Wenn Anthro­po­lo­gen oder His­to­ri­ker sich wegen einer Sreit­fra­ge in die Haa­re gera­ten, führt das in der Regel in den Mas­sen­me­di­en nicht unbe­dingt zu Schlag­zei­len. Man debat­tiert in Kon­gress­sen, Sym­po­si­en und Fachzeitschriften.

Etwas anders sieht es aus, wenn bestimm­te Ideen oder neue his­to­ri­sche Erkennt­nis­se Ein­gang in das his­to­ri­sche Cur­ri­cu­lum von öffent­li­chen Schu­len Ein­gang fin­den sol­len. Dann bricht zwar nicht gera­de die Höl­le los, aber plötz­lich ste­hen sie mit­ten im öffent­li­chen Inter­es­se und wer­den even­tu­ell bit­ter­lich bekämpft. So gesche­hen im Staa­te New York, in dem sich der gröss­te Teil des iro­ke­si­schen Bünd­nis­ses befindet.

Aus­lö­ser war die Tat­sa­che, dass eine Rei­he bekann­ter tra­di­tio­nel­ler iro­ke­si­scher Per­sön­lich­kei­ten wie John Mohawk oder Oren Lyons sich an der Aus­ar­bei­tung eines Lehr­plans für höhe­re Klas­sen betei­lig­ten, in dem der Ein­fluss des Hau­deno­saunee-Bünd­nis­ses auf die Ent­ste­hung der ame­ri­ka­ni­schen Ver­fas­sung gewür­digt wurde:
Der von einem Komi­tee von Iro­ke­sen ver­fass­te Leit­fa­den war als Teil des “Lehr­plans für Inte­gra­ti­on” des Staa­tes New York gedacht, der Kri­ti­kern des Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus auf natio­na­ler Ebe­ne zu schaf­fen mach­te. Das gesam­te “Cur­ri­cu­lum of Inclu­si­on” bestand aus meh­re­ren Tei­len, die alle dar­auf abziel­ten, die his­to­ri­sche Miss­hand­lung (oder Nicht­be­hand­lung) von ras­si­schen und geschlecht­li­chen Min­der­hei­ten in den Lehr­plä­nen der öffent­li­chen Schu­len des Staa­tes New York zu kor­ri­gie­ren.
(sämt­li­che Aus­zü­ge aus Bruce E. Johan­sen, Deba­ting Democracy)

Die Reak­ti­on kon­ser­va­ti­ver Krei­se war harsch: Es wur­den Geschich­ten her­um­ge­bo­ten, Irokesen-“Lobbyisten” hät­ten mas­si­ven Druck auf das New Yor­ker Bil­dungs­mi­nis­te­ri­um ausgeübt.
Die Wahr­heit war weit­aus nüch­ter­ner als die epi­sche Geschich­te von ras­sis­ti­scher Macht­aus­übung, die so vie­le kon­ser­va­ti­ve Kri­ti­ker erfun­den haben. Das staat­li­che Bil­dungs­mi­nis­te­ri­um bat selbst um die Hil­fe der Iro­ke­sen, da es erkann­te, dass sei­ne bestehen­den Lehr­plä­ne nicht voll­stän­dig waren.

Haupt­vor­wurf der Geg­ner war, der Staat sei vor den “Geschichts­fäl­schun­gen” der Iro­ke­sen ein­ge­knickt, um einem Macht­kampf und dem Vor­wurf des Ras­sis­mus aus­zu­wei­chen, — also rei­ne poli­ti­sche “Con­ve­ni­en­ce” ohne jeg­li­chen rea­len his­to­ri­schen Hin­ter­grund. So hiess es in einem Arti­kel der “Times” vom 1. April 1991:
In zuneh­men­dem Maße wer­den Lehr­plä­ne geschrie­ben, um die poli­ti­schen For­de­run­gen von Eltern und Akti­vis­ten der Gemein­schaft zu erfül­len. In eini­gen Fäl­len zählt die Zweck­mä­ßig­keit mehr als die Fak­ten. So haben Beam­te des Bun­des­staa­tes New York auf den Druck von Füh­rern der ame­ri­ka­ni­schen Urein­woh­ner reagiert, indem sie den Lehr­plan für die High School des Bun­des­staa­tes dahin­ge­hend über­ar­bei­tet haben, dass er die wacke­li­ge Behaup­tung ent­hält, die US-Ver­fas­sung beru­he auf dem poli­ti­schen Sys­tem der Irokesen-Konföderation.

Das Pro­blem war ein­fach, dass sich die Kri­ti­ker nicht die gerings­te Mühe gaben, die von Johan­sen und Grin­de in müh­se­li­ger For­schungs­ar­beit in den Archi­ven zusam­men­ge­tra­ge­nen Quel­len auch nur zur Kennt­nis zu neh­men. Bit­ter kom­men­tier­te Johan­sen den Angriff des New Yor­ker Anthro­po­lo­gen Wil­liam A. Starna:
Star­na zitier­te kei­ne Bewei­se von die­sen “Anti-Einfluss”-Wissenschaftlern. Viel­mehr berief er sich auf wis­sen­schaft­li­che Bewei­se, die es nicht gab. Star­na ver­folg­te die Wur­zeln der Ideen so, wie Sena­tor Joseph McCar­thy Kom­mu­nis­ten iden­ti­fi­zier­te: Es ist so, wie ich es sage, nicht weil ich Bewei­se habe, son­dern weil ich es sage.
Star­na erhob dann eine noch unheil­vol­le­re Anschul­di­gung, indem er — wie­der­um ohne Anga­be von Fak­ten — behaup­te­te, dass die Iro­ke­sen, die ihren Ein­fluss auf­recht­erhal­ten, mehr als his­to­ri­sche Publi­ci­ty­jä­ger sei­en. Er beschul­dig­te sie, eth­nisch-his­to­ri­sche Erpres­sung zu betreiben. (…)

Star­nas Behaup­tung, die sich auf unge­nann­te “Iro­ke­sen­füh­rer” und unbe­wie­se­ne “Dro­hun­gen” bezog, wur­de von unvor­sich­ti­gen Jour­na­lis­ten auf Knopf­druck in eine unbe­strit­te­ne Wahr­heit ver­wan­delt. So erfuh­ren die Leser der Washing­ton Post bei­spiels­wei­se, dass “india­ni­sche Füh­rer … Sta­ma auf die schwar­ze Lis­te gesetzt haben, weil er die Idee ablehn­te, dass die US-Ver­fas­sung auf der Iro­ke­sen-Föde­ra­ti­on basiert”

Aber die Atta­cken wur­den noch per­fi­der und abstru­ser. Der Jour­na­list John Leo etwa behaup­te­te, die Idee sei “ein Mythos”, der unschul­di­gen Schul­kin­dern von einer klei­nen Grup­pe irgend­wie unglaub­lich mäch­ti­ger, medi­en­hung­ri­ger Iro­ke­sen auf­ge­zwun­gen wird, die die­se Unwahr­heit in die “Mainstream”-Geschichte pres­sen wol­len, und er ver­glich sie mit der Leu­gung des Holocaust.

Geor­ge Will, ein wei­te­rer Jour­na­list, sprach zwar nicht vom Macht­hun­ger der Iro­ke­sen, son­dern mein­te, die­se “abstru­se” Ein­fluss-Theo­rie die­ne ledig­lich dem Zweck, das Selbst­wert­ge­fühl der klei­nen india­ni­schen Min­der­heit zu fördern.

Doch dann grif­fen gewich­ti­ge­re Stim­men in die Dis­kus­si­on ein. Arthur Schle­sin­ger Jr. publi­zier­te 1992 das Buch “The Dis­u­ni­t­ing of Ame­ri­ca” und hob damit die Aus­ein­an­der­set­zung auf eine ganz neue Ebene.

Dazu mehr in der nächs­ten Fol­ge am kom­men­den Don­ners­tag, den 30. März.

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