Dieser Text sollte im Konzertheft des Studienchors Leimental für die Aufführung des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach in der Martinskirche und im Goetheanum erscheinen. Covid 19 machte leider einen dicken Strich durch die Rechnung …
Wir drei Brüder sitzen am Küchentisch unserer Tante und warten. Warten auf den magischen Moment, da wir das leise, silberne Gebimmel des Glöckchens hören würden. Und — da ist es! Rasch hinunter in unsere Wohnung, wo uns schon der herrliche Geruch von Tannnadeln erwartet. Hinein in die Stube: Da leuchtet der Baum, still, majestätisch. Für einen Moment gibt es keine Zeit mehr … Und das Christkind in der kleinen Krippe unter dem Baum hat uns auch diesmal nicht vergessen!
Kindheitserinnerungen. Dann wurde man erwachsen und lernte, dass der Weihnachtsbaum erst seit dem 16. Jahrhundert vor allem im Elsass populär wurde. 1611 schmückte Herzogin Dorothea Sybille von Schlesien den ersten Weihnachtsbaum mit Kerzen.
Ich lernte aber auch, dass dieser Brauch bei anderen Kulturen auf Unverständnis stösst. Ein irokesischer Chief konnte nicht begreifen, dass wir Weissen für ein Fest der Liebe und der Geburt neuen göttlichen Lebens Bäumen das Leben nehmen.
2016 löste in Israel ein Weihnachtsbaum an der technologischen Universität in Haifa eine intensive Debatte aus, 2018 gefolgt von einer Welle der Empörung, als ein Shopping Center in Ashdod einen Weihnachtsbaum aufstellte.
Kleinkariert!? — Zu einem solchen Urteil könnte nur gelangen, wer sich noch nie mit der jahrhundertelangen jüdischen Leidensgeschichte auseinandersetzte, für die eine arrogante „christliche“ Gesellschaft verantwortlich zeichnet.
Brauchen wir Weihnachten und den Weihnachtsbaum heute überhaupt noch?
Das Weihnachtsfest bürgerte sich erst im 4. Jahrhundert langsam ein. Theorien zu dessen Entstehung gibt es zuhauf. Eine der populärsten geht auf den Kommentar eines unbekannten christlichen Autors aus dem 12. Jhdt. zurück: „Die Heiden pflegen nämlich am 25. Dezember das Fest des Geburtstages der Sonne zu feiern und zu ihren Ehren Lichter zu entzünden. Zu diesen Riten luden sie oft auch Christen ein. Da nun die Lehrer der Kirche sahen, dass sich viele Christen zur Teilnahme an diesen Festen verleiten liessen, beschlossen sie, fortan am selben Tag das Fest der wahren Geburt zu begehen.“
Da stehen wir nun also vor einem Fest mit eher dubiosem geschichtlichen Hintergrund und einem entzauberten Weihnachtsbaum … Aber die Kindheitserinnerung an den Weihnachtsbaum, der in mir das Gefühl einer tiefen Geborgenheit weckte, ist immer noch lebendig.