Wal­ter Tell begrüsst den Geni­us Frank­reichs. Eher ver­dros­sen nimmt Wil­helm Tell von der Prä­senz der fran­zö­si­schen Trup­pen im Hin­ter­grund und dem zwei­spän­nig vor­ge­fah­re­nen Geni­us Frank­reichs Notiz (Brief­kopf auf amt­li­chem Brief­pa­pier der in der Schweiz sta­tio­nier­ten fran­zö­si­schen Armee, 1802 / Zürich Zentralbibliothek)

«Wil­helm Tell, der Du bist der Stif­ter unse­rer Frey­heit; Dein Name wer­de gehei­li­get in der Schweiz; Dein Wil­le gesche­he auch jetzt bey uns, wie zur Zeit, da Du über Dei­ne Tyran­nen gesiegt hast. Gieb uns heu­te Dei­nen Mut und Dei­ne Tap­fer­keit, und ver­zei­he uns unse­re ver­gan­ge­ne Erschro­cken­heit, dass wir so mut­los zuge­se­hen haben, wie man uns unse­rer Frey­hei­ten nach und nach beraub­te, wie auch wir ver­ge­ben allen unsern Vog­ten und Vor­ste­hern, wel­che allein die Schuld unse­rer ver­lo­re­nen Frey­heit gewe­sen sind;- und las­se uns in Zukunft nicht mehr unter­drückt wer­den, son­dern erlö­se uns auf immer von aller Art Skla­verey. Als­dann wird Dein blei­ben der Ruhm und die Ehre, und uns Schwei­zern allen die Frei­heit und Gleich­heit. Amen

Die­ses Gebet an Wil­helm Tell zir­ku­lier­te zuerst im Febru­ar 1798 in der Waadt, die sich am 24. Janu­ar als die Lema­ni­sche Repu­blik als von Bern los­ge­löst dekla­rier­te. Des­sen Autor war kein Schwei­zer Unter­tan, son­dern der fran­zö­si­sche Gesand­te in Basel Joseph Men­gaud. Damit begann eines der dra­ma­tischs­ten Kapi­tel in der Schwei­zer Geschich­te: Der Zusam­men­bruch der Alten Eid­ge­nos­sen­schaft durch das Ein­grei­fen fran­zö­si­scher Arme­en, die im Namen der Frei­heit einmarschierten.

Frank­reich war in der Alten Eid­ge­nos­sen­schaft schon seit län­ge­rem sehr prä­sent: Sie genoss einen pri­vi­le­gier­ten Zugang zum fran­zö­si­schen Markt und erhielt ver­güns­tig­te Lie­fe­run­gen von Salz und Getrei­de. Es gab ein Defen­siv­bünd­nis, das der neu­tra­len Eid­ge­nos­sen­schaft im Kriegs­fall fran­zö­si­sche Hil­fe zusi­cher­te, und 25’000 Schwei­zer dien­ten in der könig­li­chen fran­zö­si­schen Armee. Die Schwei­zer Aris­to­kra­tie unter­hielt enge Bezie­hun­gen zu Frank­reich. Zahl­rei­che Schwei­zer wur­den in den fran­zö­si­schen Adels­stand erho­ben und erreich­ten in der fran­zö­si­schen Wirt­schaft, Ver­wal­tung und im Mili­tär höchs­te Positionen.

Nach Aus­bruch der Revo­lu­ti­on in Frank­reich gab es zwar durch die sog. Patrio­ten und die Hel­ve­ti­sche Gesell­schaft sehr wohl For­de­run­gen nach einer grund­le­gen­den Erneue­rung des Anci­en Régime, aber nach der blu­ti­gen Radi­ka­li­sie­rung der Revo­lu­ti­on nahm die herr­schen­de Aris­to­kra­tie gegen­über Reform­wün­schen eine noch kom­pro­miss­lo­se­re Hal­tung ein, weil sie die Revo­lu­ti­on als Fol­ge der Schwä­che des Herr­schafts­sys­tems in Frank­reich interpretierte.

Das konn­te nicht gut gehen, — und es ging auch nicht gut: 1798 kam der gros­se Knall, und er begann im Basel­biet! Am 17. Janu­ar 1798 wur­de in Lies­tal ein Frei­heits­baum auf­ge­rich­tet und die Unter­ta­nen stürm­ten die Schlös­ser, die Sit­ze der städ­ti­schen Land­vög­te. Schon drei Tage spä­ter stand der nächs­te Frei­heits­baum auf dem Bas­ler Müns­ter­platz, die städ­ti­sche Regie­rung dank­te ab, und am 5. Febru­ar trat die Bas­ler Natio­nal­ver­samm­lung als ers­tes revo­lu­tio­nä­res Par­la­ment der Schweiz zusammen.

Frei­heits­hut aus der Gemei­nen Herr­schaft Thurgau

Dann ging es Schlag auf Schlag. Inner­halb weni­ger Wochen ver­än­der­te sich die Alte Eid­ge­nos­sen­schaft von Grund auf: Die aris­to­kra­ti­schen Regie­run­gen beeil­ten sich plötz­lich, auf die For­de­run­gen ihrer Unter­ta­nen ein­zu­ge­hen. Sie began­nen mit Ver­fas­sungs­re­vi­sio­nen, akzep­tier­ten die Volks­sou­ve­rä­ni­tät und die Gleich­be­rech­ti­gung der Land­schaft — zu spät … Die Gemei­nen Herr­schaf­ten und übri­gen Unter­ta­nen­ge­bie­te erklär­ten sich für frei und ver­lang­ten die Auf­nah­me in die 13-örti­ge Eidgenossenschaft.

Doch dazu soll­te es nicht mehr kom­men, denn schon 1797 hat­te das Direk­to­ri­um in Paris beschlos­sen, die Schweiz aus stra­te­gi­schen Erwä­gun­gen in eine Repu­blik nach fran­zö­si­schem Vor­bild umzu­wan­deln. Peter Ochs, der Bas­ler Gesand­te in Paris und zusam­men mit Fré­de­ric-César de la Har­pe glü­hen­der Anhän­ger von Auf­klä­rung und Revo­lu­ti­on, wur­de beauf­tragt, eine Ver­fas­sung für eine “Hel­ve­ti­sche Repu­blik” zu erar­bei­ten. Ochs ist des­we­gen bis heu­te im “Bas­ler Daig” eine abso­lu­te Unper­son geblieben 😉

Im glei­chen Jahr traf sich in Aar­au eine aus­ser­or­dent­li­che Tag­sat­zung und beschwor unter frei­em Him­mel vor 25’000 Zuschau­ern zum ers­ten Mal seit der Refor­ma­ti­on wie­der die alten Bün­de, um gegen aus­sen Geschlos­sen­heit zu demons­trie­ren, die es schon lan­ge nicht mehr gab …
Als im März 1798 das Direk­to­ri­um den defi­ni­ti­ven Ent­scheid fäll­te, die Revo­lu­ti­on in der Schweiz mit einer mili­tä­ri­schen Inter­ven­ti­on vor­an­zu­trei­ben, wehr­te sich zwar zuerst Bern und dann die Inner­schweiz, — erfolg­los: Am 12. April 1798 dekla­rier­te Ochs vom Bal­kon des Aar­au­er Rats­hau­ses die Hel­ve­ti­sche Repu­blik: Die Alte Eid­ge­nos­sen­schaft war Geschichte.

Gene­ral Bru­ne hat­te auf dem Feld­zug gegen Bern dekla­riert: “Guil­laume Tell sort de sa tom­be véné­réé, il vous crie: Enfants, bri­sez vos chaî­nes!” Und Wil­helm Tell tauch­te tat­säch­lich über­all auf,

zum Bei­spiel auf den Brief­köp­fen der neu­en Regie­rung des Kan­tons Sän­tis, jetzt als beschüt­zen­der und lie­be­vol­ler Vater.

Oder auf dem Sie­gel des Kan­tons Waldstätten:

 

Kan­ton Wald­stät­ten, Kan­ton Sän­tis? Das ruft nach einer Erklä­rung, und die erfolgt in einer Woche, wenn wir uns der tur­bu­len­ten Zeit der Hel­ve­ti­schen Repu­blik mit vier Staats­strei­chen inner­halb von vier Jah­ren zuwen­den. Auch Wil­helm Tell wuss­te oft nicht mehr, wo ihm der Kopf stand .…

Dazu mehr in der nächs­ten Folge

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