»Es tut halt so sau­wohl, kei­nen Ver­stand zu haben, dass die Sterb­li­chen um Erlö­sung von allen mög­li­chen Nöten lie­ber bit­ten, als um Befrei­ung von der Tor­heit.« ​— ERASMUS

Das Leben des Eras­mus von Rot­ter­dam, einem der berühm­tes­ten huma­nis­ti­schen Gelehr­ten, ist eng mit Basel ver­bun­den, wo er nach län­ge­ren Auf­ent­hal­ten in den Nie­der­lan­den, Frank­reich und Eng­land von 1514–1529 leb­te und wirk­te und 1536 auch starb. Obwohl er die Katho­li­sche Kir­che zwar mas­siv kri­ti­sier­te, ihr aber den­noch treu blieb, wur­de er von pro­tes­tan­ti­scher Sei­te so hoch geach­tet, dass er sei­ne letz­te Ruhe­stät­te im inzwi­schen pro­tes­tan­tisch gewor­de­nen Bas­ler Müns­ter fand.

Sein “Lob der Narr­heit / Tor­heit” ent­stand anläss­lich sei­nes Auf­ent­halts in Eng­land bei sei­nem Freund Tho­mas Morus, Autor von “Uto­pia”, mit dem die­ser die uto­pi­sche Lite­ra­tur begrün­de­te. Und ja, es ist der Morus, den Hein­rich VIII. um einen Kopf kür­zer mach­te und sich dafür 400 Jah­re spä­ter den Hei­li­gen­sta­tus erwarb 🙂 . Die ers­te deut­sche Über­set­zung der “Laus stul­ti­tiae” stammt übri­gens von Sebas­ti­an Franck, der — wegen sei­ner radi­ka­len reli­giö­sen Über­zeu­gun­gen ver­folgt und ver­femt — eben­falls eine Heim­statt in Basel gefun­den hat­te, — und illus­triert wur­de sie von kei­nem Gerin­ge­ren als Hans Hol­bein dem Jün­ge­ren.

In der Sati­re griff Eras­mus für sei­ne Gesell­schafts­kri­tik zum Kunst­griff, Frau “Stul­ti­tia” (Dumm­heit, Tor­heit, Albern­heit) auf­tre­ten zu las­sen (-war­um eigent­lich eine Frau? -), die gleich zu Beginn genuss­voll ihre “Tugen­den” anpreist:
Mögen die Men­schen in aller Welt von mir sagen, was sie wol­len – weiß ich doch, wie übel von der Tor­heit auch die ärgs­ten Toren reden –, es bleibt dabei: Mir, ja mir ganz allein und mei­ner Kraft haben es Göt­ter und Men­schen zu dan­ken, wenn sie hei­ter und froh­ge­mut sind.

In iro­ni­scher Über­zeich­nung lässt Eras­mus „sei­ne“ Welt­herr­sche­rin Stul­ti­tia, die sich mit ihren Töch­tern Eigen­lie­be, Schmei­che­lei, Ver­gess­lich­keit, Faul­heit und Lust (den sog. Tod­sün­den) die Welt unter­tan gemacht hat, sich loben, und zielt dabei mit rhe­to­ri­scher Ele­ganz auf die Dumm­hei­ten und Las­ter der Men­schen. Ohne gro­ße Umschwei­fe liest Stul­ti­tia dem erstaun­ten Zuhö­rer (Leser) deut­lich die Levi­ten, nimmt from­me Chris­ten, Kauf­leu­te, Fürs­ten, Advo­ka­ten, Mön­che, Got­tes­die­ner, Hei­li­ge und Gelehr­te aufs Korn und zeich­net auf raf­fi­nier­te Art und Wei­se ein Spie­gel­bild der Zeit. (Wiki­pe­dia)

Wer­fen wir doch ein­fach ein­mal anhand eini­ger kur­zer Aus­zü­ge einen Blick hinein:
Fürs­ten:
Nie­mand hat Zutritt zu ihrem Ohr, außer wer Ange­neh­mes zu sagen weiß, damit ja kein Wölk­chen ihr Gemüt beschat­te. Sie glau­ben, alle Fürs­ten­pflich­ten wacker zu erfül­len, wenn sie flei­ßig jagen, schö­ne Pfer­de hal­ten, Ämter und Stel­len ver­scha­chern und täg­lich eine neue Metho­de aus­den­ken las­sen, wie der Bür­ger zu brand­schat­zen und sein Geld in die eige­ne Tasche zu lei­ten wäre, aber geschickt, mit erfun­de­nen Rechts­ti­teln, damit auch das kras­ses­te Unrecht sei­ne Blö­ße mit einem Schim­mer von Gerech­tig­keit decke.

Höf­lin­ge:
Was soll ich aber erst von den Edel­leu­ten am Hofe sagen? Wer ist so unfrei, unter­wür­fig, läp­pisch und gemein wie sie? Und doch wol­len sie die Blü­te der Mensch­heit vor­stel­len. Nur auf eines erhe­ben sie frei­lich kei­nen Anspruch: sie sind es zufrie­den, Gold, Edel­stei­ne, Pur­pur und sol­che Sym­bo­le der Tugen­den und der Weis­heit am Lei­be her­um­zu­tra­gen; die Tugen­den selbst zu erwer­ben, über­las­sen sie völ­lig den andern. Sie beglückt es genug, daß sie den König ihren Gnä­di­gen Herrn nen­nen dür­fen, daß sie gelernt haben, wie man ihn kurz, mit drei Wor­ten, begrüßt, daß sie wis­sen, wie man so unter­tä­ni­ge Anre­den wie Eure Durch­laucht, Eure Hoheit, Eure Herr­lich­keit alle Augen­bli­cke an den Mann bringt, daß sie das Scham­ge­fühl gründ­lich sich abge­wöhnt haben und nie ver­le­gen sind um eine geist­rei­che Schmei­che­lei; denn sol­che Küns­te zie­ren den ech­ten Kavalier.

Eit­le Alte: … Gestal­ten kaum mehr wie Men­schen, stam­melnd, schwach­sin­nig, zahn­los, grau­bär­tig, glatz­köp­fig oder, wie Aris­to­pha­nes sagt: »gebeugt, gebrech­lich, unge­pflegt, zahn­los, kahl­köp­fig, runz­lig, längst aus­ge­brannt …«, aber sie freu­en sich noch ihres Daseins und neh­men es mit jedem Jun­gen auf: der färbt die grau­en Sträh­nen, der stülpt auf den Kahl­kopf fal­sche Haa­re, der leiht sich ein Gebiß – am Ende noch von einer Sau –, der ist kläg­lich in ein Mägd­lein ver­schos­sen, und sein alber­nes Geschä­ker könn­te den jüngs­ten Fant beschä­men; und daß ein alter Kra­cher, die reins­te Mumie, ein blut­jun­ges Ding hei­ra­tet, und zwar ohne Mit­gift und zu Nutz und From­men ande­rer, ist so all­täg­lich, daß man es nächs­tens lobens­wert findet.
Noch köst­li­cher sind die Wei­ber: vor Schwä­che schon halb­tot und so dürr, daß man meint, sie kämen aus dem Gra­be, träl­lern sie noch immer: »Licht und Leben sind so schön!«; und noch juckt es sie wie die läu­fi­gen Hünd­lein oder Säue. Sie kau­fen sich um schwe­res Geld einen hüb­schen jun­gen Bur­schen, bema­len flei­ßig die runz­li­ge Haut mit Schmin­ke, wei­chen vom Spie­gel kei­nen Schritt, roden sich aus, was da unten sprießt, hau­sie­ren mit den schlaf­fen, ver­welk­ten Brüs­ten, gir­ren und schmach­ten, den lust­lo­sen Freund zu ani­mie­ren, trin­ken über den Durst, tan­zen im Rei­gen bei den Mäd­chen und krit­zeln ver­lieb­te Brief­chen. Alles lacht und nennt das mit Recht Nar­re­tei – sie aber gefal­len sich, schwe­ben in eitel Won­ne, schwim­men in süßem Glück und sind selig – dank mei­ner Gnade.

Phi­lo­so­phen: Sie rüh­men sich, allein wei­se zu sein; alle andern sei­en flat­tern­de Sche­men. Und doch, wie köst­lich phan­ta­sie­ren auch sie, wenn sie ihre zahl­lo­sen Wel­ten bau­en, wenn sie Son­ne, Mond und Ster­ne mit­samt den Sphä­ren auf Dau­men­brei­te oder Faden­di­cke aus­mes­sen, wenn sie den Blitz, den Wind, die Fins­ter­nis­se und ande­re uner­klär­li­che Erschei­nun­gen erklä­ren, ohne zu sto­cken, als hät­ten sie der Natur beim Welt­bau als Geheim­schrei­ber gedient oder eben noch im Rate der Göt­ter geses­sen ? und dabei macht sich die Natur über sie samt ihren Mut­ma­ßun­gen von Her­zen lus­tig. Denn Siche­res wis­sen sie nichts; das beweist genug­sam die bekann­te Geschich­te, daß über jed­we­dem Ding sie sich selbst bestän­dig in den Haa­ren lie­gen. Obgleich sie gar nichts wis­sen, behaup­ten sie, alles zu wissen.

Theo­lo­gen: Geschei­ter frei­lich wäre es wohl, in die­ses Wes­pen­nest nicht zu ste­chen und um die­se stin­ken­de Hof­fart einen Bogen zu machen, denn die Leu­te sind hoch­nä­sig und emp­find­lich und rei­ten am Ende mit ihren Schluß­sät­zen schwa­drons­wei­se Atta­cke, um mich zum Wider­ruf zu zwin­gen, und wei­ge­re ich mich, so schrei­en sie gleich: »Ket­ze­rei«. Im Hand­um­dre­hen schleu­dern sie die­sen Blitz, um den zu schre­cken, der es mit ihnen ver­scherzt hat. …
Die hei­li­gen Geheim­nis­se erklä­ren sie frei aus dem Kop­fe: sie wis­sen genau, wie die Welt erschaf­fen und ein­ge­rich­tet, durch wel­che Kanä­le das Gift der Erb­sün­de in die Kin­der Adams geflos­sen, wie, in wel­cher Grö­ße und wie schnell Chris­tus im Lei­be der Jung­frau gereift ist, und wie in der Hos­tie die Gestal­ten von Brot und Wein auch ohne Sub­stanz bestehen. … Noch etwas reizt auch mich nicht sel­ten zum Lachen. Sie füh­len sich dann erst so recht als Theo­lo­gen, wenn sie ein recht häß­li­ches Kau­der­welsch reden; und wenn sie sich der­ma­ßen bar­ba­risch aus­drü­cken, daß nur ein Bar­bar sie ver­steht, so hei­ßen sie das Wis­sen­schaft­lich­keit, die für das Lai­en­volk eben zu hoch sei.

Papst: Aber wenn erst die Päps­te, die an Chris­ti Statt ste­hen, es ver­su­chen woll­ten, auch sei­nem Wan­del nach­zu­le­ben, das heißt sei­ner Armut, sei­ner Arbeit, sei­nem Leh­ren, sei­nem Kreuz, sei­ner Todes­be­reit­schaft, oder wenn sie an ihren Namen »Vater« und den Zuna­men »hei­ligs­ter« däch­ten, wes­sen Herz wäre so bedrückt wie das ihre? Wer woll­te noch den päpst­li­chen Stuhl um jeden Preis kau­fen oder die­sen Kauf mit dem Schwert, mit Gift, mit jeder Gewalt­tat behaup­ten? Wie­viel Schö­nes hät­te ein Ende, wenn ein­mal Weis­heit über einen Papst käme – Weis­heit sag­te ich? – nein, wenn er nur ein Körn­chen jenes Sal­zes ver­spür­te, von wel­chem Chris­tus spricht! Es wäre gesche­hen um Geld, Ehre, Macht und Herr­lich­keit, um Rech­te, Dis­pen­se, Steu­ern, Abläs­se, um Pfer­de, Maul­tie­re, Tra­ban­ten, um all die Pracht und Behag­lich­keit – ihr wißt ja, wel­cher Jahr­markt, wel­che Ern­te, wel­che Strö­me von Reich­tum mit die­sen weni­gen Wor­ten umschrie­ben sind.

Ganz schön bis­sig, die­ser Eras­mus!  Des­halb nütz­te ihm der Kunst­griff mit der “Stul­ti­tia” wenig: Auf dem Kon­zil von Tri­ent 1545 lan­de­te die Sati­re zusam­men mit wei­te­ren Wer­ken auf dem kirch­li­chen Index

Ein guter ver­tie­fen­der Kom­men­tar zum Werk fin­det sich auf der Web­sei­te des Deutsch­land­funks.

Nach­dem wir uns mit Brant und Eras­mus mit den nega­ti­ven Sei­ten der Narr­heit aus­ein­an­der­setz­ten, wid­men wir uns in der nächs­ten Fol­ge am Sams­tag, den 24. April den “Hei­li­gen Nar­ren”, — die gibt es näm­lich auch 🙂

 

 

 

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