Fort­set­zung des Doku­ments, das im Herb­st 1977 der Men­schen­recht­skom­mis­sion der UNO in Genf von ein­er iroke­sis­chen Del­e­ga­tion vorgelegt wurde. Ein Kom­men­tar dazu erscheint im August.

Der Prozess, durch den die Men­schen in Europa ihre Frei­heit ver­loren, war zu einem großen Teil wirtschaftlich­er Natur. Die mit­te­lal­ter­lichen Bur­gen waren mil­itärische Fes­tun­gen und fungierten als eine Art Lager­haus, aber sie entwick­el­ten sich auch zu Han­del­szen­tren und schließlich zu Städten. In der Früh­phase des Feu­dal­is­mus “tauschte” der Bauer seine Frei­heit gegen die Sicher­heit vor mil­itärischen Angrif­f­en ein. Doch im Laufe der Jahrhun­derte wurde die mit­te­lal­ter­liche Stadt immer mehr zu einem Marktplatz.

Es ist der Markt, der in der einen oder anderen Form Teile des men­schlichen Han­delns aus den sozialen Beziehun­gen der in sich abgeschlosse­nen prim­i­tiv­en Gemein­schaften her­aus­löst und die Men­schen in wirtschaftliche Tätigkeits­bere­iche bringt, die zunehmend unab­hängig von den übri­gen Vorgän­gen des lokalen Lebens sind. Die lokale tra­di­tionelle und moralis­che Welt und die bre­it­ere und unper­sön­lichere Welt des Mark­tes sind prinzip­iell ver­schieden und einan­der ent­ge­genge­set­zt … ”  (Robert Red­field, Peas­ant Soci­ety and Cul­ture: An Anthro­po­log­i­cal Approach to Civ­i­liza­tion, (Chica­go, 1956,) p. 45–6.)

Die “Ent­deck­ung” Nor­damerikas durch die Europäer führte zu ein­er Über­tra­gung des europäis­chen mit­te­lal­ter­lichen Rechts und der Sit­ten auf Ameri­ka. Sicher­lich unter­schied sich das spanis­che mit­te­lal­ter­liche Recht in manch­er Hin­sicht von dem franzö­sis­chen, und bei­de unter­schieden sich in manch­er Hin­sicht von dem englis­chen, aber ein Ver­ständ­nis des mit­te­lal­ter­lichen Europas ist wesentlich für eine Analyse der europäis­chen Rechts­geschichte und auch für jede Analyse des Kolo­nial­isierung­sprozess­es. Das mit­te­lal­ter­liche Europa ist die Zeit der zunehmenden Zen­tral­isierung und Kon­so­li­dierung der Macht der herrschen­den Sip­pen (Könige) über riesige Ter­ri­to­rien, die für die nor­damerikanis­che Erfahrung spez­i­fisch ist. Es ist auch die Zeit der Entste­hung und des Wach­s­tums der europäis­chen Städte als Han­del­szen­tren und Quellen poli­tis­ch­er Macht. Die europäis­chen Geset­ze der Natio­nen, wie sie auf Ameri­ka angewen­det wur­den, waren mit­te­lal­ter­liche Geset­ze.

Die Europäer set­zten eine Vielzahl von Mit­teln ein, um die Herrschaft zu erlan­gen, von denen der bewaffnete Kampf nur eines war. Fünf Prinzip­i­en standen ein­er europäis­chen Hoheits­ge­walt zur Ver­fü­gung, um Anspruch auf eine legit­ime Gerichts­barkeit über ein amerikanis­ches Gebi­et und seine Bevölkerung zu erheben: Päp­stliche Schenkung, erste Ent­deck­ung, dauer­hafter Besitz, frei­willige Unter­w­er­fung durch die Einge­bore­nen und erfol­gre­iche bewaffnete Eroberung. Die Kolonie war das Mit­tel, um einen for­malen Anspruch in eine tat­säch­liche Herrschaft zu über­set­zen, und sie war “kolo­nial” in bei­den Bedeu­tun­gen dieses zwei­deuti­gen Wortes. Die zusam­menge­drängten Dör­fer der Europäer waren Kolonien in dem Sinne, dass sie Ableger oder Repro­duk­tio­nen ihrer Mut­terge­sellschaften waren, und diese Dör­fer übten Macht über größere Einge­bore­nen­pop­u­la­tio­nen in dem Sinne aus, den das Wort Kolo­nial­is­mus andeutet.(Fran­cis Jen­nings, The Inva­sion o f Amer­i­ca: Indi­ans, Colo­nial­ism, and the Cant of Con­quest, Uni­ver­si­ty of North Car­oli­na Press, (Chapel Hill, 1976,) p. 105.)

Die europäis­chen Inva­soren ver­sucht­en von Anfang an, die Indi­an­er als ihre Unter­ta­nen zu beanspruchen. Wo die Indi­an­er sich wehrten, wie im Fall der Hau de no sau nee, begrün­de­ten die Europäer diesen Wider­stand mit deren Unfähigkeit zur Zivil­i­sa­tion. Die Begrün­dung der Zivil­i­sa­tion­sun­fähigkeit wurde im West­en zur Grund­lage für das Phänomen, das heute als Ras­sis­mus bekan­nt ist.

Die Europäer lan­de­ten an den Küsten Amerikas und beansprucht­en die Gebi­ete sofort für ihre Herrschaft. Dann ver­sucht­en sie — vor allem Frankre­ich und Spanien — aus den Indi­an­ern abhängige Bauern zu machen. Die Englän­der, die bere­its mit dem Enclo­sure-Sys­tem exper­i­men­tiert hat­ten und so Nor­dameri­ka mit land­losen Bauern kolonisierten, die von ein­er in ihrer eige­nen Geschichte wurzel­nden Verzwei­flung getrieben wur­den, ver­trieben die Indi­an­er zunächst ein­fach mit Gewalt von ihrem Land.

Die europäis­chen Rechtssys­teme ver­fügten und ver­fü­gen offen­bar über kein­er­lei Instru­mente, um die Rechte von Völk­ern auf Land anzuerken­nen, die wed­er von Dik­ta­toren noch Lan­desh­er­ren beherrscht wer­den. Als die Europäer nach Nor­dameri­ka kamen, ver­sucht­en sie, die indi­an­is­chen Führer ein­fach zu Vasallen zu machen. Als das scheit­erte, grif­f­en sie zu anderen Mit­teln. Die wesentliche Stoßrich­tung der europäis­chen Mächte war der Ver­such, … die indi­an­is­che Per­son von der Zuge­hörigkeit zu ein­er unas­sim­i­lier­baren gesellschaftlichen Gruppe in die Zuge­hörigkeit zu ein­er in die euro-amerikanis­chen Insti­tu­tio­nen inte­gri­erten sozialen Klasse zu ver­wan­deln.”

Die Enteig­nung der Ure­in­wohn­er wurde von den Europäern im blutig­sten und bru­tal­sten Kapi­tel der Men­schheits­geschichte durchge­führt. Es waren Tat­en, die schein­bar von einem Volk ohne Gewis­sen und ohne Ver­hal­tensnor­men began­gen wur­den. Bis heute leug­nen die Vere­inigten Staat­en und Kana­da die Exis­tenz der recht­mäßi­gen Regierun­gen der Hau de no sau nee und ander­er Einge­bore­nen­völk­er, — eine Fort­set­zung der Poli­tik des Völk­er­mords, die den als Kolo­nial­is­mus bekan­nten Prozess geprägt hat. Angesichts der über­wälti­gen­den Beweise des Gegen­teils leug­nen bei­de Regierun­gen und die Regierun­gen Lateinamerikas das Bege­hen von Völk­er­mord, sei es physisch oder kul­turell.

Ihre Ansicht­en sind offen­sichtlich mit­te­lal­ter­lich und ras­sis­tisch: …Zivil­i­sa­tion ist die Eigen­schaft, die Men­schen mit ein­er zivilen Regierung besitzen, zivile Regierung ist die Art der Regierung Europas; die Indi­an­er hat­ten nicht die Art der Regierung Europas, deshalb waren die Indi­an­er nicht zivil­isiert. Unzivil­isierte Men­schen leben in wilder Anar­chie; deshalb hat­ten die Indi­an­er über­haupt keine Regierung. Und DARUM kon­nten die Europäer nichts Falsches tun — sie erfüll­ten vielmehr eine edle Mis­sion, indem sie den “armen Wilden” Regierung und Zivil­i­sa­tion bracht­en.(Jen­nings, p. 127.) Heute wie im Mit­te­lal­ter ver­fol­gt die indoeu­ropäis­che Regierung eine Poli­tik der Macht. Der Kolo­nial­is­mus ist ein Prozess, der oft missver­standen und fehlin­ter­pretiert wird. Es ist eine Poli­tik, die das Mit­te­lal­ter, in dem sie ent­standen ist, lange über­lebt hat. Viele west­liche Insti­tu­tio­nen sind in Wirk­lichkeit kolo­niale Ein­rich­tun­gen der west­lichen Kultur.

Die Kirchen zum Beispiel agieren prak­tisch auf die gle­iche Weise wie die Feu­dal­her­ren. Zunächst iden­ti­fizieren sie ein Volk, dessen Loy­al­ität sie sich für ihre Expan­sions­be­stre­bun­gen sich­ern wollen. Wenn sie erfol­gre­ich sind, wer­den sie fak­tisch zu den geisti­gen Herrsch­ern oder Dik­ta­toren der­jeni­gen, deren Loy­al­ität sie sich sich­ern wollen. Dieser Prozess im organ­isierten Chris­ten­tum ist vielle­icht sog­ar noch älter als der hier beschriebene Prozess des poli­tis­chen Kolonialismus.

Mod­erne multi­na­tionale Konz­erne arbeit­en auf ähn­liche Weise. Sie iden­ti­fizieren einen Markt oder ein Gebi­et, das über die gewün­scht­en Ressourcen ver­fügt. Sie erhal­ten dann eine Char­ta oder irgen­deine Form von Genehmi­gung ein­er west­lichen Regierung und schick­en so etwas wie eine kolonisierende Truppe in dieses Gebi­et. Gelingt es ihnen, in das Gebi­et einzu­drin­gen, wird es zu ein­er Art wirtschaftlich­er Kolonie des multi­na­tionalen Unternehmens. Der größte Wider­stand gegen diese Form des Ein­drin­gens kommt von den örtlichen Nationalisten.

In Nor­dameri­ka funk­tion­ieren die Bil­dung­sein­rich­tun­gen nach dem­sel­ben kolo­nialen Ver­fahren. Die Schulen wer­den von einem Sou­verän (z. B. dem Staat oder dem Bureau of Indi­an Affairs) gegrün­det, um in die Gemein­schaft der Ure­in­wohn­er einzu­drin­gen. Ziel ist es, die Einge­bore­nen als Arbeit­er und Kon­sumenten in die Gesellschaft einzugliedern, als “die Bauern der Indus­triege­sellschaft”. Der Sou­verän erken­nt keine andere Form der Sozial­isierung der Jugend an und lässt eine solche prak­tisch nicht zu. Wie in den Tagen der mit­te­lal­ter­lichen Burg ver­langt der Herrsch­er absolute Lehen­streue. In diesem beson­deren Rechtssys­tem leugnet der west­liche Herrsch­er die Exis­tenz der­jeni­gen, deren Treue er nicht erlan­gen kann. Einige von ihnen wer­den nach dieser Logik illegitim.

Dieses Konzept der Ille­git­im­ität wird dann in der offiziellen Regierungspoli­tik umge­set­zt. In den Vere­inigten Staat­en hat der Kolonisator zwei Kat­e­gorien von Ure­in­wohn­ern geschaffen:
Bun­desstaatlich anerkan­nte und nicht-bun­desstaatlich anerkan­nte. In jün­ger­er Zeit ist die Regierung zu ein­er Poli­tik der Nich­tan­erken­nung eines Volkes überge­gan­gen, das als “Urban Indi­ans” beze­ich­net wird. In Kana­da gibt es mehrere geset­zliche Def­i­n­i­tio­nen von Indi­an­ern. Es gibt sie in den Kat­e­gorien “Sta­tus”, “Non-Sta­tus”, “Metis” und “Enfran­chised”
(wahlberechtigt). Bei­de Län­der fahren fort von “Indi­an­ern” und “Eski­mos” zu sprechen, als ob es sich  bei den Eski­mos nicht um ein natives Volk der west­lichen Hemis­phäre han­deln würde.

Die Vere­inigten Staat­en und Kana­da prak­tizieren einen offenkundi­gen Kolo­nial­is­mus, der sich auf die poli­tis­chen Insti­tu­tio­nen der nativ­en Völk­er auswirkt. 1924 legte das neue kanadis­che Indi­an­erge­setz die rechtliche Grund­lage für die Ein­führung neokolo­nialer “Wahlsystem”-Regierungen in den Ter­ri­to­rien der indi­ge­nen Völk­er. In den Vere­inigten Staat­en wurde das­selbe Ziel mit der Ver­ab­schiedung des Indi­an Reor­ga­ni­za­tion Act von 1934 erre­icht. Bei­de Geset­ze sahen zwangsweise poli­tis­che Ein­rich­tun­gen unter den indi­ge­nen Völk­ern vor. Diese “Wahlsys­teme” ver­danken ihre Exis­tenz und Loy­al­ität den Vere­inigten Staat­en und Kana­da und nicht den indi­ge­nen Völk­ern. Sie sind per def­i­n­i­tionem Kolonien, die Klassen von “poli­tis­chen Bauern” bilden. Sie sind nur in dem Maße regierungs­fähig, als ihnen eine bes­timmte soziale Gesellschaft­sklasse von aussen erlaubt, zu regieren. Sie sind an den meis­ten Orten in den Ter­ri­to­rien der indi­ge­nen Völk­er die einzi­gen von den Kolonisatoren anerkan­nten Regierungsformen.

Auch die H au de no sau nee sind den ver­schieden­sten For­men des Kolo­nial­is­mus der west­lichen Regierun­gen unter­wor­fen. Der erste Kon­takt mit einem west­lichen Volk fand 1609 statt, als eine franzö­sis­che Mil­itär­ex­pe­di­tion unter der Führung von Samuel de Cham­plain einige Mohawks an dem See, der heute seinen Namen trägt, ermordete. 

Später, als die Hol­län­der kamen, war der erste Ver­trag (oder die erste Vere­in­barung), den wir mit einem europäis­chen Part­ner schlossen, der “Two Row Treaty”, in dem wir unsere Posi­tion klarstell­ten — näm­lich, dass wir ein eigen­ständi­ges, freies und sou­veränes Volk sind. Die Hol­län­der akzep­tierten diese Vereinbarung.

Aber die europäis­chen Natio­nen haben diese Vere­in­barung nie einge­hal­ten. Mehrere Male ver­suchte Frankre­ich, die H au de no sau nee durch Eroberung zu beherrschen. Eng­land hat oft alle möglichen Mit­tel einge­set­zt, darunter Zwang, Staat und mil­itärische Gewalt, um seine Sou­veränität über uns zu demon­stri­eren. Jedes Mal haben wir uns gewehrt.

Die Vere­inigten Staat­en schlossen mit den H au de no sau nee feier­liche Verträge ab, und jedes Mal wur­den prak­tisch alle Bes­tim­mungen der Verträge, die unsere Rechte als eigen­ständi­ge Nation garantieren, ignori­ert. Nur die Abschnitte der Verträge, die sich auf Land­ab­tre­tun­gen beziehen, Abschnitte, die oft auf betrügerische Weise erlangt wur­den, haben in den Augen der Regierun­gen der Vere­inigten Staat­en Gültigkeit.

Fort­set­zung mor­gen Sam­stag, den 16. Juli

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