Ausschnitt aus dem Titelbild der Weltwoche vom 1. August 2020 von Thomas Hirschhorn, mit Simone Weil-Portrait
Sie starb im August 1943 34-jährig im Krankenhaus der englischen Kleinstadt Ashford an Hunger und Herzinsuffizienz. Sie war nach England gereist, um sich dem Befreiungskomitee von Charles de Gaulle anzuschliessen. Von Marseille aus war sie zuerst in die USA zu ihren Eltern geflohen. Und nach Marseille hatte sie die Flucht vor der Gestapo geführt — eines der vielen jüdischen Schicksale im 2. Weltkrieg …
“Simone Weil irritiert und fordert bis heute heraus, weil ihr Leben und Werk einfach in keine Schablone passen will — ein radikaler und unabhängiger Geist.
Simone Weil hinterließ ein in seiner Vielseitigkeit außergewöhnliches Werk, dessen größter Teil erst nach ihrem Tod erschien. In ihm finden sich Schriften zur Philosophie und Kulturphilosophie, zur Theologie und Mystik, aber auch Abhandlungen zu Sozialreformen und Gewerkschaftsfragen wie Tagebücher, Theaterstücke und Gedichte. Ihr wichtigster Text aber bleibt ihre Schrift „Unterdrückung und Freiheit“, eine umfassende Analyse der politischen und sozialen Repression, ihrer Ursachen und Mechanismen, die bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat.” (Deutschlandfunk Kultur)
Heinrich Böll schrieb von ihr: „Die Autorin liegt mir auf der Seele wie eine Prophetin; es ist der Literat in mir, der Scheu vor ihr hat; es ist der potentielle Christ in mir, der sie bewundert, der in mir verborgene Sozialist, der in ihr eine zweite Rosa Luxemburg ahnt; .… Ich möchte über sie schreiben, ihrer Stimme Stimme geben, aber ich weiß: ich schaffe es nicht, ich bin ihr nicht gewachsen, intellektuell nicht, moralisch nicht, religiös nicht. Was sie geschrieben hat, ist weit mehr als ‚Literatur‘, wie sie gelebt hat, weit mehr als ‚Existenz‘. Ich habe Angst vor ihrer Strenge, ihrer sphärischen Intelligenz und Sensibilität, Angst vor den Konsequenzen, die sie mir auferlegen würde, wenn ich ihr wirklich nahe käme. In diesem Sinne ist sie nicht ‚Literatur als Gepäck‘, aber eine Last auf meiner Seele. Ihr Name: Simone Weil.“
Und Thomas Hirschhorn, der in Paris lebende Schweizer Künstler und Gestalter des WW-Titelblatts, begründete seinen Aufruf, sich mit Weil zu beschäftigen, unter anderem so:
“Ihre Philosophie ist radikal und singulär, deshalb ist es so wichtig, sie heute zu lesen. … Simone Weil denkt, was man nicht denken kann, was man nicht denken will, was man nicht denken muss … Ich liebe ihre Verrücktheit, ihre Askese, ihre Präzision, und ich denke, die Lektüre der Texte von Simone Weil kann uns helfen, in dieser “ver-rückten” Welt zu existieren — nicht etwa zu funktionieren. … Simone Weil ist souverän, sie ist stolz, sie ist frei, sie ist schön. … Sie hat “Revolution” gelebt — in und mit der Realität. Ihr Denken ist revolutionär, ihre Philosophie ist nicht blosse Theorie, sondern gelebtes Denken. … Ich selbst habe versucht, Simone Weils Denken durch folgende sechs Begriffe zu definieren: Kriegerin, Arbeiterin, Feministin, Augenzeugin, Heilerin, Philosophin.”
Doch lassen wir Simone Weil doch einfach einmal selber sprechen:
“Die Entwurzelung ist bei weitem die gefährlichste Krankheit der menschlichen Gesellschaft. … Die Verwurzelung ist vielleicht das wichtigste und meistverkannte Bedürfnis der menschlichen Seele.”
„Unser wirkliches Leben setzt sich zu mehr als drei Vierteln aus Einbildung und Fiktion zusammen. Die wahren Berührungen mit dem Guten und dem Bösen sind selten.“
“Die Geschichte ist ein Gewebe von Gemeinheiten und Grausamkeiten, in dem von Zeit zu Zeit einige seltene Tropfen Reinheit aufglänzen. Dass dem so ist, rührt zum ersten daher, dass es nur wenig Reinheit unter den Menschen gibt, ferner daher, dass der grösste Teil dieses Wenigen verborgen geblieben ist.“
„Gott wartet wie ein Bettler, der aufrecht, reglos und schweigend vor jemandem dasteht, der ihm vielleicht ein Stück Brot geben wird. Die Zeit ist dieses Warten. Die Zeit ist das Warten Gottes, der um unsere Liebe bettelt.”
„Die Wirklichkeit des Lebens besteht nicht aus Gefühl, sondern aus Aktivität.”
„Man muss sich entwurzeln. Den Baum fällen und ein Kreuz daraus zimmern und dieses dann alle Tage tragen.“
“Der Tod ist die kostbarste Gabe, die der Mensch empfangen kann. Darum ist es der ärgste Frevel, ihn schlecht zu gebrauchen.“
Etwas verwirrt oder irritiert ;-)? — Das sind beste Voraussetzungen, um in den kommenden Folgen etwas in das Leben und das Werk von Simone Weil einzutauchen :-), — und zwar wie üblich am kommenden Samstag, den 19. September
Elisabeth Hischier
Sep 12, 2020
Vielen Dank, Max, für diesen Beitrag zu Simone Weil und die Hinweise ihrer Rezeption durch Böll und Hirschhorn. Sehr interessant sind auch ihre Zitate. Sie laden ein, sie eingehend zu lesen. Ging bei mir unter.„