Prag war um die Jahr­hun­dert­wen­de Nähr­bo­den gros­ser lite­ra­ri­scher Talen­te. Illus­tre Namen wie Franz Kaf­ka, Rai­ner Maria Ril­ke, Max Brod und Franz Wer­fel zeu­gen davon.

Doch der jun­ge Gus­tav hat­te ande­res im Sinn. Sei­ne Lebens­in­hal­te: Bür­ger­schreck, Schach­spie­ler, Sport­ler und Bankier!

Bür­ger­schreck: “Er kauf­te schril­le Kra­wat­ten und extra­va­gan­te Anzü­ge, die moderns­ten Schu­he, die es im Prag der 1890er Jah­re gab. Er kauf­te über­züch­te­te Hun­de, einen gan­zen Käfig vol­ler wei­ßer Mäu­se, ein gan­zes Rudel exo­ti­scher Haus­tie­re … Alles in der bewuss­ten Absicht, alle respek­ta­blen, all­zu respek­ta­blen Leu­te der Stadt zu pro­vo­zie­ren, ihre Feind­se­lig­keit zu wecken. … Er nahm an Fecht­kämp­fen im Gentlemen’s Club bis zwei oder drei Uhr mor­gens teil, war Mit­glied im Pra­ger Casi­no und besuch­te unzäh­li­ge exklu­si­ve Par­tys. Ein­mal ritt er quer durch Prag auf einem Pferd, das eine Kut­sche mit Sän­gern und Schau­spie­lern zog, die mit bun­ten Luft­bal­lons wink­ten. … Es scheint fast unver­meid­lich, dass er einer der ers­ten Men­schen war, der — zumin­dest nach sei­nen eige­nen Anga­ben — ein Auto­mo­bil in Prag besaß.” (Mit­chell)

Sport­ler: Abge­se­hen von sei­nem Ruf als aus­ge­zeich­ne­ter Fech­ter hat­te es ihm eine Sport­art beson­ders ange­tan: Rudern! Er nahm u.a. an Regat­ten in Buda­pest, Dres­den, Prag, und Wien sowie in der Schweiz teil und errang bei 67 Starts 32 Siege.
Auch in spä­te­ren Jah­ren als arri­vier­ter Schrift­stel­ler enga­gier­te er sich in Bay­ern immer wie­der als Trai­ner und ruder­te nach eige­nem Bekun­den jeden Tag vier Stunden.

Ban­kier: Zusam­men mit einem Kom­pa­gnon namens Mor­gen­stern eröff­ne­te er 1889 die Bank “Mey­er & Mor­gen­stern”, nach­dem es ihm gelun­gen war, sich dank sei­ner Simu­la­ti­ons­küns­te vom ver­hass­ten Mili­tär­dienst zu befrei­en. Sein Part­ner hat­te etwas Erfah­rung im Bank­ge­schäft, Mey­er hin­ge­gen nicht die gerings­te. Doch schon 1894 trenn­ten sich die bei­den wie­der, — ent­we­der wegen der Inkom­pe­tenz und Ver­schwen­dungs­sucht des jun­gen Dan­dys, oder weil sich Mey­er von Mor­gen­stern über­vor­teilt fühl­te. Wie dem auch sei: Mey­er ver­such­te nun, als Ban­kier auf eige­nen Füs­sen zu ste­hen, was ihn aller­dings weni­ge Jah­re spä­ter in die Kata­stro­phe füh­ren sollte …

In die­se Zeit fiel ein Ereig­nis, das sein Leben in voll­stän­dig neue Bah­nen lenk­te. Offen­sicht­lich geriet er 1891 in eine solch tie­fe inne­re Sinn­kri­se, dass er an Mariä Him­mel­fahrt beschloss, Selbst­mord zu bege­hen. Spä­ter schil­der­te er die­sen dra­ma­ti­schen Moment so:
“… ich sass in Prag in mei­nem Jung­ge­sel­len­zim­mer vor mei­nem Schreib­tisch, steck­te den Abschieds­brief, den ich an mei­ne Mut­ter geschrie­ben hat­te, in das Kuvert und griff nach dem Revol­ver, der vor mir lag; denn ich woll­te die Fahrt über den Styx antre­ten, woll­te ein Leben, das mir schal und wert­los und trost­arm für alle Zukunft zu sein schien, von mir werfen.
In die­sem Augen­blick betrat “der Lot­se mit der Tarn­kap­pe vor dem Gesicht”, wie ich ihn seit­dem nen­ne, den Bord mei­nes Lebens­schif­fes und riss das Steu­er her­um. Ich hör­te ein Rascheln an der Stu­ben­tür, die hin­aus auf den Haus­flur führ­te, und als ich mich umdreh­te, sah ich, dass sich etwas Weis­ses unter den Tür­rand über die Schwel­le ins Zim­mer schob..
.…..
Ich nahm den Revol­ver als einen vor­läu­fig unbrauch­bar gewor­de­nen Gegen­stand und sperr­te ihn in die Schub­la­de; ich besit­ze ihn noch heu­te. Er ist an Rost gestor­ben und sei­ne Trom­mel dreht sich nicht mehr, wird sich nie mehr drehen.”

Neu­gie­rig gewor­den, was damals geschah? Hier ist die gan­ze Erzäh­lung (aus: “Das Haus zur letz­ten Latern”).

Zwei Jah­re spä­ter hei­ra­te­te er ein ers­tes Mal und führ­te sei­nen extra­va­gan­ten Lebens­stil wei­ter, — dies­mal aller­dings zutiefst geprägt von sei­nen neu­en Interessen:
“Mey­rinks auf­wen­di­ger Lebens­stil zeig­te sich dar­in, dass er, obwohl kin­der­los, zwei Dienst­bo­ten beschäf­tig­te und eine Fünf­zim­mer­woh­nung in bes­ter Lage gemie­tet hat­te … In die­sem Domi­zil rich­te­te er sich ein mys­ti­sches Zim­mer ein, in das er sich zurück­zie­hen konn­te, wenn er medi­tie­ren woll­te. … Der Raum besass eine blaue Decke, die mit Ster­nen und Tier­kreis­zei­chen bedeckt war. Eine Wand zeig­te einen Mann, der in der Mau­er zu ver­schwin­den schien. …Ande­re Wän­de waren schwarz bespannt und mit astro­lo­gi­schen Zei­chen in Gold ver­se­hen. Aus­ser­dem gab es alte Kir­chen­stüh­le, einen Rie­sen­tisch mit Glo­bus, Uhr, Schwe­be­ku­gel, Toten­kopf und Kru­zi­fix an der Wand, dazu Hei­li­gen­bil­der und Reli­qui­en aller Art.” (Bin­der)

In die­se Zeit, in der er mit gröss­tem Elan in das neu ent­deck­te geheim­nis­vol­le Gebiet des Spi­ri­tis­mus, der spi­ri­tu­el­len Ver­ei­ni­gun­gen und des “Okkul­ten” ein­tauch­te, fiel einer­seits eine schwe­re Erkran­kung in Form eines Rücken­mar­klei­dens, ande­rer­seits ein ers­ter schrift­stel­le­ri­scher Ver­such: sei­ne Kurz­ge­schich­te “Der heis­se Sol­dat”, die er im berühm­ten sati­ri­schen Münch­ner Wochen­blatt “Sim­pli­cis­si­mus” ver­öf­fent­li­chen konn­te. (Wer Lust dar­auf hat sie zu lesen, fin­det sie hier**)

Die­se Lebens­pha­se ende­te anfangs 1902 mit einem gros­sen Knall: Gus­tav Mey­er wur­de in sei­nem Geschäfts­lo­kal wegen Betrugs­vor­wür­fen ver­haf­tet und wan­der­te stracks in Gefäng­nis. Eben­falls vor­aus­ge­gan­gen war ein Ehren­han­del, der ihn zutiefst getrof­fen hat­te. Dar­über mehr

am Sams­tag, den 19. Dezember!

** sämt­li­che Tex­te, die in die­sen Fol­gen her­un­ter­ge­la­den wer­den kön­nen, sind gemeinfrei.

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