Finden sich die Definitionen zur Intuition des Kognitionswissenschaftlers Gerd Gigerenzer und von Ralph Waldo Emerson auf der gleichen Verständnisebene?
Die Antwort ergibt sich, wenn wir zwei Textstellen aus den beiden vorhergehenden Folgen gegenüberstellen:
Gerd Gigerenzer
… An Stelle eines solchen logisch-rationalen Modells des Entscheidens betont Gigerenzer die Bedeutung des Bauchgefühls – Entscheidungen werden demzufolge vor allem intuitiv anhand von Faustregeln getroffen, denen die rationalen Entscheidungsstrategien als späte Hilfsmittel nachgeordnet sind. … Das Bauchgefühl darf dabei nicht mit einer zufälligen Eingebung oder Naivität verwechselt werden. Besonders gut funktionieren Bauchentscheidungen, wenn sie auf Fachwissen beruhen. … Eine Intuition ist weder eine Laune noch ein sechster Sinn, weder Hellseherei noch Gottes Stimme. Sie ist eine Form der unbewussten Intelligenz.
Ralph Waldo Emerson
… Wir bezeichnen dieses primäre Wissen als Intuition, während alle spätere Erkenntnis auf Beobachtung und Belehrung beruht. Aus dieser geheimnisvollen Kraft, dieser letzten Tatsache, hinter die unsere Forschung nie gelangen kann, nehmen alle Dinge ihren gemeinsamen Ursprung. … Wir ruhen im Schoße eines unendlichen Geistes, der uns zu Gefäßen seiner Wahrheit und Werkzeugen seiner Tätigkeit macht. Wenn wir etwas als recht, als wahr erkennen, dann handeln nicht wir, sondern wir gewähren nur seinen Strahlen den Durchgang.
Der Unterschied springt sofort in die Augen: Während Gigerenzer Intuition als unbewusste Intelligenz betrachtet, die sich in Verbindung mit entsprechendem Fachwissen noch klarer manifestiert, geht Emerson von einer Intuition aus, die ihre Wurzeln auf einer tieferen metaphysischen Ebene hat und sich — bildlich gesprochen — in uns als “Gottes Stimme” äussert: als ein aus der tiefen inneren Stille erwachsender Impuls, der unserem Leben und Handeln Richtung geben will.
Wenn der Kirchenvater Augustinus oder moderne Magier von Thelema, dem Wahren Willen in uns, sprechen, beziehen sie sich auf ebendiese Intuition. Ein katholisches Informationsportal umschreibt den Begriff so:
Der Mensch des “Liebe und tue, was du willst”, — das ist die befreite, von göttlichen Energieströmen durchflutete Persönlichkeit, in heiliger Selbstverständlichkeit durch die Welt schreitend, inspiriert und inspirierend, nichts an sich reißend, sich beständig an andere verströmend aus dem nie versiegenden Born der Liebe.
Selbstverständlich bleiben beide Definitionen auf ihrer jeweiligen Ebene gültig. Dass aber auch Wissenschaftler durchaus verstehen, was Emerson mit “Intuition” meinte, zeigt sich etwa am Ausspruch von Albert Einstein:
In die gleiche Richtung zielt ein anderer Ausspruch von ihm:
Der Intellekt hat auf dem Weg zur Entdeckung wenig zu tun. Es kommt ein Bewusstseinssprung, nennen Sie es Intuition oder wie Sie wollen, die Lösung kommt zu Ihnen und Sie wissen nicht, wie oder warum.
Und da der birsfaelder.li-Schreiberling damit bei Zitaten berühmter Persönlichkeiten zum Thema gelandet ist, hier gleich noch ein paar weitere:
● Wir beweisen durch die Wissenschaft, aber wir entdecken durch Intuition (Henri Poincaré)
● Ganz gleich, wie gründlich man studiert. Man muss sich wirklich auf seine eigene Intuition verlassen, und wenn es darauf ankommt, weiß man wirklich nicht, was passieren wird, bis man es tut. (Matsushita Konosuke)
● Ich kümmere mich nicht um Lob oder Tadel von anderen. Ich folge einfach meinen eigenen Gefühlen. (Wolfgang Amadeus Mozart)
● Die Intuition ist ein Walkie-Talkie zwischen der Persönlichkeit und der Seele. (Gary Zukav)
● Die wahre Grundlage der Religion ist nicht der Glaube, sondern die intuitive Erfahrung. Intuition ist die Kraft der Seele, Gott zu erkennen. Um zu wissen, worum es in der Religion wirklich geht, muss man Gott kennen. (Paramahansa Yogananda)
● Ich nenne Intuition kosmisches Fischen. Man spürt einen Hauch, dann muss man den Fisch an den Haken nehmen. (Buckminster Fuller)
● Höre auf dein eigenes Selbst. Wenn du auf dieses Selbst in dir hörst, dann findest du die Wahrheit. (Kabir)
● Deine Intuition weiß, was zu schreiben ist, also geh mir aus dem Weg. (Ray Bradbury)
● Habe den Mut, deinem Herzen und deiner Intuition zu folgen. (Steve Jobs)
Fröhliche Weihnachten!
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