Parallel zur Entstehung seines Romans “Time must Have a Stop” (dt, Zeit muss enden) arbeitete Huxley an einem weiteren Buch, das — ähnlich wie Schöne Neue Welt — zu einem Klassiker werden sollte: The Perennial Philosophy — siehe Anhang. (dt. Die Ewige Philosophie). Er stellte darin spirituelle Texte aus der ganzen Welt und von allen Religionen thematisch zusammen und kommentierte sie.
Huxleys Ansatz ist zwar sichtlich vedantisch-buddhistisch geprägt, aber die Bandbreite der Texte und Huxley Blick für deren Verwandtschaft macht dieses Buch wirklich zu einem erstaunlichen religiösen Kompendium. Neben vedischen und buddhistischen Texten verschiedener Traditionen oder dem Tschuang-tse und dem Tag te King finden sich auch Auszüge von Kabir, Rudi und Rabi’a, Zeilen von Huxleys Lieblingsmystikern Meister Eckhart und Willam Law ebenso wie von Thomas von Kampen und christlichen Heiligen oder aus “Die Wolke des Nichtwissens” sowie Passagen von Tolstoi, Shakespeare und William Blake.
Die Kernthese, die Huxley hier stringent und mit typisch stilistischer Eleganz herausarbeitet, ist, dass spirituelle Erkenntnis nur auf (mystischer) Erfahrung beruhen kann. Jegliche Form von Glaube, von Indoktrinationen durch religiöse Führer, Kirchen und organisierte Religion — und im weiteren Sinne durch die Kultur und die in der Sprache versteinerten Strukturen — stehen der Möglichkeit spirituellen Fortschritts im Weg. Das ist auch die These und spirituelle Methode seines Freundes Krishnamurti. Huxley wird in den nächsten Jahren daran arbeiten.
Klammerbemerkung: Das Interesse an der Philosophia Perennis, die versucht, die gemeinsame Wurzel aller spirituellen Traditionen freizulegen, ist in der letzten Zeit wieder stark angestiegen. Dies auch wegen der Wiederentdeckung deren wohl herausragendsten Vertreters: des Baslers Frithjof Schuon. Eine kommende birsfaelder.li-Reihe wird sich dieser eindrücklichen Persönlichkeit widmen.
Der zweite Weltkrieg und insbesondere die Auslöschung von Hiroshima und Nagasaki durch den ersten Atombombeneinsatz hinterliessen bei Huxley Spuren, und abwechselnder Pessimismus und Optimismus charakterisierten seine Gemütslage. Zwar war er dankbar für den Sieg über den Faschismus, aber
Huxley sah keine friedlichen. gerechten Zeiten intelligenter Politik heraufziehen, die zuvorderst das Wohl des Individuums im Blick hätte. Nicht nur wegen des sich anbahnenden Kalten Krieges , sondern auch wegen eindeutiger Zeichen der Verselbständigung des militärisch-politischen und plutokratisch-kapitalistischen Komplexes, also des Zuwachses der Macht kleiner, losgelöster Eliten, war Huxley beunruhigt. Bereits im März 1946 erschien in Buchform der lange Essay “Science, Liberty and Peace” (dt. Wissenschaft, Freiheit und Frieden), den er im vergangenen Sommer verfasst hatte, während Hiroshima und Nagasaki bombardiert wurden.
Seine Ausgangsthese war, dass aufgrund der enormen Fortschritte in den Naturwissenschaften die kleine Gruppe der politisch-wirtschaftlichen Elite eine bislang ungekannte technologische Kontrolle über die Masse nationalstaatlicher Bevölkerungen ausüben konnte; er diagnostizierte eine Ausgangslage, die seiner Auffassung nach zu dem führen würde, was sich zwanzig Jahre nach seinem Tod in neoliberaler Entfesselung (radikaler wirtschaftlicher Deregulierung) und einer immer höheren Konzentration von Macht (Geld, Ressourcen) in den Händen Weniger bis heute zu nie gekannten Höhen aufgeschwungen hat:
Der technologisch induzierte Prozess des ausschliesslich profitregulierten Wirtschaftswachstums (Massenproduktion und ‑konsum) erzeuge zwangsläufig dauerhafte wirtschaftliche und soziale Unsicherheit, die Unternehmen wie Arbeitnehmer dazu zwingt, Hilfe beim Staat zu suchen. Für den Normalbürger führe das Szenario zu einem progressiven Verlust bürgerlicher Freiheiten, persönlicher Unabhängigkeit und Möglichkeiten der wirtschaftlichen wie sozialen Selbstorganisation.
Nicht allein in dieser Hinsicht liest sich der Text knapp achtzig Jahren nach seinem Entstehen, als wäre er erst gestern verfasst worden, meinen die Autoren Rasch und Wagner zurecht.
Deshalb bleiben wir in der kommenden Folge bei diesem Essay Huxleys, und dies wie immer am kommenden Samstag, den 23. März
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