Hier also nach dem klei­nen Exkurs über eini­ge Bei­spie­le im “auf­ge­klär­ten Wes­ten”, die Par­al­le­len auf­wei­sen zum india­ni­schen Welt­bild, die Fort­set­zung aus sei­nem Text “Alle Kin­der von Mut­ter Erde”:

Der Ältes­te Bru­der Son­ne ist auch ein Bote des Gro­ßen Geheim­nis­ses, und durch die Wege der Son­ne erfah­ren wir von einem Weg des Gro­ßen Geheim­nis­ses. Und das gilt auch für den Geist der Grä­ser und den Geist der Eiche. Wir spre­chen von der Quel­le der Kraft des Uni­ver­sums als dem Gro­ßen Mys­te­ri­um. Alles, was uns von die­ser Kraft offen­bart wird, nen­nen wir “die Schöp­fung”. Das, was die Quel­le der Schöp­fung ist, nen­nen wir den Schöp­fer; wenn wir Schöp­fer sagen, mei­nen wir den Geist der Schöp­fung. Der Geist der Schöp­fung offen­bart sich allen Din­gen in dem, was das Leben geschaf­fen hat. (…)

(Die Iro­ke­sen nen­nen die­se spi­ri­tu­el­le Kraft in der Schöp­fung “Oren­da”: Oren­da – „das gro­ße Geheim­nis der Iro­ke­sen“ – ist in der Kos­mo­lo­gie die­ser Men­schen die Kraft, die das Gleich­ge­wicht zwi­schen den pola­ren Gegen­sät­zen des Uni­ver­sums erhält. Ist die Balan­ce gestört, ist das mög­li­cher­wei­se die Ursa­che für eine Krank­heit. (Wiki­pe­dia)

Alle Wesen auf der Erde fol­gen den natür­li­chen oder wah­ren Wegen — den Wegen der Schöp­fung. Und alle die­se Wesen sind mit­ein­an­der ver­wandt, da sie zur Fami­lie der Schöp­fung gehö­ren. Sie unter­stüt­zen sich gegen­sei­tig. Der Eichen­baum gibt sei­nen Sauer­stoff ab, damit der Hase atmen kann, und der Hase gibt sein Fleisch ab, damit der Fuchs leben kann. Und der Fuchs kehrt im Tod zur Erde zurück, von der sich die Grä­ser ernäh­ren, und das Gras gibt von sei­nem Fleisch, damit der Hase leben kann. Alle Din­ge unter­stüt­zen auf ihre wirk­li­che Wei­se das Leben. Nur wenn die Wesen ihre wirk­li­chen Wege ver­las­sen, hören sie auf, das Leben zu unter­stüt­zen — sie bre­chen aus dem Lebens­zy­klus aus.

Es ist der Weg der Schöp­fung, dass alle Din­ge auf rea­le Wei­se exis­tie­ren, und in der Welt der Men­schen ist es not­wen­dig, dass alle Din­ge ihre rea­len Wege bei­be­hal­ten, damit das Leben, so wie wir es ken­nen, wei­ter­geht. Die Natur­men­schen haben eine gro­ße Ehr­furcht vor dem Leben, einen gro­ßen Respekt vor allen leben­den Din­gen, denn sie sind ein Teil die­ser leben­den Din­ge. Sie wis­sen, dass das Fleisch des Gra­ses das Fleisch ihrer Vor­fah­ren ist, und sie sehen ihr eige­nes Leben im Leben der Bäume. 

Die­se Ach­tung vor der natür­li­chen Welt ist Aus­druck gro­ßer Weis­heit, denn sie beruht auf dem Wis­sen, dass aus dem Fleisch der Erde ihr eige­nes Fleisch und das ihrer künf­ti­gen Genera­tio­nen her­vor­ge­hen wird. Und sie wis­sen, dass sie den Lebe­we­sen auf der Erde mit Respekt begeg­nen müs­sen, da sie (wie die Eiche) alle eine Kraft dar­stel­len, die das Leben erhält. Und wenn die­se Kraft zer­stört wird (wie bei der Eiche), müs­sen die Lebens­pro­zes­se auf die­sem Pla­ne­ten geschwächt wer­den, und wenn die Geis­ter von genü­gend Din­gen, die Leben her­vor­brin­gen, zer­stört wer­den, muss alles Leben, wie wir es ken­nen, aufhören.

Und die Natur­men­schen wis­sen auch, dass sie sowohl Beob­ach­ter der Schöp­fung als auch Akteu­re der Schöp­fung sind. Über­all in der Natür­li­chen Welt sind die Wesen ver­ant­wor­tungs­vol­le Akteu­re. Sie stre­ben nicht danach, die Natür­li­che Welt nur in ihrem Ver­stand und in ihrem Her­zen zu respek­tie­ren (obwohl sie dies tun), son­dern sie ver­su­chen viel­mehr, ihr Leben zu einer Fei­er des Lebens zu machen. So sehen die Natur­men­schen die Schön­heit in den Din­gen und Pro­zes­sen, die das Leben unter­stüt­zen und hervorbringen. 

Sie nen­nen ihre Zere­mo­nien zu den Jah­res­zei­ten “Fes­te”, und sie ritua­li­sie­ren ihre Ver­si­on der rea­len Welt, indem sie die Din­ge der Welt grü­ßen und ihnen dan­ken. In der Tat hat die Schöp­fung für alles gesorgt, was der wah­re Mensch braucht. Stellt sie nicht Blu­men und Sing­vö­gel bereit, um den mensch­li­chen Geist zu erfreu­en? Gibt es nicht Nah­rung und süße Luft und schö­nes Was­ser? Sind nicht die Flüs­se und die Bäu­me und die Adler von unver­gleich­li­cher Schönheit? (…)

Die Men­schen der natür­li­chen Welt sind die geis­ti­gen Eigen­tü­mer des Uni­ver­sums, nicht weil sie die Din­ge der Schöp­fung besit­zen, son­dern weil sie sie fei­ern. … Die Ritua­le des Lebens­fes­tes sind nicht das eigent­li­che Fest, son­dern ein Abbild der Wirk­lich­keit. So wie die Grä­ser eine Art haben, in der Welt zu sein, so haben auch die Natur­völ­ker eine Art, in der Welt zu sein. Die Seins­wei­se der Natur­völ­ker ist die akti­ve Teil­nah­me an der täg­li­chen Fei­er der lebens­er­hal­ten­den Pro­zes­se. Des­halb bezeich­nen sie ihre Lebens­wei­se nicht als Reli­gi­on, son­dern als Lebens­wei­se. Die Natur­völ­ker wis­sen, dass die Men­schen, die auf der Erde wan­deln, auch geis­ti­ge Wesen sind und dass jedes Indi­vi­du­um eine Mani­fes­ta­ti­on des mensch­li­chen Geis­tes ist. Und sie ver­su­chen, mit die­sem Geist, wie auch mit ande­ren Geis­tern, in einer lebens­för­dern­den Wei­se umzugehen.

Der letz­te Teil des Tex­tes “Alle Kin­der von Mut­ter Erde” folgt am kom­men­den Don­ners­tag, den 2. Februar

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