Was ver­schafft dem Weih­nachts­baum vor/neben/hinter dem „Café Mess­a­na“ die Ehre zum Titel­bild unse­res Weih­nachts­bei­trags? Ganz ein­fach und pro­fan; unser Redak­tor und unser Gast­au­tor begeg­nen sich fast täg­lich im „Mess­a­na“ bei der Lek­tü­re der gän­gi­gen Tageszeitungen.
Manch­mal bleibt’s bei einem Nicken, einem Hand­schlag, einem Schul­ter­klop­fen. Manch­mal kommt es zu einem Aus­tausch von Zei­tun­gen, die bei­de seit Jah­ren nicht mehr pri­vat abon­nie­ren, es wer­den Scher­ze und Erin­ne­run­gen aus­ge­tauscht und ab und an kommt es zu dem beschei­de­nen Ver­such nach einem Ansatz­punkt zu suchen, von dem aus die Welt ver­än­dert wer­den könnte.
Klar, dass wir Wal­ter Bochs­ler zum zwei­ten Mal gebe­ten haben, dem „birsfälder.li“  den Text sei­ner Weih­nachts­pre­digt zur Ver­öf­fent­li­chung zu über­las­sen, zumal sich auf der Redak­ti­on kei­ner dazu beru­fen fühlt.

Dan­ke Walter.

Viel­leicht gibt es einige,
die das Glei­che emp­fin­den: Wir haben sie wie­der ein­mal hin­ter uns, die Advents­zeit. Die Weih­nachts­män­ner und fal­schen San­tik­läu­se, das Geplärr von Weih­nachts­lie­dern aus den Laut­spre­chern der Kon­sum­tem­pel, die über­vol­len Brief­käs­ten mit den Ver­su­chen, uns zum Kauf von Din­gen zu ani­mie­ren, die wir eigent­lich nicht brau­chen und die Ver­su­che, uns ein schlech­tes Gewis­sen ein­zu­re­den, wenn wir nicht jeden und jede mit einem Weih­nachts­ge­schenk beglü­cken wür­den. Ich jeden­falls gehö­re nicht zu denen, die auf­fäl­lig an den Kon­sum­ak­tio­nen der Advents- und Weih­nachts­zeit par­ti­zi­pie­ren. Es geht mir zu sehr um immer Mehr und immer Grös­ser. 

Ich habe ein wun­der­schö­nes Adventskonzert
in einer Dorf­kir­che mit jun­gen, begeis­tern­den Musi­kern genos­sen, die wun­der­bar geschmück­ten Advents­fens­ter in mei­ner alten Gemein­de Pfef­fin­gen und das Zusam­men­sein mit Freun­den beim Ein­fal­len der Nacht und dem nicht von Wol­ken ver­dun­kel­ten Licht der Ster­ne, die irgend­wie im Dezem­ber anders leuch­ten als sonst. Ich ver­su­che, eine Tren­nung zu fin­den zwi­schen Kon­su­mis­mus und der Suche nach dem, was ich/wir eigent­lich noch erwar­ten. Man sagt ja, die Advents­zeit sei eine Zeit des War­tens, was mit adven­tus aller­dings nicht gemeint ist, da dies Ankunft meint. Aber viel­leicht ist es das Erwar­ten einer Ankunft, die Erwar­tung von etwas, das bis­her nicht ein­ge­trof­fen ist, von etwas, wor­auf wir aber unse­re Hoff­nung set­zen. Also Glau­be, was doch in der bibli­schen Bot­schaft mit pis­tis gemeint ist, unse­re Hoff­nung set­zen auf und dies unter dem gan­zen Ein­satz unse­rer Mög­lich­kei­ten. Ja, was ist es, was wir erwar­ten und erhoffen?

Für vie­le
liegt noch immer ein Zau­ber über die­ser Nacht/Weihnachten, auch wenn uns nicht ent­geht, dass die­se Tage auch zu vie­len Kon­flik­ten füh­ren und unschön enden kön­nen und es die Men­schen nach wie vor nicht fer­tig­brin­gen, ihre Aus­ein­an­der­set­zun­gen unter­ein­an­der zu einem Ende zu brin­gen und der Lärm der Waf­fen nicht schwei­gen will. Also bleibt weit­ge­hend ein­fach ein schö­nes Gefühl, manch­mal die Erfah­rung von Gemein­schaft, die sonst oft fehlt und ein biss­chen Erin­ne­rung an frü­he­re Zei­ten, als die meis­ten von uns weni­ger zur Ver­fü­gung hat­ten und die­se Tage doch noch weni­ger vom welt­um­span­nen­den Kon­su­mis­mus  beein­träch­tigt waren. 

Doch was fei­ern wir in die­ser Nacht/
an die­sem Tag eigent­lich und fei­ern hat ja durch­aus einen umfas­sen­den Sinn, auch wenn kein mensch­li­ches Leben nur aus Fei­ern besteht.  Was aber ist es denn, was gefei­ert wird.

Gefei­ert wird eine Geburt und die Erin­ne­rung an eine Geburt, die lan­ge zurück­liegt. Sie geschah in Paläs­ti­na, einem abge­le­ge­nen Win­kel inner­halb des Impe­ri­um Roma­num, einer Stät­te aus­ser­halb jeg­li­cher Auf­merk­sam­keit, von der wir ohne die­se Geburt mehr oder weni­ger nichts wüss­ten. Doch in die­ser einen Nacht gab es im Impe­ri­um Hun­der­te von Gebur­ten, in Reich­tum und Elend wie die­se, sie war also etwas All­täg­li­ches. War­um also die­se Geburt fei­ern, sich an sie erin­nern? 

Mit die­ser Geburt ver­bin­den wir Chris­ten die Mensch­wer­dung Got­tes. Gott wird Mensch, dar­auf set­zen wir unser Ver­trau­en. Im latei­ni­schen Glau­bens­be­kennt­nis heisst es: „et homo fac­tus est“. Er ist zum Mensch gemacht wor­den. „Fac­tus est“, das heisst modern; es ist ein Fact, eine Tat­sa­che. Doch was heisst das, was bedeu­tet es für uns? Mensch­wer­dung Got­tes als Fact?

Ein bedeu­ten­der Denker,
des­sen 2oo. Geburs­tag wir in die­sem Jahr began­gen haben, und der von ver­schie­de­nen Theo­lo­gen als Kir­chen­va­ter von Trier bezeich­net wird, schrieb in sei­ner Kri­tik der hegel­schen Rechts­phi­lo­so­phie den bemer­kens­wer­ten Satz: „Dar­um gilt es fest­zu­hal­ten, dass der Mensch für den Men­schen das höchs­te Wesen sei“. Es wird mir immer kla­rer, das der im Juden­tum erzo­ge­ne Den­ker, der sei­ne Tho­ra, die hei­li­gen Schrif­ten des Juden­tums sehr genau kann­te, mit die­sem Satz den Kern von Weih­nach­ten trifft. Denn wenn Gott Mensch wird und nicht Gott bleibt, dann bringt er zum Aus­druck, dass auch für ihn der Mensch das höchs­te Wesen ist. Wenn wir uns umse­hen, dann erschre­cken wir immer wie­der, wie Men­schen mit Men­schen umge­hen, wie dies kürz­lich im öster­rei­chi­schen Fern­se­hen wie­der mit dem Film „Die Kin­der von Paris“ gezeigt wur­de, und was wir auch Tag für Tag hören und sehen, wenn wir die Augen, die Ohren und das Herz nicht ganz ver­schlies­sen. 

Ich den­ke, dass Gott aus der Feststellung,
dass der Mensch für den Men­schen das höchs­te Wesen ist und er des­we­gen Mensch wird, das Ziel der Mensch­wer­dung des, der Men­schen ver­folgt. Er wird Mensch, damit Men­schen sich nicht mehr über ande­re erhe­ben müs­sen, sie nicht ver­fol­gen, ernied­ri­gen und ihnen das Leben zur Höl­le machen, dass mit andern Wor­ten, Men­schen sich nicht wei­ter wie Göt­ter oder bes­ser gesagt Göt­zen auf­füh­ren müs­sen und nicht wei­ter­hin die Men­schen bedrän­gen und ihnen jede Aus­sicht auf ein Leben in Wür­de rau­ben. So ist es für mich kein Zufall, dass die­se Mensch­wer­dung Got­tes nicht im Zen­trum der römi­schen, mör­de­ri­schen Welt statt­fin­det, son­dern in einer ver­las­sen Ecke die­ses Sys­tems, einer Ecke, die zwar beson­ders unter der römi­schen Aus­beu­tungs­herr­schaft zu lei­den hat­te. Im Zen­trum einer Macht ent­steht und ent­wi­ckelt sich nur neue Macht, die viel­leicht die ande­re, vor­her­ge­gan­ge­ne ablöst, die­se aber nicht über­flüs­sig macht. Des­we­gen die Geburt die­ses Men­schen, der das Reich Got­tes ankün­di­gen und zei­chen­haft gegen­wär­tig machen wird, in einem Stall gebo­ren wird, abge­scho­ben an den Rand der Gesell­schaft, die selbst schon eine mar­gi­na­le ist, abge­scho­ben auf Heu und Stroh, wahr­ge­nom­men nur von den Rand gedräng­ten Hir­ten und ein paar barm­her­zi­gen Tie­ren. Bald auch ver­folgt vom loka­len Macht­ha­ber zu Roms Gna­den und über­le­bend nur, weil ein frem­des Volk in Ägyp­ten die Flücht­lin­ge auf­nimmt. Auch da wird der Plan Got­tes deut­lich, wie es uns die bibli­sche Bot­schaft immer wie­der vor Augen führt: Macht gebiert Macht, Unge­rech­tig­keit gebiert Unge­rech­tig­keit,  über­wun­den kön­nen bei­de nur vom Rand her, weil man vom Rand her die Aus­beu­tung und die Unge­rech­tig­keit auch kla­rer erkennt und so ein Über­win­den nicht zwin­gend, aber doch eher mög­lich wird. Das aber wäre die Bestim­mung, der nach­zu­le­ben allen auf­ge­ge­ben ist, die auf die Mensch­wer­dung ihres Got­tes ihr gan­zes Ver­trau­en setzen.

Mensch­wer­dung Got­tes und Mensch­wer­dung des Men­schen, vie­ler Men­schen, wohl aller Men­schen. Im glei­chen Satz, wo Marx davon spricht, dass der Mensch für den Men­schen das höchs­te Wesen sei, fährt er fort: „Dar­aus folgt der kate­go­ri­sche Impe­ra­tiv, alle Ver­hält­nis­se umzu­wer­fen, in denen der Mensch ein ernied­rig­tes, ein geknech­te­tes,  ein ver­las­se­nes, ein ver­ächt­li­ches Wesen ist“. Und dass dadurch etwas gänz­lich Neu­es ent­steht, wodurch eigent­lich kein Stein auf dem andern blei­ben wird. 

Die Bibel spricht
im Gefol­ge von der Mensch­wer­dung Got­tes nie­mals von einer neu­en Welt, in einer neu­en Zeit und an einem gänz­lich ande­ren Ort, son­dern immer klar und ein­deu­tig von die­ser Welt anders (Ver­kamp). Mit der Bot­schaft, dem aus­ge­führ­ten Fact von der Mensch­wer­dung Got­tes ist als kei­nes­wegs eine Ver­trös­tung in ein Jen­seits irgend­wel­cher Art im Sin­ne von Zeit und Ort gemeint, son­dern eine Ver­än­de­rung die­ser unse­rer gemein­sa­men Welt, genau nach dem Satz im Gebet „Vater Unser“: „Dein Reich kom­me, dein Reich wer­de Wirk­lich­keit!“ Mensch­wer­dung Got­tes führt zur Mensch­wer­dung des Men­schen und somit zur Ver­mensch­li­chung unse­rer Welt. Der mensch­ge­wor­de­ne Gott wird so zum Kom­pli­zen der Huma­ni­sie­rung und Eman­zi­pa­ti­on des Men­schen.  Für die­sen Gott ist der Mensch das höchs­te Wesen für den Men­schen. Gott selbst ist nur des­halb das höchs­te Wesen für den Men­schen, weil er dar­auf besteht, dass der Mensch das höchs­te Wesen für den Men­schen ist. Dass Gott selbst Mensch gewor­den ist, bedeu­tet eben dies.“ (Franz Hinkelammert).

Wer fin­det, die­se Botschaft
von der Mensch­wer­dung Got­tes und der Mensch­wer­dung des Men­schen sei heu­te nicht mehr zeit­ge­mäss, der/die ver­schliesst die Augen vor der Wirk­lich­keit und der Bedro­hung unse­res Mensch­seins und unse­rer Welt als Gan­zes. Mir ist bewusst, dass die­se Hal­tung, die­se Über­zeu­gung, die­ses Ver­trau­en in die Mög­lich­kei­ten Got­tes und gleich­zei­tig auch der Men­schen, Men­schen zu wer­den unter der Gewalt des Kon­su­mis­mus ste­hen, unter den Ver­su­chen, aus der Hoff­nung der Men­schen auf die­se Welt anders eine oder vie­le For­men der Ver­in­ner­li­chung, der pri­va­ten Fröm­mig­keit und der kri­tik­lo­sen Aner­ken­nung des ein­zi­gen welt­um­span­nen­den Dog­mas der Ver­meh­rung des Kapi­tals zu stel­len. Und genau dies ver­hin­dert die Mensch­wer­dung Got­tes und die Mensch­wer­dung der Menschen.

Weih­nach­ten, geweih­te Nacht, Mensch­wer­dung Got­tes ist so kein Abschluss, son­dern ein Beginn. Beginn einer neu­en Geschich­te Got­tes mit sei­nen Men­schen. Kein Beginn mehr von oben her­ab, son­dern im Gegen­teil auf Augen­hö­he, kein Beginn aus den Zen­tren der Macht, son­dern vom Rand, von den Rän­dern her, Beginn einer Bewe­gung von Men­schen, die immer mehr und immer bes­ser Men­schen wer­den wol­len und so die Bewe­gung von den Rän­dern in die Mit­te führt, indem sie alle, die bestän­dig an den Rän­dern zu leben haben und ihr Leben fris­ten, ins Zen­trum, in die Mit­te füh­ren wol­len. Die Mensch­wer­dung Got­tes ist für uns Men­schen von ihm her frei­wil­lig, unge­zwun­gen zu ver­ste­hen, gra­tis sozu­sa­gen. Sor­gen wir alle, jun­ge und alte Men­schen, Hie­si­ge und Zuge­wan­der­te dafür, dass sie nicht umsonst gesche­hen ist. Getreu nach dem Mot­to unse­res Got­tes:   Sie­he ich mache alles neu.

Wal­ter Bochs­ler (Weih­nachts­pre­digt, Gel­terkin­den 2018)

Tür.li 24 (2018)
Mattiello am Mittwoch

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