“Ein Sanary am Pazifik” betiteln die Autoren Uwe Rasch und Gerhard Wagner in ihrem Buch das Kapitel über die Zeit, als Aldous und Maria Huxley sich der Wohngegend Pacific Palisades im Santa Monica Canyon bei Los Angeles niederliessen. Sanary an der Côte d’Azur war ein Treffpunkt für den grossen Bekanntenkreis der Huxleys gewesen, und ihr neues Heim entwickelte sich in die gleiche Richtung, obwohl Huxley noch kurz vor seinem 45. Geburtstag seinem Bruder geschrieben hatte: “Wir leben sehr zurückgezogen, sehen nur wenige Leute”.
Der darauf folgende Trubel sollte seine Worte Lügen strafen: Charlie Chaplin tauchte mit einer Riesengeburtstagstorte und zwölf Flaschen Sekt zum Lunch auf … Die Hubbles und die Chaplins läuteten die Überraschungsparty zu Aldous’ 45. Geburtstag ein, — Orson Welles, Christopher Isherwood und weitere Grössen aus dem Filmbusiness folgten. Partys und Picknicks schlossen sich in rascher Folge an.
Die Schriftstellerin und Drehbuchautorin Anita Loos (“Blondinen bevorzugt”) schilderte in ihrer Autobiographie ein solches Picknick — mit unterwartetem Ende.
Krishnamurtis indische Theosophen-Entourage war in elegante Saris gekleidet, der Rest trug leger-sportliche Outfits. Der alles überragende Aldous wirkte mal wieder wie der Riese aus einer Zirkusshow, Loos und Maria waren wie die Zwerge, Chaplin, Bertrand Russell und Isherwood wie freche Kobolde. Greta Garbo versuchte, sich mit Männerklamotten und Schlapphut unkenntlich zu machen. Paulette Goddard trug mexikanische Tracht. Nur Matthew (der Sohn der Huxleys) sah aus wie ein normaler Teenager.
Als alle begannen, ihre jeweils spezielle Diät zuzubereiten — die Inder hatten Unmengen an Töpfen dabei, Paulette wie immer Champagner und Kaviar, Greta war auf Karottendiät -, hörten sie plötzlich eine harsche Stimme: “Was zum Teufel ist hier los?” Vor ihnen stand ein Sheriff mit gezückter Waffe. Offenbar hatte die lustige Gesellschaft ein “Betreten verboten”-Schild übersehen.
Nach dem ersten Schock dachte Aldous, den Gesetzeshüter mit dem Starbonus beeindrucken zu können, und wies auf die Anwesenheit von Garbo, Chaplin und Goddard hin. Der Polizist kniff seine Augen zusammen, warf einen kurzen Blick auf den bunten Haufen und sagte: “Ach ja? Also, ich habe jeden Film von denen gesehen und entdecke keinen davon in dieser Truppe. Also, wenn ihr Penner hier nicht sofort verschwindet, buchte ich euch ein.” Woraufhin die Picknickgesellschaft schnell ihre Sachen zusammenraffte und sich schuldbewusst davonstahl.
Zurück im Huxley-Garten malte man sich die Schlagzeilen aus, denen man gerade entgangen war: “Massenfestnahme in Hollywood: Greta Garbo, Paulette Goddard, Charlie Chaplin, Aldous Huxley, Lord Bertrand Russell, Krishnamurti und Christopher Isherwood in Untersuchungshaft.”
Aber auch die aus dem nationalsozialistischen Deutschland emigrierte Exil-Kommune gab sich mit Vicki Baum, Max Reinhardt, Ludwig Marcuse, Hanns Eisler, Bertolt Brecht, Helene Weigel, Arnold Schönberg, Lion Feuchtwanger und Theodor W. Adorno im kalifornischen “Sanary” regelmässig ein Stelldichein. Thomas Mann und seine Frau wohnten direkt gegenüber.
Irgendwann wurde es der müden und überarbeiteten Maria zuviel, und als die Ärzte bei ihr eine beginnende Tuberkulose diagnostizierten, beschlossen die Huxleys, vom Party-Leben Abstand zu nehmen und in die Einsamkeit der Mojave-Wüste zu ziehen, wo die trockene Luft sich für Maria als heilsam erweisen könnte.
Dazu mehr in der nächsten Folge am kommenden Samstag, den 9. März
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