Im November 1906 traf Meyrink mit seiner Familie in München ein. Vorausgegangen war ein längerer Aufenthalt in Montreux, das er später sehr zum Leidwesen des dortigen Tourismusbueros in einer gleichnamigen Satire aufs Korn nahm. Seine Beiträge im Simplicissimus machten ihn in der Münchner Bohème und Intelligentisa rasch bekannt. Sein Freund Karl Wolfskehl schrieb:
“Jahre durch waren Worte, Wendungen und Vergleiche aus Meyrinks Simplicissimus-Beiträgen in aller Mund und Gedächtnis. Als geflügelte und gestachelte Sentenzen durchschwirrten sie nicht bloss Schwabing.”
Aber seine fantastischen Kurzgeschichten und Satiren fanden auch ausserhalb Münchens begeisterte Leser, z.B. Kurt Tucholsky, der unermüdliche Kämpfer gegen die zunehmende politische Dunkelheit in Deutschland:
“Jeder hatte seinen eigenen Meyrink, jeder wusste neue Schönheiten zu berichten, die der andere noch gar nicht entdeckt hatte, und wenn wir uns abends nach Haus standen, brachen wir an jeder Strassenecke in ein Geheul aus (darob die Bürger erwachten), weil uns wieder etwas Neues eingefallen war von diesem Teufelskerl.”
“Und wie schon in Prag waren die Kaffeehäuser Treffpunkte eines lebendigen künstlerischen und intellektuellen Austausches, z.B. das Café Stefanie:
“Das wienerisch gehaltene, auch Café Grössenwahn genannte Lokal mit roten Plüschbänken, wandgrossen Spiegeln und runden Marmortischchen hatte bis drei Uhr morgens geöffnet … Es war ein Sammelplatz der Künstler und Treffpunkt der Zeichner des Simplicissimus sowie der Literaten, die ihre eigenen Stammtische hatten. Um diese Zentren sammelte sich eine bunte Mischung aus Tanzmädchen, Malschülerinnen, Studenten, Modellen, russischen Revolutionären, Weltverbesserern in Sandalen und härenen Gewändern.
Nachmittags um fünf Uhr fand sich eine exklusive Runde zusammen, zu der die Schriftsteller Arthur Holitscher, Heinrich Mann, Kurt Martens, Frank Wedekind und der gelähmte, langsam erblindende Eduard Graf Keyserling gehörten, der in seinem fahrbaren Krankenstuhl unter dem Kronleuchter Platz zu nehmen pflegte und Kollegen zu dem Spottvers animierte: “Als Gottes Atem leiser ging / Schuf er den Grafen Keyserling”. Auch Knut Hamsun, Hanns Heinz Ewers, Max Halbe, Karl Wolfskehl und Ernst Toller waren im Café Stefanie zu Gast … In diesem Kaffeehaus verkehrten auch die ersten Frauen, die es wagten, alleine auszugehen. Zu ihnen gehörten Franziska Gräfin zu Reventlow, Mechthild Fürstin Lichnowsky und Marianne von Werefkin.”
Die Liste seiner Bekanntschaften könnte beliebig verlängert werden: Hermann Hesse, Ludwig Thoma, Martin Buber, Erich Mühsam, Hans Ludwig Held, Bertha Eckstein (Sir Galahad), Alexander Roda Roda …
Offensichtlich geriet Meyrink schon 1908 in eine Schaffenskrise. Seine Mitarbeit beim Simplicissimus begann zu versanden, die Arbeit zum “Golem” wollte nicht vorankommen. Aber seine Fähigkeiten als faszinierender Erzähler blieben ungebrochen. Sein Freund Wolfskehl erzählte, wie Meyrink einmal bei ihm zuhause einem kleinen atemlos zuhörenden Kreis in einem halbdunklen Gemach Zustände des Zwischenreichs nach dem Tode schilderte:
“Er war in seiner makabersten, grauenlüsternsten und verwegensten Laune. Alle Schauermären des Ostens, alle Teufelsphantasien des Mittelalters verblassten gegenüber den Schrecknissen, den fürchterlichen Angstbildern, die er mit halblauter Stimme fast gleichmütig heraufbeschwor … Das künstlerische Wohlgefallen an Einfällen und Phantasmagorien wandelte sich in atemlose Lebensangst, jede Rechenschaft erlahmte, das Hier und das Dann stürzten ineinander. Unsinnig surrten die Wirbel, schnürte die Qual — da brach Meyrink irgendwo ab, mitten in den eiskalten Schauern oder an deren Schluss, an deren Beginn, wer wüsste es zu sagen. Mit einem leisen Seufzer, dabei fast freundlich, fast nachsichtig kam es von seinen Lippen: “Ja, mei, wenn’s weiter nix wär!”
1911 übersiedelte er schliesslich nach Starnberg, wo er eine Bleibe für den Rest seines Lebens finden sollte. Um sich finanziell über Wasser zu halten, versuchte er sich zusammen mit Roda Roda mit mässigem Erfolg an drei Theaterstücken. Einträglicher war hingegen seine intensivierte Tätigkeit als Übersetzer der Werke von Charles Dickens, aber auch von Rudyard Kipling und Camille Flammarion, dem berühmten französischen Astronomen und Parapsychologen.
Dabei bediente er sich in Gestalt des Parlographen modernster Technik der damaligen Zeit.
Dann brach der erste Weltkrieg aus. Und es zeigte sich, dass einige seiner Satiren plötzlich zu Sprengstoff wurden. 1917 brach eine massive deutschweite Hetzkampagne gegen Meyrink los. Darüber mehr
am kommenden Samstag, den 30. Januar
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