Da sitzt nun also unsere Helvetia (hockt darf man ja nicht sagen, ohne eine Leserbriefflut auszulösen). Was denkt sie wohl? Ihr Blick geht eindeutig in die Ferne, nach Norden — sehnt sie sich nach der EU?
Doch wohin soll die Reise gehen, die durch den Koffer zu ihrer Seite ja angedeutet wird?
Vielleicht hat sie ja so genug von den volkstümelnden, heimatbeschwörenden und neuvollchristlichen Parteien, die sich bürgerlich nennen? Oder schämt sie sich wegen den Waffenausfuhren und den Steueroptimierungen von / für Grosskonzerne? Aber vielleicht sinniert sie auch nur dem Stuss nach, den wir in der Schule als Entstehungsgeschichte der Schweiz gelernt haben?
Einige von Ihnen erinnern sich sicher noch an das Lied »Willhelm bin ich der Telle«, das dieses Geschichtsbild voll abbildet (hier in einer gekürzten Variante, das Original habe fast 30 Strophen gehabt …)
Möglicherweise kommt Helvetia dann in den Sinn, welch übergrosse Bedeutung der Bundesbrief von 1291 erhalten hat, der in einem eigenen Museum vor sich hin dümpelt … Und der selbst findet, er sei kein Revoluzzer-Dokument, kein Tyrannensturz, nichts gegen Habsburg, sondern nur ein ganz alltägliches Landfriedensabkommen aus einer Zeit, in der der König gestorben war und noch kein Nachfolger in Sicht war …
Da gab es doch eine Nationalrätin Yvette Estermann, SVP, die in einer Kolumne der eingegangenen Zeitung »Schweiz am Wochenende« allen Ernstes schreiben konnte, die Schweiz kenne Demokratie seit über 700 Jahren. Wahrscheinlich Schweizerin durch Heirat und ohne Aufnahmeprüfung vor einem Gemeindekomitee.
Viel wichtiger wäre es an das Jahr 1848 zu erinnern, das der Schweiz wesentlichere Impulse gab — oder vielleicht gar das Jahr 1971? Vielleicht schauen Sie demnächst wieder einmal in ein (neueres) Geschichtsbuch — nein, nicht Wilhelm Tell von Friedrich Schiller!
Was in jedem Falle, nach meiner Meinung, verloren geht, ist der Wille einen sinnvollen, starken und solidarischen Staat zu erhalten und zu pflegen. Ich denke da an den Abbau bei den Sozialwerken, die Bevorteilung grosser Vermögen und Gewinne (z.B. Steuervorlage 17), das Zerpflücken des Service public, usw.
… von Ben Vautier sollte eigentlich zum Nachdenken anregen, zum Nachdenken über die Verschiedenartigkeit und Vielfältigkeit der Schweiz, zu den Besonderheiten wie der humanitären Tradition und Solidarität — zum Beispiel. Sie hat aber leider nur zu einer billligen Polemik geführt.
Darum meine Bitte zum ersten August: Helfen Sie mit, dass die Schweiz weiterhin existiert …
Rechts von diesem Artikel können Sie mein »Profil« sehen. Zuunterst können Sie auf MEIN AKTUELLER LINK klicken. Sie bekommen dann einen spannenden Text von Matthias Zehnder zu sehen, der erklärt, warum die Schweiz eine Orange und nicht ein Apfel ist (trotz Wilhelm Tell).
*Am 25. Mai 2018 erschien dieser Artikel.
Und die Weisheit zur Sache:
Nun ist es nichts Neues,
dass das Fressen vor der Moral kommt.
Neu ist, wie unverhohlen (und unverfroren)
auf das Recht, zu fressen, gepocht wird.
Matthias Zehnder