Dass bildende Künstler*innen gelegentlich oder häufig Werke befreundeter Autoren illustrieren ist bekannt. Bekannt sind auch Bildbesprechungen, in Worte gefasste Beschreibungen, was auf einem Gemälde zu sehen ist. Die Autoren Rudolf Bussmann, Christoph Wegmann und Martin Zingg haben den Spiess umgedreht, nicht Texte werden illustriert, sondern Gemälde werden betextet.
So geschehen in der Literarischen Matinee am vergangenen Sonntag im Birsfelder Museum zu
Gemälden von Stephanie Grob.
Das Kontingent von 50 angemeldeten und registrierten Besuchern war schnell erschöpft. Allen Kunst- und Literaturfreunden, die nicht dabei sein konnten, Hier drei Beispiele. Heute:
Rudolf Bussmann
Ovid grübelt vor einem Bild von Stephanie Grob
Sind das Fetzen von Dampf, was so dahintreibt
Ist es ein Strömen aus Nebel und Wolken
Das Rohe, Ungeschlachte, woraus ist es geschaffen
Das aussieht wie ein Stück fortgeschleuderter Schlamm
Wie eine hochspritzende Woge
Das aussieht wie ein verirrter Blitz aus Gischt
Ist er flüssig, dieser dröhnende Brocken Dreck
Ist er weich, dieser eherne Wirbel
Ist es aus Luft, dieses Donnergewicht
Wie weit hinunter reichen die Schatten
Welcher Schlund, welcher Abgrund
Welche unterirdischen Kräfte halten sie gefangen
Sind sie der Erdmitte entronnen, der ungeschiedenen Tiefe
Haben sich losgerissen vom saugenden Urmund
Haben die Bewegung entdeckt
Das Reiben und Stossen, das Quellen und Brodeln
Das Ringen um Freiheit
Haben sie den Weg in die Weite entdeckt
Schafft die empordrängende Masse sich Raum
Breitet sie sich aus, über den Rahmen hinaus
Entlang der Wand, durch Decke und Boden
Über das Gebäude hinweg und fort, zu einem fernen Horizont
Sind das Sterne dort
Ist das ein Firmament
Ist der Urgrund gar nicht unten, sondern vorn
Wo das Licht herkommt
Fliegen die Schatten ihm zu
Fliegt das Licht den Schatten zu
Belebt sie mit seinem Feuer
Modelt das Licht die Schatten zur Form
Bringen sich die Formen, bringt eine die andre hervor
Sind sie, die geschaffen werden, auch sie, die erschaffen
Fallen die Formen mich an, rumoren die Formen in mir
Werde ich mitgeschaffen, schaffe ich mit
Verändert sich die Ordnung in mir, kommt sie ins Fliessen
Fliesst davon etwas zurück zu den Formen im Bild
Verbinde ich Gleiches mit Gleichem, scheide ich Farbe von Farbe
Erblicke ich Schemen im unbeständigen Feld
Bilde ich flüchtig eine Struktur
Zeigt sich in der aufschwellenden Fülle
Was das Auge nicht sieht
Legt sich ein neues Bild über das Bild
Ein Bild blau wie das Meer
Ein Bild mit dem Grün der Wiesen
Ruft das Bild nach weiteren Bildern
Nach Kirschbäumen, Raubkatzen, Elefanten und Hirschen
Nach stürzenden Engeln, nach Menschen, die Wölfe gebären
Legen sich, Schicht um Schicht, Bilder übereinander
Sammelt sich, tummelt sich, west und wimmelt in ihnen
Was vordem nicht da war, was erst noch werden will
Hat Einzug gehalten die stetig sich wandelnde Zeit
Ergreift mich die Zeit, verändert sie mich
Verändert mein eigenes Werden das Bild, vor dem ich stehe
Ist das Bild Teil von mir, bin ich das Bild
Bleibe ich das Bild, wenn ich mich wegdrehe
Bleibe ich es, wenn ich mich umwende, fortgehe
Bleibt seine Zeit, bleibt sein Licht
Eine Weile in mir
Bleiben die Gestalten, wenn ich weggehe
Bleiben sie eine Weile, ja für immer, in mir
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Nächste Lyrik-Matinee im Museum:
Sonntag 1. November 11.15 Uhr. Es lesen:
Erwin Messmer
Li Mollet
Raphael Reift