Die Huxleys waren in Indien nicht nur vom angetroffenen Elend breiter Bevölkerungsschichten schockiert. Aldous urteilte auch harsch über seine eigenen Landsleute, die über den Subkontinent herrschten:
Er war empört über die meisten englischen Imperialisten, denen er begegnete — “dumm, unkultiviert, untererzogen, der vollkommene Schurke ” — und selbst in Anwesenheit der anständigeren Vertreter sah er sich gezwungen, … anzuerkennen, dass er die indischen nationalistischen Bestrebungen verstehe: ‘Wir haben hier wirklich nichts zu suchen. Und es besteht kein Zweifel, dass wir das Land immer ärmer machen. In Kaschmir habe er den “kleinen und sehr korrupten Despotismus” beobachtet und “noch faszinierender ist das Studium der Beziehungen zwischen den Engländern und den gebildeten Indern … Die Grausamkeiten, die Demütigungen, die pompösen Verkleidungen, die Snobismen … Proust hätte hier ein paar Jahre leben sollen.” (Nicholas Murray. Aldous Huxley)
Als Höhepunkt seiner Indienreise erlebte Huxley den Besuch beim weltberühmten Naturwissenschaftler Sir Jagadish Chandra Bose. Nach seinen Forschungen über elektromagnetische Wellen widmete sich Bose ab 1900 der Pflanzenphysiologie. Seine Erkenntnisse waren so revolutionär, dass sie bis heute nicht wirklich rezipiert wurden.
Ihr Führer war Sir J. C. Bose selbst, der berühmte Forscher, der früher über die Wirkung von Reizen auf Metall und dann auf pflanzliche Organismen gearbeitet hatte, der Mann, der die “Empfindlichkeit” von Pflanzen nachgewiesen hatte. Aldous und Maria wurden drei Stunden lang herumgeführt und sahen die Experimente in vollem Gange. Das war in der Tat ein gefundenes Fressen für Aldous’ Verstand: Bose hatte Instrumente entwickelt, die Dinge sichtbar machten, die bisher selbst mit Hilfe des stärksten Mikroskops nicht zu sehen waren. Sie beobachteten den “Herzschlag” einer Pflanze, die sich Punkt für Punkt auf einer sich bewegenden Platte aufzeichnete, sie beobachteten eine Pflanze, die sich in der Sonne ernährte und aufhörte, sich zu ernähren, wenn die Sonne schattig war, sie beobachteten, wie sie winzige Mengen Sauerstoff ausatmete, sie sahen “ihre plötzliche erschaudernde Reaktion” auf einen elektrischen Schock, und sie sahen, wie ihr “Herz” schneller schlug, wenn man ein Körnchen Koffein in ihr Wasser gab.
Aldous war skeptisch gewesen: “Aber wenn man sieht, wie die Pflanzen ihre eigenen Empfindungen aufzeichnen, dann muss man daran glauben.“
Im Laufe des Nachmittags folgten sie Bose “von Wunder zu Wunder”. Er zeigte ihnen den ausgewachsenen Baum, der unter Narkose aus großer Entfernung hergebracht und verpflanzt worden war; der Baum hatte an seinem neuen Platz sofort Wurzeln geschlagen und blühte. Sie sahen eine Pflanze sterben. “Wir haben Gift verabreicht. Eine tödliche Dosis Chloroform wurde in das Wasser getropft. Die Grafik wurde zur Aufzeichnung eines Todeskampfes.
. . Die vergiftete Blume krümmte sich offensichtlich vor uns… Als das Gift das “Herz” lähmte, flachte das Auf und Ab des Graphen zu einer horizontalen Linie ab. Doch solange noch Leben in der Pflanze war, verlief diese mittlere Linie nicht waagerecht, sondern war gezackt mit scharfen, unregelmäßigen Auf- und Abschwüngen, die in einem sichtbaren Symbol die Krämpfe der ermordeten Kreatur darstellten, die verzweifelt um ihr Leben kämpfte. Nach einiger Zeit gab es keine Erhebungen und Vertiefungen mehr. Die Linie der Punkte war ganz gerade. Die Pflanze war tot.
(Bedford, Aldous Huxley, p. 166/167)
Die Forschungen Boses erinnern an die Experimente Cleve Backsters in den 60er-Jahren.
In der Schiffsbibliothek fand Huxley eines Tages die Autobiographie von Henry Ford “My Life and Work”. Sie sollte, wie wir noch sehen werden, in Huxleys späterem Werk “Brave New World/Schöne Neue Welt” eine wichtige Rolle spielen.
Ihre Reise ging anschliessen weiter nach Burma, Indonesien, die Philippinen, Singapur, und über Hongkong und Japan nach San Francisco und Los Angeles. In der nächsten Folge begleiten wir sie quer durch die USA, und dies wie immer
am kommenden Samstag, den 7. Oktober.
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