11. September, — 9/11 … Die Medien werden wie alle Jahre die mit Kommentaren garnierten Bilder der zusammenbrechenden Türme des WTC aus ihren Archiven holen. Es ist sicher richtig, der vielen Opfer und der dramatischen Folgen dieses Anschlags zu gedenken.
Hier soll allerdings an ein anderes 9/11 erinnert werden: an den Militärputsch 1973 in Chile, als die chilenische Armee unter der Führung von General Pinochet mit tatkräftiger Hilfe der Vereinigten Staaten die demokratisch gewählte Regierung von Salvador Allende stürzte.
Die Aussenpolitik der USA ist seit Jahrzehnten eine interessante Mischung aus Idealismus und knallharten Wirtschafts- und Machtinteressen. Und sie war und ist geprägt von einem manichäischen Blick auf die Welt, in dem alles, was das Etikett “links” trägt, sofort als Angriff auf die eigene Gesellschaftsordnung verstanden wird. Als Beispiel sei die Jagd auf “Kommunisten” in der McCarthy-Ära, der Sturz des iranischen Premiers Mossadegh, — oder eben die Intervention der CIA in Chile genannt.
Salvador Allende stammte aus einer angesehenen Familie — sein Urgrossvater war Dekan der medizinischen Fakultät und Gründer des Spitals in Santiago, sein Grossvater Freimaurer, Arzt und Gründer des Frauenspitals — und auch er trat als Arzt und Freimaurer in deren Fussstapfen. Sehr rasch erkannte er aber, dass — wenn man in Chile den hehren Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nachleben wollte — ein Engagement für mehr soziale Gerechtigkeit unabdingbar war.
Es ist hier nicht möglich, seinen Kampf im Detail nachzuzeichnen. Wichtig ist aber zu erwähnen, dass er mit seinen Bemühungen immer wieder zwischen die Fronten der Grossgrundbesitzer und reichen Oberschicht einerseits und gewaltbereite linksradikale Gruppierungen geriet. Sein Credo war es, keinen mit Gewalt verbundenen revolutionären Umsturz in Gang zu setzen, sondern eine zwar durchaus linksorientierte, aber fest im Rahmen der Verfassung verankerte Politik zu betreiben, die den mittellosen Arbeiter- und Bauernschichten Chiles zugute kommen sollte.
1999 kam es nach der Verhaftung des Ex-Diktators Pinochet zur Deklassierung und Veröffentlichung des “Church Reports”, worin eine elfköpfige Senatskomission den verdeckten Aktionen der USA zwischen 1963 und 1973 nachging. Colin Powell meinte 2003: “Was mit Allende geschah, gehört nicht zur Geschichte der USA.”
Das ist natürlich ein perfektes Beispiel für eine ziemlich verlogene politische Vogel Strauss-Haltung. Der Sturz der Regierung Allende und die nachfolgende brutale Militärdiktatur unter Pinochet mit Abertausenden von Opfern gehört sehr wohl dazu. Die amerikanischen Geheimdienste versuchten über Jahre hinweg mit vielen Millionen Dollars, die Regierung Allendes mittels Sabotageakten, Propaganda, Bestechung von Journalisten, usw. zu desavouieren und zu stürzen.
Als der Militärputsch frühmorgens am 11. September ausgelöst wurde, bot man Allende an, zusammen mit seiner Familie mit einer DC‑6 aus dem Lande zu fliehen. Allende wies das Angebot entrüstet zurück und begab sich in den Präsidentenpalast. Während des Bombardements gelang es ihm, sich ein letztes Mal via Radio an die Bevölkerung zu wenden:
“Ich wende mich an die Jugend, an jene, die mit Heiterkeit und Kampfgeist sangen … an die chilenischen Menschen, Arbeiter, Bauern, Intellektuelle, die verfolgt sein werden … weil in unserem Lande seit Stunden der Faschismus herrscht … Radio Magallanes wird verstummen und der ruhige Klang meiner Stimme wird euch nicht mehr erreichen … Unwichtig. Ihr werdet sie wieder hören. Ich bleibe bei euch. Zumindest in der Erinnerung … an einen würdigen Mann mit seiner Loyalität zu Volk und Arbeitenden … Schreitet voran im Wissen … dass die breiten Strassen sich öffnen, auf denen freie Menschen voranschreiten, um eine bessere Gesellschaft aufzubauen … Es lebe Chile! Es leben die Arbeitenden! Das sind meine letzten Worte, und ich habe die Gewissheit, dass mein Opfer nicht vergeblich ist. Ich bin sicher, dass es zumindest eine moralische Lehre ist, die die Heimtücke, die Feigheit und den Verrat bestraft.”
Dann erschoss er sich.
Unter dem Folterregime General Pinochets wurde Chile zu einem Testfeld für neoliberale Wirtschaftspraktiken. In der Schweiz rief die Freiplatzaktion die Bevölkerung auf, Flüchtlingen bei sich zuhause Gastrecht zu gewähren. Es gingen etwa 3000 Angebote ein. Der Bundesrat bewilligte in einer Sonderaktion die Einreise von 200.
Dieser Artikel basiert u.a. auf dem ausführlichen Artikel zu Salvador Allende, den mir
Louis Kuhn freundlicherweise zur Verfügung stellte. Er kann hier heruntergeladen werden.
Hans-Jörg Beutter
Sep 11, 2021
die anführung dieses um potenzen desaströseren ereignisses (gemessen an den unmittelbar damit verknüpften todes- und folterfällen – body-count-ebene – steht wieder mal als leuchtendes beispiel für das »ausserodentliche« am birsfälder.li: merci dafür!
persönlich bin ich durch diese grässliche geschichte letztlich unverhofft zu meinen spanisch-kenntnissen gekommen – in unsrem wg-haus wurde damals die unterste wohnung für chileflüchtlinge (eine junge familie) freigestellt (von irnwas mussten die ja dann auch leben – also haben ein wog-genosse und ich halt eben spanisch-stunden bei ihnen (mutter mit säugling) gebucht … gängsöfu.)