Die SVP ist die Partei des Volckes, wie wir alle wissen. Und die einzige Partei, welche sich die Unabhängigkeit und Freiheit des Volckes vor den bösen Habsburgern, — sorry, — vor der noch böseren EU — auf die Fahne geschrieben hat. Deshalb strahlt ja das Sünneli so heimelig, und neuerdings umgibt es sich sogar mit feschen Girls, damit die wackeren SVP-Mannen dank eines kleinen Hormonschubs am 27. September abstimmen gehen.
Abgestimmt wurde diesen Januar auch in der Zürcher SVP. Sie beschloss nämlich, Alfred Heer — altgedienter und loyaler Parteisoldat — als Nachfolger des etwas glücklosen Albert Rösti für das Parteipräsidium zu portieren. Aber oha lätz, ein halbes Jahr später präsentierte die Findungskomission plötzlich einen eigenen Kandidaten: Marco Chiesa, seines Zeichens Tessiner Ständerat. Das machte zusammen mit Andreas Glarner drei Kandidaten.
Und dann kam die Wahl an der Delegiertenversammlung in Brugg-Windisch. — Moment mal, habe ich soeben “Wahl” geschrieben!? Es kam nämlich gar nicht dazu, wenn man unter “Wahl” versteht, dass man auswählen darf: Glarner hatte sich schon vorher verabschiedet, und kurz vor der Wahl zog der Chef der Zürcher SVP Heers Kandidatur zurück. Im Ring blieb allein der genehme Kandidat der Findungskomission.
Zwei SVP-Vertreterinnen aus dem Volck wagten daraufhin die Bemerkung: “Wahl ist dafür nicht das richtige Wort”. Dieser unerhörten Frechheit war schon ein anderes Statement eines SVP-Kantonsrats aus Luzern vorausgegangen. Der Mann hatte doch tatsächlich den Magen gehabt zu behaupten, der SVP-Oberhäuptling habe Rösti als SVP-Unterhäuptling eigenhändig abgeschossen, — um dann sogar noch hinzuzufügen: “Bei uns wird Politik von oben nach unten gemacht”.
Da schoben sich plötzlich ein paar Wolken vor das heimelige Sünneli. Betretenes Schweigen im Delegiertenkreis — verständlich. Einzelne Buhrufe — auch verständlich: Ein Angriff auf den Oberhäuptling und seine Adlaten war schlichtweg Majestätsbeleidigung und durfte nicht sein. Wo kämen wir da bei unserer Volcksdemokratur — pardon, ‑demokratie hin!?
Die REPUBLIK hat Alfred Heer im Nachhinein interviewt. Eine Lektüre lohnt sich.
P.S. Auszug aus dem Text:
“Die rund 400 Delegierten taten, was sie immer tun: Sie sangen die Nationalhymne, assen zu Mittag und stimmten bei allen Vorlagen fast einstimmig.” Dazu die Wahl, die keine Auswahl war. Das erinnert mich an irgend etwas .… Doch: Honni soit qui mal y pense 😉
Christoph Meury
Aug 29, 2020
Kann man machen, ist aber wenig zielführend, weil der Erkenntnisgewinn der SVP-Dauerbeobachtung und Durchleuchtung auf politische & (basis-)demokratische Korrektheit gering ist. Im Normalfall werden damit nur die Vorurteile & eingefuchsten Klischees bestätigt. Die Bewirtschaftung des Feindbildes ist wenig kreativ. Die SVP als virtueller Sparringpartner lohnt die Mühen kaum.
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Zudem: Natürlich sind Wahlen nie lupenreine demokratische und faire Vorgänge. Weder bei der SVP, noch bei allen anderen Parteien. Persönlichkeitswahlen sind das beliebte Spiel der KönigsmacherInnen. Die sitzen immer in verrauchten Hinterzimmern und knobeln an Deals und bemühen anschliessend die politische Trickkiste. Lobbyisten vom jeweiligen rechten bis linken Flügel der Parteien bearbeiten die Presse, streuen Gerüchte und portieren ihre KandidatInnen durch sämtliche Verbandszeitungen, Vereinsblättern bis hin zu seriösen Zeitungen, wie beispielsweise Blick & 20-Minuten.
Traktandenlisten werden manipuliert, auf Wahllisten werden Prioritäten (Pole-Position = Startplatz in der ersten Reihe) gesetzt, KandidatInnen werden doppelt gesetzt, etc. Die Palette der Spielchen & Tricks ist vielfältig. Hier zeigt sich die wahre Könnerschaft der KandidatInnen, welche ins Scheinwerferlicht drängen. Nicht die Besten werden gewählt, sondern die Gewieftesten. Als ehemaliger Parteisekretär der SP Basel-Stadt, weiss ich wie die Spiele und «Verhandlungen« laufen und kenne die «gröbsten Spielregeln« und kann locker bestätigen, dass hier keine Partei mit Weisser Weste aufmarschieren kann. Wer in der Politik mitmischen will, muss sich nolens volens die Hände ab und an schmutzig machen, oder zumindest diskret halbblind agieren…. und auch andere Parteien trinken im Anschluss an eine DV ein gepflegtes Bier und treiben’s gesellig.
max feurer
Aug 29, 2020
Natürlich werden auch in anderen Parteien Spielchen & Tricks angewendet, kein Zweifel daran. Wenn ich das hier am Beispiel der SVP aufzeigen wollte, dann aus zwei Gründen:
a) Die von oben nach unten konsequent durchgehaltene Befehlskette gibt es so nur in der SVP (“Untergebene sollten also niemals fragen, was sie denn machen sollen, … Auf diese Weise bleibt der Führungskraft die nötige Zeit, die beste Möglichkeit auszusuchen und die Ausführung zu kontrollieren”). Etwas einfacher formuliert: Schnauze halten, Vorgaben ausführen.
b) Nur in der SVP gehen Vorlagen fast einstimmig durch (na gut, bei der PDA seligen Angedenkens war das sicher auch so, bei der POCH seligen Angedenkens wahrscheinlich schon einiges weniger).
Ob der Artikel “zielführend” ist, muss ich offenlassen. Ich erlaube mir einfach immer wieder mein “Ceterum censeo” anzubringen: Echte Demokratien sind weltweit in Gefahr. Das ist kein Spleen von mir, die vielen Bücher und Publikationen, die darauf hinweisen,legen genügend Zeugnis dafür ab.
Was sich in Polen, Ungarn, der Türkei und natürlich den USA abzuzeichnen beginnt, — darauf können wir keinen Einfluss nehmen. Aber wir können in unserer eigenen “Stube“auf Mechanismen hinweisen, die mit Demokratie nicht viel zu tun haben.
Wie kostbar — und gleichzeitig fragil — echte Demokratie ist, wurde mir bei der Lektüre von Josef Lang’s neuem Buch: “Demokratie in der Schweiz. Geschichte und Gegenwart“so richtig bewusst. Sehr empfehlenswert!
Christoph Meury
Aug 29, 2020
Einverstanden. Es ist aber mit Sicherheit nicht die SVP, welche die CH-Demokratie ins Wanken bringt. Der autoritäre Führungsstil ist dafür ebenfalls kein Indikator. Auch wenn es nervt, die SVP kann und darf mit Referenden intervenieren. Es liegt aber grundsätzlich an den anderen Parteien, wenn sie die Themenführererschaft vollständig der SVP überlassen und das politische Narrativ nicht eigenständig definieren. Dass eine allgemeine Politikermüdung um sich greift und/oder abstruse Formen annimmt, kann man ebenfalls nicht der SVP anlasten.
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Natürlich ist es für die Demokratie prekär, wenn die Wahlbeteiligungen sich zwischenzeitlich bei 30% einpendeln. Einerseits, weil die absente Mehrheit damit demonstriert, dass sie a) kein Vertrauen mehr in die Politik und damit in die Politik der etablierten Parteien haben und b) ihnen scheinbar egal ist wer gewählt wird, oder worüber abgestimmt wird. Andererseits haben sich zahlreiche Menschen vom offiziellen Politikmainstream tatsächlich abgewandt, weil sie sich in der Zivilgesellschaft und den zahlreichen thematischen Strömungen engagieren wollen und sich daselbst mehr Systemveränderung erhoffen.
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Zudem, wir haben dies bereits mehrfach thematisiert, wird die politische Meinungsbildung immer schwieriger. Die meisten Zeitungen sind für die Meinungsbildung und den politischen Diskurs nicht mehr zu gebrauchen. Durch den Zeitungszusammenschluss funktionieren die Mainstream-Medien monothematisch und füttern die LeserInnen lediglich mit kontextlosen Kurzfutter-News. Die angehängten (und nicht redigierten) Blogs sind zudem zu Hetzplattformen verkommen und sind ungeniessbar geworden. Private Blogs werden wenig genutzt und auch nur von Wenigen als das verstanden, was sie sein könnten: Nämlich Plattformen für den gepflegten kommunikativen Austausch. Es könnten die Stammtische für das «Neue Normal« sein. Aber eben Kommunikation, setzt den Willen zum Diskurs voraus und kommt nur in die Gänge, wenn man dafür gelegentlich in die Tasten haut….
max feurer
Aug 29, 2020
Dass die SVP von den demokratischen Instrumenten des Referendums und der Initiative Gebrauch macht, ist für mich absolut in Ordnung. Eine Demokratie, die hier Vorbehalte hätte, wäre keine.
Ich glaube auch nicht, dass die SVP fähig wäre, unsere Demokratie aus den Angeln zu heben.
Für mich liegt das Problem anders:
Richard David Precht zeigt in seinem Buch “Jäger, Hirten, Kritiker” auf, wie wir der digitalen Wirtschaft immer mehr erlaubt haben, Zugriff auf unsere persönlichen Daten zu gewähren. Und wir haben es nicht mal richtig gemerkt, weil das ein schleichender Prozess war.
Im politschen Diskurs läuft etwas Ähnliches ab. Franziska Schutzbach hat das in “Rhetorik der Rechten. Rechtspopulistische Diskursstrategien im Überblick“gekonnt analysiert. Die Frage ist: Wem gelingt es, in der Schweiz die “Oberherrschaft über die Köpfe” zu erlangen? Und da es mir lieber ist, dass SP und Gründe die Nase vorn haben, erlaube ich mir, immer wieder mal auf erwähnte Diskursstrategien am konkreten Beispiel hinzuweisen.
Dass sich heute viele vom offiziellen Politikmainstream abwenden, ist für mich per se nichts Negatives, wenn sie sich, wie Sie schreiben, “in der Zivilgesellschaft und den zahlreichen thematischen Strömungen” engagieren. Damit wird das demokratische Fundament letztlich gestärkt, weil die Leute dabei autonomer werden.
Was Ihre Medienkritik betrifft: absolut einverstanden. Deshalb finde ich digitale Neugründungen wie die der REPUBLIK, die nur von der LeserInnenschaft getragen wird und ohne jegliche Werbung funktioniert,eine so hoffnungsvolle Entwicklung.
Christoph Meury
Aug 31, 2020
Gut, auch eine «Republik«, ersetzt noch keine direkte Demokratie. Eine kluge Zeitung ist aber eine notwendige Voraussetzung. Nicht nur der mündige, sondern auch der kundige Stimmbürger kann als Souverän und damit Inhaber der obersten Gewalt agieren, wenn er/sie weiss, was Sache ist.
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Wenn David Klein sich kürzlich über den Laptop-Warrior mokiert hat, liegt er nicht ganz falsch. Kämpfe im virtuellen Raum haben die Tendenz grossmaulig die Problem auf Parolen zu verkürzen, aggressiv und verleumderisch zu werden (gilt übrigens reziprok auch für David Klein). Auf dieser Ebene ist ein kreativer Diskurs nicht möglich. Die Verkürzung und die Ungleichzeitigkeit steht dem kommunikativen Austausch aber im Wege. Demokratie muss in einer Live-Situation stattfinden. Dafür braucht Mensch aber eine adäquate Streitkultur, was aber auch nur gelingt, wenn ein Minimum an Empathie vorhanden ist.
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Beim Begriff «Oberherrschaft über die Köpfe« sträuben sich mir die Nackenhaare. Das klingt nach kriegerischer Machtübernahme und Indoktrination. Das haben in der Vergangenheit schon Viele versucht und sind in totalitäre Gefilde abgetriftet. Es geht nicht anders: Man muss ein Narrativ finde, das eine Mehrheit überzeugt und für’s Ganze funktioniert. Nichts Perfektes, aber ein Weg der nicht nur Wenigen, sondern Vielen etwas bringt. In der direkten Demokratie führt dies nur über gelebte Kompromisse und Allianzen.
max feurer
Sep 1, 2020
Einverstanden, dass ein kommunikativer Austausch “live” und nur digital einiges mehr an Qualität und Verständnis bringt (darum habe ich letzthin mit David Klein auch gemütlich einen Kaffee getrunken).
“Oberherrschaft” über die Köpfe ist vielleicht etwas krass formuliert, aber die Realität dahinter ist mindestens so krass: Die Manipulationstechniken — nicht nur politisch — sind heute so ausgefeilt wie nie.
max feurer
Sep 1, 2020
.. sollte natürlich heissen “und nicht nur digital” …