Fast alle Aka­de­mi­ker, die sich seit eini­ger Zeit mit dem “okkul­ten Unter­grund” in der west­li­chen Geis­tes­ge­schich­te aus­ein­an­der­set­zen, hal­ten den gebüh­ren­den “objek­ti­ven aka­de­mi­schen Abstand” zu ihren For­schungs­ge­gen­stän­den. Und falls einer von ihnen auf die Idee kommt, es loh­ne sich, eini­ges davon mit­tels eige­ner Erfah­rung zu tes­ten, wer­den ihm bald ein­mal die aka­de­mi­schen Wei­hen abge­spro­chen. So gesche­hen im Fal­le von Arthur Vers­lu­is, als er sich ver­tieft mit eso­te­ri­schen Aspek­ten inner­halb des Chris­ten­tums zu beschäf­ti­gen begann.

Gus­tav Mey­rink woll­te nicht nur wis­sen, son­dern auch erfah­ren. Er führ­te noch und noch Séan­cen mit spi­ri­tis­ti­schen Medi­en durch. “Das Resul­tat war Null. Er trat diver­sen okkul­ten Gesell­schaf­ten und Logen bei, grün­de­te sogar sel­ber eine, — nur um wenig spä­ter wie­der ent­täuscht aus­zu­tre­ten. Er setz­te sich mit der Theo­so­phie Hele­na Petrov­na Bla­va­t­skys aus­ein­an­der, las Bücher über Yoga und Vedan­ta, damals noch exo­ti­sches Neu­land, und pfleg­te eine inten­si­ve inter­na­tio­na­le Kor­re­spon­denz. Dabei wur­de ihm die eng­li­sche Spra­che so geläu­fig, dass er eng­li­sche Bücher wie ein aus­ge­bil­de­ter Dol­met­scher beim Lesen direkt ins Deut­sche über­setzt vor­le­sen konn­te. Das soll­te ihm spä­ter bei sei­nem Brot­er­werb als Über­set­zer u.a. der Wer­ke von Charles Dickens zugutekommen.

Sei­ne nega­ti­ven Erfah­run­gen mit all den Gurus, Medi­en und Hei­lands schil­der­te er vie­le Jah­re spä­ter in sei­nem Text “Hoch­stap­ler der Mys­tik”, gespickt mit kurio­sen Anek­do­ten.

Doch damit endet die Geschich­te sei­ner Aus­ein­an­der­set­zung mit dem “Okkul­ten” nicht. Er kam zur Über­zeu­gung, dass er auf die­sem Gebie­te nur durch urei­gens­te Erfah­rung einen Schritt wei­ter kom­men könn­te. Einem ein­zi­gen Leh­rer hielt er aller­dings über vie­le Jah­re hin­weg die Treue, einem analpha­be­ti­schen Weber­ge­sel­len namens Alo­is Mai­län­der, dem er auf mys­te­riö­se Wei­se zuge­führt wor­den war: “Die Leh­re jenes hes­si­schen ein­fa­chen Man­nes gip­fel­te dar­in: Die See­le des Men­schen lebt im Kör­per, nicht, um ihn zu ver­las­sen, so wie einer umkehrt, der sieht, dass er in eine Sack­gas­se gera­ten ist, son­dern um die Mate­rie zu ver­wan­deln! — Er glich in vie­len sei­ner Erleb­nis­se dem Seher Jakob Böh­me, der heu­te jedem Gebil­de­ten bekannt ist als wun­der­ba­rer Mensch; er über­traf ihn als Hell­se­her in man­chem Gra­de, aber him­mel­hoch über­traf er ihn durch die erwähn­te Erkennt­nis, dass ein Weg­ge­hen von der Welt falsch ist, so erha­ben die­se Welt­flucht auch schei­nen mag.” 

Es ist hier schlicht unmög­lich, all die Expe­ri­men­te auf­zu­füh­ren, die er mit sich sel­ber als Ver­suchs­ka­nin­chen durch­führ­te: stun­den­lan­ge Yoga­übun­gen, Atem­tech­ni­ken, Kon­zen­tra­ti­ons­übun­gen, Man­tra­übun­gen, um nur eini­ge weni­ge zu erwähnen.

Hier ein klei­nes Bei­spiel: “Eines Nachts, ich saß, da es Win­ter war und ein Hin­aus­rei­ten auf mei­nen Hügel des tie­fen Schnees wegen nicht mög­lich schien, auf einer Bank an der Mol­dau. Hin­ter mir ein alter Brü­cken­turm mit einer gro­ßen Uhr. Ich hat­te bereits eini­ge Stun­den, tief in mei­nen Pelz gehüllt, aber den­noch schau­ernd vor Käl­te, dage­ses­sen und in den schwarz­grau­en Him­mel gestarrt, mich abmü­hend auf jede nur mög­li­che Art, das zu erlan­gen, was mir Mrs. Besant in einem Brie­fe als inne­res Schau­en erklärt hat­te. Alles ver­geb­lich. … Mit andern Wor­ten, ich war gewohnt, in Wor­ten und nicht in Bil­dern zu den­ken. Auf die erwähn­te Bank hat­te ich mich gesetzt mit dem fes­ten Ent­schluss, nicht eher auf­zu­ste­hen, bis es gelun­gen sei, das inne­re Gesicht mir zu erschlie­ßen; des erha­be­nen Vor­bilds des Bud­dhas Gota­mo ein­ge­denk, der sich einst unter den Bodhi­baum gesetzt hat­te mit ähn­li­chem Ent­schluss. Ich hielt es natür­lich nur etwa fünf Stun­den aus und nicht wie Er Tage und Nächte.

Die Fra­ge dräng­te sich mir plötz­lich auf: wie spät mag es wohl sein? Da, gera­de in die­sem Augen­blick jenes Her­aus­ge­ris­sen­seins aus mei­ner Ver­sen­kung sah ich mit einer Schär­fe und Deut­lich­keit, wie ich vor­her nie­mals in mei­nem Leben irgend­ei­nen wirk­li­chen Gegen­stand wahr­ge­nom­men zu haben mich erin­ne­re, eine rie­si­ge Uhr grell leuch­tend am Him­mel ste­hen. Die Zei­ger wie­sen: zwölf Minu­ten vor zwei. Der Ein­druck war so gewal­tig, dass ich genau spür­te, wie mein Herz­schlag — nicht stock­te, nein: wie er außer­ge­wöhn­lich lang­sam wur­de. So, als hiel­te eine Hand ihn fest. Ich dreh­te mich um, blick­te auf die Turm­uhr, die bis dahin hin­ter mir stand. Dass ich mich schon frü­her umge­dreht hät­te und dadurch gewis­ser­ma­ßen einen Anhalts­punkt wie spät es war gewon­nen haben könn­te, ist voll­kom­men aus­ge­schlos­sen, denn ich hat­te die fünf Stun­den unbe­weg­lich auf der Bank geses­sen, wie es bei der­lei Kon­zen­tra­ti­ons­übun­gen stren­ge Vor­schrift ist!

Die Turm­uhr zeig­te eben­falls, genau wie die visio­när am Him­mel Erblick­te: zwölf Minu­ten vor zwei. — Ich war gera­de­zu see­lig; nur eine lei­se Angst: wird das »inne­re Auge« offen blei­ben? — beschlich mich. Ich nahm mei­ne Übung wie­der auf; eine Zeit lang blieb der Him­mel schwarz­grau und ver­schlos­sen, wie vor­dem. Plötz­lich kam mir der Ein­fall, zu ver­su­chen, ob es mir nicht gelin­gen möch­te, mein Herz wie­der so ruhig und gebän­digt schla­gen zu machen, wie es von selbst bei der Visi­on oder viel­leicht, höchst­wahr­schein­lich sogar, vor der Visi­on von selbst gesche­hen war. — Es war dies nicht so sehr ein Ein­fall gewöhn­li­cher Art, son­dern viel­mehr eine halb ertas­te­te Schluss­fol­ge­rung oder Anlei­tung aus dem Sinn eines Sat­zes des Bud­dha, der sich mir auf­dräng­te, als käme er aus dem unsicht­ba­ren Mund des »Ver­mumm­ten«. Der Satz lau­te­te: »Vom Her­zen gehn die Din­ge aus, sind herz­ge­bo­ren und Herz gefügt.« — Damals hat sich mir die­ser Satz tief ins Blut geprägt; er ist nicht bloß die schö­ne Sen­tenz, die einer, der sie liest, als sol­che emp­fin­det und zu einem Ohr hin­ein­ge­hen und zum andern wie­der hin­aus­ge­hen lässt, nein: sie ist der Inbe­griff einer gan­zen Phi­lo­so­phie, eine Erkennt­nis, dass alles, was wir hier auf Erden und im mate­ri­el­len Kos­mos als außer uns objek­tiv bestehend wahr­zu­neh­men ver­mei­nen, nicht Stoff ist, son­dern ein Zustand unse­rer selbst.”

An wei­te­ren Expe­ri­men­ten inter­es­siert? Hier eine klei­ne Auswahl:
— Sei­ne Erfah­run­gen in einer “Poltergeist”-Villa im Süd­ti­rol. (Sie brach­ten ihn dazu, die Berich­te über D.D. Home — sie­he Teil 4 — ernst zu nehmen)
— Sei­ne Expe­ri­men­te mit Gedankenübertragung.
— Sei­ne Erfah­rung mit einem “Wahr­t­raum”.
— Sei­ne Erleb­nis­se mit einer Tech­nik, ver­lo­re­ne Gegenstände zurückzuholen.

All die­ses jah­re­lan­ge Erfor­schen einer mys­te­riö­sen “Anders­welt” gab ihm genü­gend Stoff, Ein­sich­ten und Erfah­run­gen, um als Grund­la­ge für sei­ne Roma­ne die­nen zu können.

Ihnen wer­den wir uns end­lich ab Sams­tag, den 9. Janu­ar zuwen­den können!

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