“Le silence n’est pas absence de sons, mais une chose infiniment plus réelle que les sons”
(Simone Weil, in “Attente de Dieu”)
“L’attente est le fondement de la vie spirituelle. … L’attente est transmutrice de temps en éternité” (Simone Weil, in “La connaissance surnaturelle”)
Drei kleine Sätzchen aus den posthum veröffentlichten Briefen und Gedanken dieser tiefen Denkerin, — aber sie haben es in sich!
Périgord, irgendwann in den 80-er Jahren. Meine Familie und ich sind zusammen mit Freunden eine Woche lang mit Pferd und Wagen unterwegs im “Périgord vert”. Das Wetter ist perfekt, und wir schlafen draussen auf der Wiese. — Warum mir die Episode in Erinnerung geblieben ist? Ich habe nie mehr einen so fantastischen Sternenhimmel voller Sternschnuppen bewundern können wie in jener Nacht. Aber noch eindrücklicher: die tiefe Stille, die uns alle umhüllte und gleichzeitig etwas in uns jenseits aller Gedanken und Gefühle lebendig werden liess. Kostbare Momente. Sie liessen mich damals erleben, dass die Stille tatsächlich “etwas unendlich Wirklicheres ist als die Töne.”
Die Kostbarkeit wahrer Stille wurde von Mystikern und Mystikerinnen schon immer als geheimer Schatz gehütet. Dass heute das Wissen um diesen Schatz vermehrt den Weg an die Öffentlichkeit findet, zeigen die vielen Publikationen, die aktuell zu diesem Thema zu finden sind.
Paradigmatisch seien zwei Beispiele hervorgehoben:
- David Steindl-Rast, “Auf dem Weg der Stille”:
“Die Stille der Ordnung ist eine dynamische Stille, die Stille einer Flamme, die in vollkommener Ruhe brennt, oder eines Rads, das sich so schnell dreht, dass es stillzustehen scheint. Schweigen in diesem Sinn ist nicht nur eine Eigenschaft der Umgebung, sondern in erster Linie eine Einstellung, eine Haltung des Hörens. Lasst uns also einander Schweigen schenken. Lasst uns damit auf der Stelle anfangen.”
oder: “Für jene, die lediglich die Welt der Worte kennen, ist Stille bloße Leere. Unser stilles Herz aber kennt das Paradox: Die Leere der Stille ist unerschöpflich reich; alle Worte dieser Welt sind nur ein Tropfen ihrer Fülle.”
Ist es ein Zufall, dass der weltbekannte Benediktiner-Mönch Steindl-Rast eine ganz ähnliche Position zum Thema “Religion” wie Simone Weil einnimmt? “David Steindl-Rast vertritt eine pluralistische Religionstheologie, der zufolge weder das Christentum noch eine andere Religion „einzig wahre“ Heilsmittler sind: Religionen entstanden in einem spezifischen kulturellen und historischen Umfeld, und jede Religion könne die gleiche Funktion erfüllen.” (Wikipedia). Wer sich einen ersten Zugang zu seinem Leben und Werk verschaffen will, findet hier diverse Materialien.
Eckhart Tolle, “Stille spricht. Du bist nicht deine Gedanken” und “Stille, das innere Ziel & Erwachen”.
Tolle braucht kaum mehr vorgestellt zu werden. Nach seinen Beststellern “Jetzt! Die Kraft der Gegenwart” und “Eine neue Erde: Bewusstseinssprung anstelle von Selbstzerstörung” ist er in der westlichen Welt zum wohl gefragtesten Mediationslehrer geworden.
Was aber meint Simone Weil mit ihren Aussagen, dass “l’attente” “die Grundlage allen spirituellen Lebens und eine Verwandlerin von Zeit in Ewigkeit ist”?
Wenn wir “attente” mit “gelassener, konzentrierter Aufmerksamkeit oder Achtsamkeit des Herzens” übersetzen, könnte das vielleicht in etwa Folgendes bedeuten:
Wir stellen — so gut es eben möglich ist — unser “Kopfkino” ab, lassen Wünsche und Ängste los und versuchen einfach, uns absichtslos dem jetzigen Augenblick zuzuwenden (womit wir natürlich gleich wieder bei Eckhart Tolle wären ;-). Wem es gelingt — es braucht etwas Übung dazu — , stellt bald einmal fest, dass die Erfahrung der Zeit sich qualitativ verändert und man sogar regelrecht aus der Zeit in ein einen immerwährenden Zustand des Jetzt hineinfallen kann.
Ein herausragender Vertreter einer solchen Achtsamkeitspraxis ist der buddhistische Mönch Thich Nhat Hanh, der im Westen ebenfalls mit einer ganzen Reihe von Bestsellern bekannt wurde, z.B.“Das Wunder der Achtsamkeit” oder “Achtsam sprechen — achtsam zuhören”.
Simone Weil geht allerdings noch etwas weiter: Mit “l’attente” bezeichnet sie auch ihre eigene Haltung gegenüber der Frage nach Gott. Darauf werde ich in der nächsten Episode etwas ausführlicher eingehen, und das wie üblich
am kommenden Samstag, den 21. November.