Aus­zü­ge aus Haa­retz, der libe­ra­len israe­li­schen Zei­tung, vom 14. Sep­tem­ber 2023:

Auf­ge­deckt: Israe­li­sche Cyber-Fir­men haben ein “wahn­wit­zi­ges” neu­es Spy­wa­re-Tool ent­wi­ckelt. Es gibt kei­ne Verteidigung.

Eine Unter­su­chung von Haa­retz ent­hüllt, dass israe­li­sche Cyber­fir­men eine Tech­no­lo­gie ent­wi­ckelt haben, die das Wer­be­sys­tem im Her­zen der Online-Wirt­schaft aus­nutzt, um Zivi­lis­ten zu über­wa­chen, sich in ihre Tele­fo­ne und Com­pu­ter zu hacken und sie aus­zu­spio­nie­ren. Die­se erschre­cken­de Fähig­keit, gegen die es der­zeit kei­nen Schutz gibt, wur­de bereits an ein nicht-demo­kra­ti­sches Land verkauft.

Wir wer­den über­wacht. Das ist eine all­ge­mein aner­kann­te Wahr­heit über die­ses digi­ta­le Zeit­al­ter. Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men und Wer­be­trei­ben­de wis­sen fast alles über uns: wo wir uns auf­hal­ten, was wir kau­fen, wel­che Apps wir her­un­ter­la­den und wie wir sie nut­zen, unse­ren Such­ver­lauf und frü­he­re Ein­käu­fe, sogar unse­re sexu­el­le Ori­en­tie­rung und wel­che Feti­sche wir mögen. Es gibt nur eine Sache, auf die Wer­be­trei­ben­de kei­nen Zugriff haben oder haben sol­len: unse­re Iden­ti­tät. Die Welt der Wer­bung und der dahin­ter ste­hen­den Daten soll anonym sein.

Das haben wir alle schon erlebt. Wir lesen den Bei­trag eines Freun­des, der gera­de aus dem Urlaub zurück ist, und ein paar Stun­den spä­ter erscheint eine Hotel­an­zei­ge auf unse­rem Bild­schirm, und ähn­li­che Anzei­gen ver­fol­gen uns tage­lang über Web­sites und sozia­le Medi­en — aber nur weni­ge von uns haben eine Ahnung, wie oder war­um dies geschieht.

Wann immer wir eine Anwen­dung oder eine Web­site auf unse­rem Tele­fon öff­nen, fin­det, ohne dass wir es mer­ken, ein schnel­ler Pro­zess der Mas­sen­ver­hand­lung statt, und ein kom­ple­xer und aggres­si­ver Markt, der die gesam­te Wirt­schaft des Inter­nets ver­kör­pert, spielt sich ab: Im Bruch­teil einer Sekun­de — einem Bruch­teil des Augen­blicks, der ver­geht, bis sich die gewünsch­te Sei­te öff­net — fin­det ein auto­ma­ti­sches Biet­ver­fah­ren zwi­schen Hun­dert­tau­sen­den ver­schie­de­ner Wer­be­trei­ben­der statt. Sie wett­ei­fern dar­um, genau zu die­sem Zeit­punkt bei uns zu wer­ben. Je genau­er die Infor­ma­tio­nen sind, die die Wer­be­trei­ben­den über uns haben, je seg­men­tier­ter und geziel­ter die Daten sind, des­to grö­ßer ist die Chan­ce, dass wir tat­säch­lich kli­cken — und damit steigt der Preis für die Anzeige.

Aber eini­ge haben die Fähig­keit, die­sen Bruch­teil einer Sekun­de zu nut­zen, um eine viel bös­ar­ti­ge­re Mis­si­on aus­zu­füh­ren: den Leu­ten eine unver­wech­sel­ba­re, schein­bar unschul­di­ge Anzei­ge zu schi­cken, die fort­ge­schrit­te­ne Spy­wa­re ent­hält. Obwohl die Anzei­ge völ­lig nor­mal aus­sieht, han­delt es sich in Wirk­lich­keit um eine Cyber­waf­fe, die in der Lage ist, unser Tele­fon oder unse­ren Com­pu­ter zu infiltrieren.

In der Ver­gan­gen­heit glaub­te man, dass nur staat­li­che Geheim­diens­te über die­se Fähig­keit ver­fü­gen. Sie nutzt die Welt der digi­ta­len Wer­bung, die eigent­lich völ­lig anonym sein soll­te, um die Sicher­heits­me­cha­nis­men von Apple, Goog­le und Micro­soft zu umge­hen und fort­schritt­li­che Spio­na­gesoft­ware auf unse­ren Gerä­ten zu installieren.

“Die­se Fähig­kei­ten kön­nen jede Anzei­ge in eine Art digi­ta­les Geschoss ver­wan­deln”, so eine mit der Tech­no­lo­gie ver­trau­te Quelle.

Die neue Tech­no­lo­gie hat auch begon­nen, auf den kom­mer­zi­el­len Ver­tei­di­gungs­markt über­zu­grei­fen. Eine Unter­su­chung des Haa­retz Maga­zins und der Abtei­lung Natio­nal Secu­ri­ty & Cyber Digi­tal Inves­ti­ga­ti­on der Zei­tung hat her­aus­ge­fun­den, dass im Schat­ten der Coro­na­vi­rus-Pan­de­mie — als bestimm­te Tools ent­wi­ckelt und ein­ge­setzt wur­den, um die Ver­brei­tung des Virus zu ver­fol­gen — in Isra­el eine neue und beun­ru­hi­gen­de Cyber- und Spio­na­ge­in­dus­trie ent­stan­den ist. Eine Rei­he israe­li­scher Unter­neh­men hat Tech­no­lo­gien ent­wi­ckelt, mit denen sich Wer­bung aus­nut­zen lässt, um Daten zu sam­meln und Bür­ger zu über­wa­chen. Hun­dert­tau­sen­de — wenn nicht Mil­lio­nen — von Men­schen kön­nen auf die­se Wei­se über­wacht werden.

Die Unter­su­chung, die auf Inter­views mit mehr als 15 Quel­len aus Isra­els offen­si­ver Cyber‑, Sicher­heits­sys­tem- und Ver­tei­di­gungs­in­dus­trie beruht, zeigt außer­dem, dass eine klei­ne Grup­pe von Eli­te­un­ter­neh­men noch einen Schritt wei­ter gegan­gen ist: Sie haben eine Tech­no­lo­gie ent­wi­ckelt, die Anzei­gen für offen­si­ve Zwe­cke und zum Ein­schleu­sen von Spio­na­ge­pro­gram­men nutzt. Wäh­rend Mil­lio­nen von Anzei­gen um das Recht kon­kur­rie­ren, auf unse­re Bild­schir­me zu gelan­gen, ver­kau­fen israe­li­sche Unter­neh­men heim­lich Tech­no­lo­gien, die die­se Anzei­gen in Über­wa­chungs­in­stru­men­te ver­wan­deln — oder sogar in Waf­fen, die in unse­re Com­pu­ter oder Tele­fo­ne ein­drin­gen können. (…)

Am beun­ru­hi­gends­ten ist, dass es der­zeit kei­ne Schutz­maß­nah­men gegen die­se Tech­no­lo­gien gibt, und es ist nicht klar, ob sie über­haupt blo­ckiert wer­den kön­nen. Im Lau­fe der Jah­re haben Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men wie Apple und Goog­le Hun­der­te von Ein­brü­chen ver­hin­dert, durch die Spio­na­ge­pro­gram­me wie Pega­sus in Gerä­te ein­drin­gen konn­ten. Erst die­se Woche wur­de die digi­ta­le Geld­bör­se von Apple aus­ge­nutzt, um eine Nach­richt an die iPho­nes der Nut­zer zu sen­den, die ein Bild mit einem bös­ar­ti­gen Code ent­hielt. Die­se Sicher­heits­lü­cke wur­de blo­ckiert. Aber selbst die intel­li­gen­tes­ten und fort­schritt­lichs­ten Ver­tei­di­gungs­sys­te­me von Apple, Goog­le und Micro­soft sind der­zeit nicht in der Lage, die­se Art von Infek­ti­on zu ver­hin­dern. Bis heu­te gal­ten ihre Wer­be­sys­te­me, die über unzäh­li­ge Abwehr­me­cha­nis­men ver­fü­gen, als völ­lig sicher.

Dies ist eine Geschich­te über eine Tech­no­lo­gie, die die Sicher­heits- und Daten­schutz­be­schrän­kun­gen von Apple und Goog­le umgeht und durch eine raf­fi­nier­te Nut­zung von Wer­be­in­for­ma­tio­nen in Tele­fo­ne ein­dringt. Es ist eine Unter­su­chung dar­über, wie Wer­bung zu einem Kriegs­werk­zeug auf dem digi­ta­len Schlacht­feld wird. Eine Geschich­te über die gefähr­li­che Ver­bin­dung zwi­schen der Welt der Spio­na­ge und dem pri­va­ten Markt und ein per­fek­tes Bei­spiel für das, was als “Über­wa­chungs­ka­pi­ta­lis­mus” bezeich­net wird: wie zu kom­mer­zi­el­len Zwe­cken gesam­mel­te Infor­ma­tio­nen von Staa­ten für nach­rich­ten­dienst­li­che Zwe­cke genutzt wer­den und sich mit ein wenig Hil­fe israe­li­scher High­tech-Unter­neh­mer in ein Sicher­heits­pro­dukt ver­wan­deln, wo sie zu einer Waf­fe gegen Pri­vat­per­so­nen wer­den können. (…)

Spio­na­ge­pro­gram­me wie Pega­sus hacken Smart­pho­nes, indem sie Sicher­heits­lü­cken im iPho­ne-Betriebs­sys­tem aus­nut­zen. Aber hier geht es um etwas ande­res. Hier wird nicht ver­sucht, durch die Hin­ter­tür in ein Gerät ein­zu­drin­gen, son­dern es wird ver­sucht, durch ein vor­de­res Fens­ter ein­zu­drin­gen, ein Fens­ter, das dank der Wer­be­welt, die die gesam­te Inter­net­wirt­schaft am Lau­fen hält, weit geöff­net ist. (…)

Es ist seit lan­gem bekannt, dass Staa­ten über Über­wa­chungs­mög­lich­kei­ten ver­fü­gen und dass sie die­se gegen ihre eige­nen Bür­ger ein­set­zen kön­nen, selbst im Zeit­al­ter ver­schlüs­sel­ter Smart­pho­nes. In den letz­ten Jah­ren hat die Öffent­lich­keit erfah­ren, dass auch nicht-west­li­che Län­der — in Afri­ka, Asi­en, Mit­tel­ame­ri­ka und der ara­bi­schen Welt — über die­se Fähig­kei­ten ver­fü­gen, und zwar nicht, weil sie sie selbst ent­wi­ckeln konn­ten, son­dern weil sie sie auf dem pri­va­ten inter­na­tio­na­len digi­ta­len Waf­fen­markt erwor­ben haben.

Die­se Fähig­kei­ten, die zu einem nicht gerin­gen Teil von israe­li­schen Unter­neh­men ent­wi­ckelt wur­den und ursprüng­lich zur Ver­hin­de­rung von Ter­ro­ris­mus und schwe­rer Kri­mi­na­li­tät gedacht waren, wer­den eben­falls miss­braucht, vor allem von illi­be­ra­len, unde­mo­kra­ti­schen Län­dern, die wenig Erfah­rung mit sol­chen fort­schritt­li­chen Tech­no­lo­gien haben. Wie bei den Waf­fen bil­den sich neben dem regu­lier­ten, lega­len Markt auch dunk­le­re und weni­ger über­wach­te Märk­te, auf denen Tech­no­lo­gien — sei­en es Waf­fen oder digi­ta­le Waf­fen — an dubio­se Län­der ver­kauft wer­den, an die selbst Isra­el den Ver­kauf unter­sagt, und viel­leicht sogar an pri­va­te Ein­rich­tun­gen. Quel­len in der Bran­che war­nen, dass auch die­ses Mal ähn­li­che Kon­se­quen­zen dro­hen wie bei den Cyberangriffen.

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