Das im anti­ken Chi­na ent­wi­ckel­te Go-Spiel ist um vie­les kom­ple­xer als Schach, obwohl die Basis­re­geln ein­fa­cher sind: Die Anzahl regel­kon­for­mer Posi­tio­nen auf einem Go-Brett ist deut­lich grös­ser als die Anzahl der Ato­me im bekann­ten Universum!!

Als 1997 Deep­Blue den amtie­ren­den Schach­welt­meis­ter Kas­parow schlug, ver­dank­te er sei­nen Sieg einer­seits der rie­si­gen Schach-Daten­bank, mit der er gefüt­tert wor­den war, und einer gewal­ti­gen Rechen­leis­tung. Für einen Sieg im Go-Spiel genüg­te das ange­sichts der unend­li­chen Mög­lich­kei­ten der Spiel­ent­wick­lung nicht mehr. Top Go-Spie­ler sind zwar extrem gute Kopf­rech­ner, aber sie prä­gen sich nicht wie Schach­spie­ler Aber­tau­sen­de his­to­ri­scher Par­tien ein, son­dern ent­wi­ckeln eine Fähig­keit der Erken­nung abs­trak­ter Mus­ter, die man am bes­ten mit einem Gefühl der Intui­ti­on ver­glei­chen könnte.

Im Janu­ar 2016 erschien im Wis­sen­schafts­ma­ga­zin “Natu­re” ein Arti­kel mit dem Titel “Mas­te­ring the game of Go with deep neural net­works and tree search”. Dahin­ter stand ein klei­nes bri­ti­sches Unter­neh­men, , Deep­Mind, das 2014 von Goog­le auf­ge­kauft wor­den war. Im Gegen­satz zu Deep­Blue arbei­te­te es zusätz­lich mit künst­li­chen neu­ro­na­len Netzen.

Schon im März wur­de ange­kün­digt, dass “Alpha­Go” einen der welt­bes­ten Go-Spie­ler, den Süd­ko­rea­ner Lee Sedol, her­aus­for­dern wür­de. Im Fal­le eines Sie­ges durf­te Sedol das statt­li­che Sümm­chen von einer Mil­li­on Dol­lar heim­tra­gen. Als am 9. März die Par­tien began­nen, die bis zu 9 Stun­den dau­ern kön­nen, fie­ber­ten rund um den Glo­bus Aber­mil­lio­nen Fans mit. Rie­sen­schock!: Alpha­Go gewann 4 von den fünf geplan­ten Partien.

Schock auf für Sedol, der in der ers­ten Par­tie in Füh­rung lag. Aber dann mach­te Alpha­Go einen Zug, den kein Mensch erwar­tet hät­te: “Das Pro­gramm, das doch von Men­schen zunächst zumin­dest teil­wei­se anhand mensch­li­cher Par­tien trai­niert wor­den war, ver­hielt sich jetzt manch­mal so, wie sei­ne eige­nen Schöp­fer und Lehr­meis­ter es nie tun wür­den. Und es gewann. Alpha­Go hat­te sich bin­nen fünf Mona­ten von sehr gutem Ama­teur­ni­veau an die abso­lu­te Welt­spit­ze trainiert.”*

Aber das war erst der Anfang.

Der 20-jäh­ri­ge Chi­ne­se Ke Jie, der Sedol kurz zuvor zwei­mal geschla­gen hat­te und inzwi­schen neu­er amtie­ren­der Welt­meis­ter war, warf Alpha­Go den Feh­de­hand­schuh hin, um die Ehre der rie­si­gen chi­ne­si­schen Go-Gemein­de zu ver­tei­di­gen. Ganz schön mutig: Anfang 2017 war näm­lich eine neue Ver­si­on, Alpha­Go Mas­ter, gegen eine Rei­he der welt­bes­ten Go-Spie­ler ange­tre­ten. Resul­tat: 60 zu 0 … Es braucht kaum mehr erwähnt zu wer­den, dass auch Ke Jie kra­chend ver­lor. Sei­ne Erklä­rung: 2016 habe die Soft­ware noch wie ein Mensch gespielt, aber jetzt habe sie sich in einen “Go-Gott” verwandelt …

Inzwi­schen wur­de Alpha­Go wei­ter ent­wi­ckelt und hiess neu: Alpha­Go Zero. “Zero” wegen eines ent­schei­den­den klei­nen Unter­schieds: Das Sys­tem lern­te nur noch die höchst ein­fa­chen Spiel­re­geln, kei­ne Go-Daten­bank, kei­ne Stra­te­gie-Hin­wei­se, — ein unbe­schrie­be­nes Blatt. Dann begann Alpha­Go Zero zu trai­nie­ren, indem es gegen sich sel­ber spiel­te, — 4,9 Mil­lio­nen Par­tien in drei Tagen.

Doch gegen wen soll­te die Maschi­ne antre­ten? Mensch­li­che Geg­ner gab es ja kei­ne mehr. Also liess man die Maschi­ne gegen Alpha Go, den Sie­ger gegen Sedol, spie­len. Resul­tat: 100 zu 0, — für Alpha­Go Zero. Anschlies­send wur­de ihm Alpha­Go Mas­ter vor­ge­setzt, der weni­ge Mona­te zuvor die welt­bes­ten Go-Spie­ler rei­hen­wei­se abser­viert hat­te. “Zero” trai­nier­te sich sel­ber wäh­rend 40 Tagen wei­ter und schlug den “Mas­ter” immer­hin noch mit 89 zu 11. “Alpha­Go Zero habe im Lauf sei­nes Trai­nings typi­sche Eröff­nun­gen mensch­li­cher Go-Exper­ten “ent­deckt”, erklär­te David Sil­ver von Deep­Mind ver­blüfft — und sie dann spä­ter ver­wor­fen und durch neue, selbst erfun­de­ne Stra­te­gie ersetzt.”*

Im Dezem­ber 2017 brach­te sich Alpha­Go Zero auf die­se Wei­se inner­halb von vier Stun­den das Schach­spiel bei, trat anschlies­send gegen Stock­fi­sh an, einem hoch­ent­wi­ckel­ten Schach­pro­gramm, gewann 28 mal, erreich­te 72 Remis und ver­lor kei­ne ein­zi­ge Partie.

Die gros­se Beschleu­ni­gung … Chris­ti­an Stö­cker: “KI-Sys­te­me wer­den in naher Zukunft Pro­ble­me lösen, an denen die Mensch­heit seit Jahr­hun­der­ten schei­tert. Und zwar, wenn sich das Pro­blem aus­rei­chend exakt beschrei­ben lässt, sogar ohne unse­re Hil­fe. Wir wer­den die­se Lösun­gen womög­lich zunächst gar nicht ver­ste­hen, auch wenn sie funk­tio­nie­ren: Wir bewe­gen uns in eine Zukunft, in der die bes­ten Ent­schei­dun­gen womög­lich die sind, auf die eine Maschi­ne gekom­men ist. Eine Maschi­ne, die die­se Ent­schei­dung aber nicht so erklä­ren kann, dass wir das noch nach­voll­zie­hen kön­nen. Wenn wir begin­nen, uns auf sol­che maschi­nel­len Ent­schei­dun­gen zu ver­las­sen — wie wer­den wir dann mer­ken, wenn die Maschi­nen Feh­ler machen? … 

Wenn wir uns auf die Vor­her­sa­gen der Rechen­ma­schi­nen ver­las­sen, ohne zu begrei­fen, wie die­se Vor­her­sa­gen zustan­den kom­men, ver­ab­schie­den wir uns vom Grund­prin­zip wis­sen­schaft­li­cher Erkennt­nis, ja von der Erkennt­nis an sich: Die Black Box wird uns nicht erklä­ren kön­nen, wie sie auf ihr Ergeb­nis gekom­men ist. … Das stellt die Wis­sen­schaft, wie wir sie ken­nen, auf den Kopf. Und die­ser Pro­zess ist bereits in vol­lem Gange. …

Das Aus­mass der Ver­än­de­run­gen, die von die­ser neu­en, wie­der expo­nen­tio­nel­len Ent­wick­lung aus­ge­hen, ist noch kaum abzu­se­hen. Sicher ist: Wenn wir nicht anfan­gen, mehr nach vorn und weni­ger zurück zu schau­en, wer­den uns die­se Ver­än­de­run­gen völ­lig unvor­be­rei­tet tref­fen.”*

Fragt sich ein­fach, wor­in die­ses “mehr nach vorn schau­en” denn bestehen soll: Sich immer mehr auf die­se hoch­kom­ple­xe KI abzu­stüt­zen und eines Tages viel­leicht das Schick­sal von Goe­thes Zau­ber­lehr­ling zu erlei­den? Oder doch lie­ber unse­re eige­nen viel­leicht noch brach­lie­gen­den Fähig­kei­ten ent­wi­ckeln? Immer­hin mein­te Hen­ry Markram, einer der Pro­mo­to­ren des Human Brain Pro­jects :
“Woll­te man ver­su­chen, einen Com­pu­ter mit der Rechen­ka­pa­zi­tät des Gehirns zu bau­en, wür­de der Tau­sen­de von Giga­watt brau­chen und Mil­li­ar­den Dol­lar kos­ten – in unse­rem Kopf schafft das eine drei Pfund schwe­re Mas­se, die auf 60 Watt läuft”.

Das ist doch recht tröstlich 😉

Die nächs­te Fol­ge in vier­zehn Tagen am Sa, den 31. November

*Alle Zita­te aus dem Buch von Chris­ti­an Stö­cker “Das Expe­ri­ment sind wir”, Karl Bles­sing Ver­lag, 2o2o

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