Meist jeden dritten Tag eine kleine Nordicwalkingtour durch den Hardwald.
Beim Laufen drehen die Gedanken in alle Richtungen. Die Blicke gehen nach vorne, auf den Weg, nach links und nach rechts. Vielleicht hör ich den Vogel nicht nur, sondern sehe ihn auch endlich einmal.
Was mich erstaunt hat, war kürzlich ein Blick nach ganz Oben. Obwohl ich schon zig mal den Weg gelaufen bin, hatte ich den dürren Baum nie gesehen.
Irgendwie ist er schön.
Christoph Meury
Jul 30, 2020
Wenn Franz im Hardwald spazieren geht, oder mit seiner Kamera Birsfelden durchstreift, dann ist er (mehr oder weniger bewusst) mit wissenschaftlichem Impetus unterwegs. Er ist ein klarer Nachfahre von Lucius Burckhardt und frönt der Promenadologie.
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Lucius Burckhardt (1925–2003) begründete in den 1980er Jahren die Promenadologie, die Spaziergangswissenschaft oder engl. auch Strollology. Das neue Fach entwickelte er zu einer komplexen und weitblickenden Planungs- und Gestaltungswissenschaft. Die Promenadologie ist der Ausgangspunkt für eine realistische Haltung zur Wahrnehmung und Wirklichkeit, für ein anderes Verständnis von Landschaft und urbanem Raum, sowie für eine neue Architektur und Planung. Dem Fach geht es darum, die städtische Natur und Landschaft sichtbar zu machen und das sich wandelnde Verhältnis von Stadt und Land theoretisch zu fundieren. Dabei spielen die historisch-kritische Aufarbeitung des Landschaftsbegriffs ebenso eine Rolle wie aktuelle empirische Befunde etwa in der Stadtökologie. Man attestiert Burckhardt, schon früh auf die Veränderungen in der Stadtlandschaft hingewiesen zu haben.
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In diesem Sinne lohnt es sich natürlich weiter & ausführlicher Gedanken über den Wald und seine Veränderung in der Wahrnehmung der Menschen zu machen. Der skulptural verdorrte Baum, ein Unikat inmitten lebender Bäume, ist damit auch Denkanstoss. Franz hat es vermieden den Baum symbolisch zu überfrachten. Er überlässt die möglichen Metaphern den Pfaffen und ihren Sonntagspredigten und den Apokalyptikern, welche damit den Weltuntergang signalisieren würden und stellt nüchtern fest, dass der Baum als Holzskulptur Schönheit ausstrahlt und zeigt mit Bild, dass der Baum Teil einer Waldlandschaft ist.
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Wer mehr über den Wald, insbesondere den Agglo-Wald, wissen möchte kann hier, in einem alten Artikel der Tageswoche von Andrea Fopp mehr nachlesen (27.1.2017) https://tageswoche.ch/gesellschaft/biker-baummoerder-und-party-people-die-grosse-schlacht-um-den-wald/
Der Wald wird kontrovers wahrgenommen, dabei gibt es grosse Diskrepanzen zwischen den Waldbesitzern, den FörsterInnen, den Bikern, den Spaziergängern, usw.
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Interessante Diskussion! Ich würde sagen dies gäbe Stoff für mindestens eine handvoll Waldgeschichte.
max feurer
Jul 30, 2020
Mit der Gefahr, dass ich von Christoph Meury gleich das Sonntagsprediger- und Apokalyptiker-Etikett angeklebt bekomme ;-), sage ich jetzt einfach einmal: Das Bild ist eine schöne Metapher für die Verschränkung von Leben und Tod.
A propos Nordic-Walking: Warum gründen wir eigentlich nicht eine exklusive “Birsfaelder.li-NordicWalking-Gruppe” für ältere Semester wie Franz und ich? Da liesse sich jeweils trefflich philosophieren, — sofern der Atem dafür noch reicht …
Christoph Meury
Jul 30, 2020
Sorry! Die Etiketten sind ausgegangen, die Schublädchen bereits voll und die Cliches erschöpft. Währenddessen steht der Baum unschuldig und absichtslos im Hardwald. Nicht als Metapher gewachsen, sondern als schlichter Baum, als Rot- oder Weissbuche, vielleicht auch als Esche. Er wollte es vermutlich seinen Gspänli-Bäumen vis à vis gleichtun. Aber es hat nicht sollen sein. Der Jetstream, oder der Wassermangel haben ihm den Garaus gemacht. Jetzt ist er nur noch totes Holz.
max feurer
Jul 30, 2020
Ach, das freut mich aber ausserordentlich, dass die Etiketten ausgegangen sind 🙂
Etwas ist mir nicht ganz klar: Warum kann ein Baum nicht unschuldig und absichtslos im Hardwald stehen und gleichzeitig als Metapher dienen!? Bis jetzt war ich immer der Meinung, dass die ganze Poesie — nehmen wir als Beispiel mal Rilke — ihre Kraft daraus schöpft, Metaphern in der Natur zu erkennen? Da wäre für mich dringende Aufklärung geboten 😉
Christoph Meury
Jul 30, 2020
Nun, Metaphern haben immer etwas leicht Übergriffiges. Die AutorIn greift ins Geäst des Baumes und überrumpelt ihn mit einer Metapher. Eine Stigmatisierung, die der Baum so nicht gewollt hatte. Zumindest nicht ungefragt. Vielleicht war es nicht seine Absicht in die Literatur einzugehen, verrilkisiert oder sogar philosophisch & öffentlich genötigt zu werden. Vielleicht wollte er der Menschheit lediglich als Cheminéeholz dienen, oder als Kompost zu neuem Leben verhelfen. Wer weiss es…
max feurer
Jul 31, 2020
Na ja, könnte durchaus sein. Aber es könnte ja auch sein, dass der Baum sich weder überrumpelt noch stigmatisiert fühlt, sondern interessiert zur Kenntnis nimmt, dass er neben Cheminéeholz und Kompost sogar die Ehre hat, einmal als Metapher zu dienen!?
Ich als Baum wäre total frustriert mit der Aussicht, am Ende meines Lebens lediglich als Nahrung für ein Grillfeuerchen zu dienen 😉 …
Hans-Jörg Beutter
Aug 5, 2020
Ihre würdigung eines toten baumes hat mich persönlich berührt/inspiriert.
das kommt so: in meinem garten – wo sich kraut und unkraut brav die waage hält – steht u.a. auch ein grosser toter baum (robinie, »falsche akazie«), er ist zimli überwuchert, wie die zwei bäume daneben auch (ich nenn sie die »drei efeu-weisen«). deren holz ist speziell widerstandsfähig, praktisch unverwüstlich.
neulich hat sich eine turmfalkenfamilie ihren horst darin errichtet – also nicht wirklich völlig »nutzlos«!
was mich verblüfft: für die nachbarschaft scheint dieses imposante holzskelett eine riesige provokation darzustellen: man kultiviere doch bitte keine abgestorbenen!
mein einer nachbar (stolzer besitzer eines englischen rasens, den er vermutlich mit dem nagelschärli bewirtschaftet) hat mich wiederholt auf einen toten zwetschgen-baumstamm angesprochen: wann darf der endlich-endlich weg?!
und ich hab’s ihm zum xten mal zu erklären versucht: der biete nahrung und wohnung für unzählige käfer/insekten/spechte, baumläufer, kleiber …
er hätte noch niemals je einen specht an diesem grässlichen stamm gesehen – schwubs kommt ein 3zehenspecht angeflogen und klopft sich seine nahrung raus. ich konnte mir anschliessend die fruchtbare diskussion drüber sparen 😉
bevor mich jetzt halb birsfelden für völlig morbid erklärt: die meisten bäume sind kerngesund, so auch eine ca 200 jährige, gut vierzig meter hohe linde.
aber auch die spendet schatten, wo sonnenanbeter wohnen …
(wehgesang der glögglifrösche)