierung geschah also im Kon­text ein­er oft bru­tal­en Vertrei­bung der Indi­ge­nen aus ihrer “Heimat”.
Zuerst hat­ten wir das Land, und sie die Bibel. Dann hat­ten wir die Bibel, und sie das Land”, sagte ein­mal ein­er der Delegierten in Basel etwas bitter.

Dann muss man sich klar machen, dass die Mis­sion­are dazu da waren, um bei den Indi­ge­nen die kirch­lichen Dog­men zu predi­gen und durchzuset­zen. Was haben diese Dog­men mit dem Chris­ten­tum zu tun? Was ist über­haupt unter “Chris­ten­tum” zu verstehen?

Dumme Fra­gen? — Es lohnt sich vielle­icht, einen kleinen Blick in ein Buch des The­olo­gen Leonard Ragaz zu wer­fen. Es geht darin um die Frage, was denn unter dem “Reich Gottes” zu ver­ste­hen sei, von dem Jeshua ben Joseph / Jesus der Chris­tus immer wieder sprach. Es ist als Dia­log konzip­iert und das erste Gespräch begin­nt so:
J. (Jünger): Ich möchte doch ein­mal gern wis­sen, was denn das Chris­ten­tum oder das Evan­geli­um ist.
M. (Meis­ter): Wis­sen Sie das wirk­lich nicht? Sie sind doch darin unter­richtet wor­den und haben darüber genug gele­sen und gehört.
J. Ger­ade darum weiss ich es nicht; denn wie viel­er­lei, und das heisst, wie viel sich Wider­sprechen­des habe ich davon gele­sen und gehört, und auch gese­hen. Ich frage: Was ist denn das Chris­ten­tum wirklich?
M. Sie wer­den wohl zugeben, dass wir, um das zu erfahren, zu der Quelle gehen müssen, zur Bibel?
J. Aber ger­ade die Bibel gibt so viele Antworten; wer zeigt uns denn mit Autorität, was der Sinn der Bibel ist?
M. Sie haben recht. Sind sie ein­ver­standen, dass wir bei­de mit Ihrer Frage zu dem gehen, auf welchen doch das ganze Chris­ten­tum sich beruft, zu Chris­tus selbst?
J. Also zu Jesus?
M. Gut, wir kön­nen auch so sagen.
J. Was lehrt denn Jesus? Er lehrt doch wohl das Christentum?
M. Jesus lehrt nicht das Chris­ten­tum, bei weit­em nicht, eher das Gegenteil.
J. Das über­rascht mich. So etwas habe ich noch nie gehört. Geht denn das Chris­ten­tum nicht auf ihn zurück?
M. Es  geht wenig­stens teil­weise, auf ihn zurück, ist aber zum grossen Teil auch eine Entar­tung sein­er Sache, ja in hohem Masse das Gegen­teil von dem, was er gewollt hat; es ist im besten Fall nur eine unvol­lkommene und vorüberge­hende Form sein­er Sache.
J. Wie, ste­ht denn nicht das Chris­ten­tum in der Bibel?
M. Keineswegs. Keine Spur davon. Es ste­ht auch nicht ein­mal das Wort “Chris­ten­tum” im Neuen Tes­ta­ment und das Wort “Chris­ten” nur ein paar Mal und zwar als Über­name im Munde der Heiden. 
J. Also hat Jesus auch nicht die Kirche gewollt, die sich auf ihn beruft?
M. Er hat auch die Kirche bekämpft und ist von ihr bekämpft wor­den. Sie hat ihn als Trägerin der Reli­gion — und ich möchte fast sagen: des Chris­ten­tums — ans Schand­kreuz geschlagen. 
J. Das hat doch Pila­tus getan?
M. Gewiss, aber bloss gedrängt durch die Vertreter der Kirche und der Reli­gion — des Chris­ten­tums, wage ich zu sagen.
J: Aber was hat denn Jesus gelehrt und gewollt?
M. Die Antwort ist ein­fach: das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit auf Erden. 

Päng! — Schöne Bescherung!! Ein The­ologe, der mit der christlichen Reli­gion auf Kriegs­fuss ste­ht, na sowas .… Hat ihm da zufäl­lig ein Vertreter der Hau de no sau nee was geflüstert!?

Dazu mehr in der näch­sten Folge am Don­ner­stag, den 1. September.

P.S. Wer sich für Leben und Werk von Leon­hard Ragaz inter­essiert, klickt hier.

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