“Die Birsfelder Feier zum 1. August, welche traditionellerweise auf der Kraftwerkinsel in Birsfelden durchgeführt wird, muss für dieses Jahr leider abgesagt werden. ” So die lapidare Feststellung der Gemeinde zu Beginn ihrer Medienmitteilung. Nix da mit Langbootfahren, 1. August-Feuer, Fackel- und Lampionumzug samt Wurst und Brot für die Kinder 🙁
Das gibt Gelegenheit sich daran zu erinnern, wie der Schreibende jeweils den 1. August als Kind erlebt hat …
Die Erinnerung an die offiziellen Reden auf dem Schulhausplatz in einem Ostschweizer Dorf ist längst entschwunden, nicht aber an die Hymne zum Abschluss, die unser Herz mit Stolz erfüllte:
“Rufst du, mein Vaterland, Sieh uns mit Herz und Hand,
All dir geweiht!
Heil dir, Helvetia! Hast noch der Söhne ja, Wie sie Sankt Jakob sah,
Freudvoll zum Streit!
Da, wo der Alpenkreis, Nicht dich zu schützen weiss,
Wall dir von Gott,
Stehn wir den Felsen gleich, Nie vor Gefahren bleich,
Froh noch im Todesstreich, Schmerz uns ein Spott.”
Ja, das waren noch Zeiten ;-)!!
Viel interessanter waren aber im Vorfeld die Einkäufe in der kleinen Dorf-Papeterie, wo wir unser gespartes Taschengeld in diverse Knallkörper umsetzten: Da gab es sozusagen von unten nach oben zuerst die “Schwärmer” (10 Rappen), dann die “Kracher” (leider etwas teurer), und dann die “Donnerschläge” (leider zu teuer). Die Schwärmer eigneten sich bestens für Mutproben: fest umklammern, dann anzünden, und — wumms — konnte man eine gelblich gefärbte Innenhand bewundern. Man konnte sie auch in die Schlüssellöcher von ungeliebten Nachbarn stecken! Was wir mit den “Krachern” anfingen, kann ich hier wegen Jugendgefährdung nicht weiter ausführen. Die ganz Kleinen durften sich mit “Lady Crackers” vergnügen (den deutschen Ausdruck muss ich wegen politischer Unkorrektheit leider unterschlagen)
Eigentlich wurde mir erst während des Geschichtstudiums an der Uni klar, dass die Sache mit dem 1. August nicht ganz koscher war: Bis ins 19. Jahrhundert datierte man die Gründung der Alten Eidgenossenschaft nämlich auf den 8. November 1307. Dieses Datum für den Rütlischwur tauchte erstmals im 16. Jahrhundert im “Chronicon Helveticum” von Aegidius Tschudi auf.
Die Verlegung auf den 1. August erfolgte erst 1891, als die Politiker sich an einen schon im 18. Jhdt wiederentdeckten, aber im Archiv vergessenen Bundesbrief aus dem Jahre 1291 erinnerten, der auf “anfangs August” datiert war. Der Wechsel war aber durchaus nicht unumstritten. Eine Zeitung meinte, dass das neue Datum “keine Naturblume, keine Alpenrose, sondern ein Zimmergewächs der Gelehrten- und Beamtenstuben” sei und zu stark nach Archiv rieche … Weitere Infos dazu hier.
Wer im Geschichtsunterricht nicht am Schlafen war, hat vielleicht noch das Jahr in Erinnerung, in dem die moderne, bis heute gültige Version der Eidgenossenschaft aus der Taufe gehoben wurde. (Wer geschlafen hat, findet es am Schluss des Artikels ;-)**. Aber Hand aufs Herz: Wer kennt den Tag!? — Es war der 12. September, als im Empire Saal des Rathauses zum Äusseren Stand in Bern die Bundesverfassung unterzeichnet wurde. Das interessiert aber niemanden, obwohl diese Verfassung unser Leben und unser Staatsverständnis viel tiefer prägt als ein mittelalterliches Dokument, dessen Echtheit immer wieder mal diskutiert wird.
Gibt es überhaupt eine sofort ersichtliche Gemeinsamkeit zwischen Bundesbrief und Bundesverfassung?
Ja, die gibt es tatsächlich: Beide Dokumente beginnen mit einer Anrufung Gottes (Bundesbrief: In Gottes Namen. Amen. Bundesverfassung: Im Namen Gottes des Allmächtigen.) Hat diese Tatsache im Zeitalter der Globalisierung und der Postmoderne überhaupt noch eine Bedeutung? Ist sie nicht einfach nur noch eine Floskel, die man gerade so gut wegstreichen könnte?
Interessante Frage, und die noch interessantere Frage wäre: Von welchem Gott wird hier überhaupt gesprochen!? Antwort: Na ja, vom christlichen Gott der Kirche(n), ist doch klar .. Da bin ich mir allerdings nicht so sicher, wenn ich mich an die genüssliche Schilderung vom “Burgen Meyer” in seiner Vorlesung zur Alten Schweizer Geschichte erinnere, wie die erbitterten Schwyzer anlässlich des Marchenstreits 1314 am Dreikönigstag trotz offiziellem Kirchenbann — was einem “one-way-ticket zur Hölle” entsprach — das Kloster Einsiedeln überfielen, Hostien und Reliquien auf dem Hof verstreuten, Messgewänder und Messgeschirr raubten und die Mönche und Klosterknechte bei bitterer Kälte nach Schwyz in die Gefangenschaft trieben, wie Rudolf von Radegg wortreich in seiner “Capella heremitana” beklagte und die Schwyzer als “gens diabolica” qualifizierte.
Ist es nicht erstaunlich, dass dieses kleine Bergvolk es wagte, einen Klosterüberfall samt Raubzug in einer Zeit zu verüben, die schon zutiefst geprägt war von der Angst der ewigen Verdammnis und dem Wirken der Inquisition? Woher nahmen sie den Mut, sich der geistlichen Autorität in Form des kirchlichen Bannstrahls entgegenzustellen, — und damit auch der traditionellen Gesellschaftshierarchie? Die Schlacht am Morgarten war bekanntlich eine direkte Folge dieser Konfrontation.
Offensichtlich war ihr Gottesbild zutiefst mit einem Streben nach Autonomie und Freiheit verknüpft, was durchaus nicht im Gegensatz zur Tatsache stehen muss, dass die damalige Gesellschaft in der Innerschweiz hierarchisch mit lokalem Adel organisiert war. Das war auch Friedrich Schiller bekannt, als er den “Wilhelm Tell” als Mythos der Freiheit schrieb.
Heiner Koechlin ging der Frage, inwiefern menschliche Freiheit und Gottesbilder überhaupt kompatibel seien, gegen Ende seines Lebens intensiv nach. Ihr widmen wir auch die neue Folge von “Eine Hommage an Heiner Koechlin”, diesmal mit einem “Special Guest” …
** 1848
Christoph Meury
Aug 1, 2020
Die Basellandschaftliche Zeitung hat einen an der Waffel und schafft es tatsächlich das «Wort zum Sonntag« der Milliardärs Familie Blocher und ihrer weiblichen Vertretung zu überlassen. Magdalena Martullo-Blocher übernimmt den Part dankbar und heuchelt & lobpreist in ihrem Gastkommentar zum 1. August von der solidarischen Schweiz und ihrem unerschütterlichen Zusammenhalt in struben Zeiten. Sie, eine der prominentesten SVP-Vertreterinnen, welche die restlichen 364 Tage damit verbringt die Schweiz zu spalten, Minderheiten zu denunzieren & drangsalieren, mit aggressiven Kampagnen Andersdenkende desavouiert, ja, die Blocher Tochter bekommt von der bz prominent eine Plattform, um uns mit seichten historischen Bezügen Eigenständigkeit à la SVP vorzuturnen.
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Offensichtlich schlägt die Coronakrise auch auf das intellektuelle Stehvermögen der bz-Redaktion. Vermutlich gäbe es für unsere Region profundere 1. Augustrednerinnen. Frauen mit Rückgrat und intellektuellem Sachverstand. Auf die Propagandarede von Frau Martullo-Blocher können wir, nicht nur am 1. August, sondern generell, verzichten. Wir leben im 21. Jahrhundert und brauchen dieses restaurative Gesülze der Blocherfamilie und ihrer Adlaten nicht. Auch auf die Köppelanalysen & Essays und seine rechtslastige Weltwochesicht können wir getrost verzichten.
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In diesem Sinne ist es möglicherweise kein grosser Verlust, wenn wir für einmal auf das 1. August Brimborium auch in unserer Region verzichten mussten. Das hat viele 1. August-RednerInnen davor bewahrt in Heuchelei und Hurrapatriotismus zu verfallen.
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Reduce to the max war für einmal wohltuend: Bier & Kracher, Luftheuler aller Art (logischerweise: Made in China) in die Luft verschossen, dazu das Rheinbord mit Grilladen eingenebelt. Dazu: Alles was kreucht & fleucht sich im tümpligen Rhein treiben lassen. Mit dieser provisorischen Symbolik kann ich aktuell gut leben!
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https://www.bzbasel.ch/wirtschaft/martullo-blocher-die-welt-und-die-schweiz-wird-nicht-untergehen-138610917
Franz Büchler
Aug 1, 2020
Einmal abgesehen von Martullos Geschichtskenntnissen ganz allgemein, der »Freiheitsbrief« den sie anführt, war ein Vertrag zur gegenseitigen Hilfeleistung. Die Freiheit des Volkes war es nicht, denn die einheimischen Adligen und Klöster hielten weiterhin ihr einfaches Volk unter der Knute.
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Ihr weiteres zünseln gegen den »Staat« zeigt uns, dass die Frau zwar hart wirtschaften kann und will, dass sie selbst aber von Zusammenhalt, Solidarität und Verantwortung nichts begriffen hat.
Da kann ich nur ein Zitat loswerden (sorry Christoph), von dem ich nicht mehr weiss von wem es stammt:
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»Wo die Dummheit für einen Augenblick Platz macht, nimmt ihn sofort die Tradition ein.«
max feurer
Aug 1, 2020
Natürlich war der Bundesbrief nicht gegen einen äusseren Feind gerichtet (die Innerschweizer kamen mit dem Habsburger Rudolf II. ganz gut zurecht. Er vermittelte sogar in einem blutigen Fehdestreit). Die gegenseitige Hilfeleistung war eine Absicherung im höchst unsicheren Interregnum nach dem Tod Rudolfs.
Dass die einheischen Adligen und Klöster das “einfache Volk” unter der Knute hielten, ist eine unzulässige historische Vereinfachung ganz im Sinn der SVP: “Die Elite da oben gegen das einfache Volk da unten ..”
Franz Büchler
Aug 1, 2020
He, he, das war für mich schon fast unter der Gürtellinie!
max feurer
Aug 1, 2020
😉
Christoph Meury
Aug 1, 2020
Lieber Franz! Meine Rede: Es gibt klügere Referenzenprojekte als die Weltwoche. Warum nicht auf die WOZ, die Republik, Geschichte der Gegenwart.ch, Denknetz, Le monde diplomatique, oder Infosperber, etc. als Referenzmedien zurückgreifen? Wieso ist Köppel & Co. das präferierte Leitmedium? Die Linken müssten (auch lokal) lernen eigenständig Themen zu setzen, ansonst hecheln sie den populistischen MeinungsmacherInnen hinterher.
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Insofern besteht kein Manko und die Alternativen liegen auf dem Tisch, respektive sind auf dem Netz greifbar. Es gibt die aufgeweckte und gut organisierte Zivilgesellschaft und äusserst taffe NGO’s mit intellektuell hochkarätigen Protagonisten. Es besteht also keine Notwendigkeit sich permanent im Fundus der Populisten & der Restaurationsgläubigen zu bedienen, um ihre Sicht zu verstehen.
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Auch wenn man aktuell profanen Freizeitvergnügen frönt, muss man intellektuell nicht verblöden. Vorbilder und Vordenker gibt es genügend. Dafür muss man auch nicht zwanghaft in die rechte Ecke schielen.
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Daher: Warum lässt die bz nicht VertreterInnen der Zivilgesellschaft zu Worte kommen? Wieso greift man immer in die gleiche Kiste, um abgestandene Politgrösser und die gut geschmierte SVP-PR-Maschine zu Worte kommen zu lassen? Ja, die bz ist äusserst schwach aufgestellt und sieht die Gesellschaft längst nicht mehr in ihrer Vielfalt und Buntheit. Das schlägt sich leider auch in der Zusammensetzung ihrer Redaktion und dem entsprechenden politischen und intellektuellen Diskurs nieder.
max feurer
Aug 1, 2020
WOZ, die Republik, Geschichte der Gegenwart.ch, usw. usw. sind höchst wertvolle und differenzierte politische Meinungsmacher, die ich schätze. Aber das soll nicht daran hindern, rechtzeitig auf die Tricks und Kniffs aufmerksam zu machen, wie mit Begriffen wie “Christentum”, “Heimatliebe” oder “Freiheit” manipulativ umgegangen wird.