Ansät­ze zu Ideen für eine die Staa­ten über­da­chen­de Völ­ker­ge­mein­schaft ent­wi­ckel­ten, wie anders nicht zu erwar­ten, Phi­lo­so­phen. So ent­warf — um ein Bei­spiel her­aus­zu­grei­fen — schon der in der Wen­de vom 17. zum 18. Jahr­hun­dert leben­de Uni­ver­sal­ge­lehr­te und Phi­lo­soph Chris­ti­an Wolff eine Gesell­schafts­ver­trags-Theo­rie, die auf alle Ebe­nen mensch­li­cher Gesell­schaft aus­ge­dehnt wird. Wolff skiz­zier­te eine uni­ver­sa­le mensch­li­che Koope­ra­ti­ons­ge­mein­schaft, eine “civi­tas maxi­ma”, deren Stre­ben auf das Wohl­erge­hen aller Men­schen gerich­tet ist und die letzt­lich in einem demo­kra­tisch ver­fass­ten Völ­ker­staat gip­felt (.…) er greift … in sei­nem völ­ker­recht­li­chen Ent­wurf wie­der auf den Gedan­ken einer Mensch­heits­ge­mein­schaft aller Indi­vi­du­en zurück. Die­se “socie­tas magna” aller Men­schen und die in ihr ver­an­ker­ten Men­schen­rech­te sind die Grund­la­ge jeder wei­te­ren Ver­ge­sell­schaf­tung. (sämt­li­che Zita­te aus Jo Lei­nen, Andre­as Bum­mel, Das demo­kra­ti­sche Welt­par­la­ment. Eine kos­mo­po­li­ti­sche Visi­on).

Auch Imma­nu­el Kant pos­tu­lier­te in einem 1784 ver­öf­fent­li­chen Auf­satz, dass die Welt­ge­schich­te auf die voll­kom­me­ne bür­ger­li­che Ver­ei­ni­gung der Men­schen­gat­tung” mit einer “gesetz­mäs­si­gen Ver­fas­sung hin­aus­lau­fe. Er stell­te sich vor, dass sich ein in einem Zwi­schen­schritt ent­stan­de­ner Völ­ker­bund hin zu einer Welt­re­pu­blik wei­ter­ent­wi­ckeln könn­te, in der nicht nur die Staa­ten, son­dern auch die Men­schen unmit­tel­bar zu Bür­gern einer Mensch­heits­ge­mein­schaft wer­den. Das völ­ker­recht­li­che Dog­ma der abso­lu­ten Sou­ve­rä­ni­tät wür­de also gleich zwei­fach durch­bro­chen. Einer­seits, indem die Sou­ve­rä­ni­tät zwi­schen Ein­zel­staa­ten und Welt­re­pu­blik auf­ge­teilt wür­de, ande­rer­seits, indem das Indi­vi­du­um neben den Staa­ten zu einem Teil­ha­ber der mensch­li­chen Sou­ve­rä­ni­tät wird. (…) In der Phi­lo­so­phie von Kant war damit ohne wei­te­res ein Welt­par­la­ment angelegt.

Die­ser kos­mo­po­li­ti­sche Ansatz kon­kre­ti­sier­te sich wäh­rend der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on mit der Erklä­rung der Men­schen- und Bür­ger­rech­te am 26. August 1789. Auf den Tag genau zwei Jah­re spä­ter ver­lieh die Natio­nal­ver­samm­lung sieb­zehn Aus­län­dern, die sich um die Revo­lu­ti­on ver­dient gemacht hat­ten, das fran­zö­si­sche Ehren­bür­ger­recht, — dar­un­ter neben Fried­rich Schil­ler und Geor­ge Washing­ton bekannt­lich auch unse­rem “päd­ago­gi­schen Leucht­turm” Hein­rich Pestalozzi.

Ein wei­te­rer Geehr­ter war der preus­sisch-nie­der­län­di­sche Johann Bap­tist “Anar­char­sis” Baron de Cloo­ts, der auch in die Natio­nal­ver­samm­lung gewählt wur­de. 1793 ver­öf­fent­lich­te er die Schrift “Bases con­sti­tu­tio­nel­les de la Répu­bli­que du gen­re humain”, wor­in er fest­hielt, dass sich aus den Men­schen­rech­ten “die soli­da­ri­sche und unteil­ba­re Sou­ve­rä­ni­tät des Men­schen­ge­schlechts” erge­be. Sei­ner Ansicht nach hat­te die Revo­lu­ti­on einen uni­ver­sel­len Cha­rak­ter, wes­halb aus­ge­hend von Frank­reich eine Welt­re­pu­blik errich­tet wer­den sol­le. (…) Sou­ve­rä­ni­tät setz­te die Ver­ei­ni­gung der Men­schen in einer auf den Men­schen­rech­ten basie­ren­den, uni­ver­sel­len Gemein­schaft vor­aus. Dies sei auch mach­bar, wo doch alle die glei­chen Zie­le hät­ten, näm­lich Frei­heit, Gleich­heit, Sicher­heit, Gerech­tig­keit, Schutz des Eigen­tums, des Frie­dens und vor Unter­drü­ckung. Die kon­sti­tu­ti­ven Sub­jek­te der Welt­re­pu­blik kön­nen nach Cloo­ts auf­grund der Unteil­bar­keit der Sou­ve­rä­ni­tät allein die Indi­vi­du­en sein. Im Mit­tel­punkt der Welt­re­pu­blik steht als Legis­la­ti­ve ein direkt gewähl­tes Par­la­ment. … Sei­nem Ent­wurf fol­gend schlug Cloo­ts vor, Frank­reich mit einer neu­en Ver­fas­sung zu einer uni­ver­sel­len Repu­blik zu machen, der sich alle von der Mon­ar­chie befrei­ten Völ­ker als Dépar­te­ments anschlies­sen sollten.

Cloo­ts hat­te nicht mehr viel Zeit, sei­ne Visi­on wei­ter­zu­spin­nen. Noch im glei­chen Jahr kipp­te die Revo­lu­ti­on in eine dog­ma­ti­sche Gewalt­herr­schaft um — la Gran­de Ter­reur. Cloo­ts und ande­re Aus­län­der wur­den auf Betrei­ben von Maxi­mi­li­en Robes­pierre als Sabo­teu­re der Revo­lu­ti­on ver­haf­tet, ver­ur­teilt und am 24. März 1794 mit der Guil­lo­ti­ne hin­ge­rich­tet. In den 1970er Jah­ren nann­te sich der berühm­te deut­sche Akti­ons­künst­ler Joseph Beuys (1921 bis 1986) zeit­wei­se “Jose­pha­na­ch­ar­sis Cloo­ts­beuys”, um an Cloo­ts, sei­ne Ideen und sein Schick­sal zu erinnern.

Der fran­zö­si­sche Ehren­bür­ger Fried­rich Schil­ler fand zu die­ser Ent­wick­lung dras­ti­sche Wor­te: Der Ver­such des Fran­zö­si­schen Vol­kes, sich in sei­ne hei­li­gen Men­schen­rech­te ein­zu­set­zen, und sei­ne poli­ti­sche Frei­heit zu errin­gen, hat … nicht nur die­ses Volk, son­dern mit ihm auch einen beträcht­li­chen Teil Euro­pens, und ein gan­zes Jahr­hun­dert, in Bar­ba­rei und Knecht­schaft zurück­ge­schleu­dert … Es waren also nicht freye Men­schen, die der Staat unter­drückt hat­te, nein, es waren bloss wil­de Thie­re, die er an heil­sa­me Ket­ten legte.

So ist es nicht ver­wun­der­lich, dass sich die Cloot’sche Visi­on in der napo­leo­ni­schen Mili­tär­dik­ta­tur — trotz aller Frei­heits­phra­sen — in ihr Gegen­teil verwandelte.

Posi­ti­ve Visio­nen kön­nen zwar unter­drückt wer­den, fei­ern aber regel­mäs­sig Wie­der­auf­er­ste­hung. Dazu mehr

am kom­men­den Frei­tag, den 31. Dezem­ber!

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