Dass For­bes von einem eige­nen “guten, roten Weg” spricht, und nicht etwa von einem bestimm­ten Glau­ben, ist eine ent­schei­den­de Ein­sicht: Es geht um einen Weg der inne­ren Ent­wick­lung, die nicht von äus­ser­li­chen Glau­bens­be­kennt­nis­sen abhän­gig ist. For­bes wür­de etwa sagen: Wo ist z.B. der Nut­zen für das täg­li­che Leben eines Chris­ten, das Apos­to­li­sche Glau­bens­be­kennt­nis her­un­ter­zu­be­ten, das mit die­sen Wor­ten schliesst?:
.… Ich glau­be an den Hei­li­gen Geist,
die hei­li­ge katho­li­sche Kirche,
Gemein­schaft der Heiligen,
Ver­ge­bung der Sünden,
Auf­er­ste­hung der Toten
und das ewi­ge Leben. Amen.

Einen Weg muss man sel­ber gehen, — und hier kann sich For­bes eine wei­te­re Kri­tik an christ­li­chen Kir­chen — von der alt­ehr­wür­di­gen katho­li­schen bis zu evan­ge­li­ka­len — nicht verkneifen:
Die eigent­li­che Prü­fung eines spi­ri­tu­el­len Weges ist nicht, wie­vie­le Monu­men­te erbaut wur­den oder wie­vie­le Bekehr­te zu ver­zeich­nen sind oder wie­vie­le Gebe­te wie­der und wie­der mit nach­ah­men­den Stim­men gespro­chen wer­den, son­dern sie ist viel­mehr: Wie ver­hal­ten sich Men­schen, die die­sem Weg fol­gen? Wie ver­hal­ten sie sich gegen­über der Erde? Wie ver­hal­ten sie sich ande­ren Lebe­we­sen gegen­über? Tun sie Böses? Sind sie freie Män­ner und Frau­en, die sich dem Bösen wider­set­zen? Oder sind sie ein pas­si­ves Fuss­volk, das dar­auf trai­niert ist, sei­ne Gedan­ken und sein Herz sei­nem Her­ren unterzuordnen?
Aber wie schwie­rig dies ist!
Man ver­langt von uns: “Schrei, wenn du Jesus liebst!” Man ver­langt von uns, dass wir “wie­der­ge­bo­ren” wer­den, aber genau dort, wo die meis­ten Men­schen “wie­der­ge­bo­ren” wer­den (in Texas, Okla­ho­ma und den übri­gen Tei­len des “Bibel-Gür­tels”), tre­ten am häu­figs­ten Ras­sis­mus, Bigot­te­rie, Aus­beu­tung, kor­rup­te Poli­tik, Mili­ta­ris­mus und sich gegen­sei­tig über­bie­ten­der Mas­sen­kon­sum auf.
Aber du sollst den Baum an sei­nen Früch­ten erken­nen, und wegen ihrer Früch­te wer­den wir die Weti­ko-Welt an den Pran­ger stellen.

Um das zu ver­deut­li­chen, kommt For­bes auf die berühm­te Rede des Sene­ca-Chiefs Red Jacket zu sprechen.
Im Jah­re 1805 bat Rever­end Cram,  ein Mis­sio­nar der Bostoner Mis­si­ons­ge­sell­schaft Red Jacket um die Erlaub­nis, in den Iro­ke­sen-Sied­lun­gen im nörd­li­chen Staat New York mis­sio­nie­ren zu dür­fen. Auf sei­ne Bit­te nahm Red Jacket nach Rück­spra­che mit den indi­ge­nen Zuhö­rern auf ein­drück­li­che Wei­se Stel­lung. Es lohnt sich, sei­ne Rede — wenigs­tens in Aus­zü­gen — auf uns wir­ken zu lassen:

... Wir haben auf­merk­sam zuge­hört, was du gesagt hast. Du hast uns gebe­ten, unse­re Mei­nung frei zu äus­sern. Das macht uns gros­se Freu­de, denn wir den­ken, dass wir jetzt auf­recht vor dir ste­hen und sagen kön­nen, was wir den­ken. Alle haben dei­ne Stim­me gehört, und alle spre­chen zu dir wie ein Mann; wir sind uns einig.

Bru­der, du sagst, du willst eine Ant­wort auf dei­ne Bit­te, bevor du die­sen Ort ver­lässt. Es ist gerecht, dass du sie bekom­men sollst, denn du bist weit weg von zu Hau­se, und wir wol­len dich nicht auf­hal­ten. Aber wir wer­den zuerst ein wenig zurück­bli­cken und dir erzäh­len, was unse­re Väter uns erzählt haben und was wir von den Weis­sen gehört haben.

Bru­der, hör zu, was wir sagen. Es gab eine Zeit, in der unse­re Vor­vä­ter die­se gros­se Insel besas­sen. Ihr Sitz reich­te vom Auf­gang bis zum Unter­gang der Son­ne. Der Gros­se Geist hat­te sie für die Nut­zung durch India­ner gemacht. … All dies hat­te er für sei­ne roten Kin­der getan, weil er sie liebte. …

Aber ein böser Tag kam über uns. Eure Vor­vä­ter über­quer­ten die gros­sen Gewäs­ser und lan­de­ten auf die­ser Insel. Ihre Zahl war gering; sie fan­den Freun­de und kei­ne Fein­de; sie erzähl­ten uns, dass sie aus Furcht vor bösen Men­schen in ihrem eige­nen Land geflo­hen und hier­her gekom­men waren, um ihre Reli­gi­on aus­zu­üben. (Red Jacket bezieht sich hier natür­lich auf die Puri­ta­ner, die aus reli­giö­sen Grün­den aus Eng­land geflo­hen waren und an der Ost­küs­te ers­te Sied­lun­gen errich­tet hatten).

Wir hat­ten Mit­leid mit ihnen, gewähr­ten ihre Bit­te, und sie setz­ten sich zu uns. Wir gaben ihnen Getrei­de und Fleisch (tat­säch­lich hät­ten die ers­ten Sied­ler ohne india­ni­sche Hil­fe nicht über­lebt), — sie gaben uns im Gegen­zug Gift (Alko­hol. Red Jacket sel­ber hat­te immer wie­der mit Alko­ho­lis­mus zu kämp­fen). Die Weis­sen hat­ten nun unser Land gefun­den; die Nach­richt wur­de zurück­ge­bracht. Doch wir fürch­te­ten sie nicht, son­dern betrach­te­ten sie als Freun­de. Sie nann­ten uns Brü­der. Wir glaub­ten ihnen und räum­ten ihnen einen grös­se­ren Platz ein. Mit der Zeit hat­te ihre Zahl stark zuge­nom­men. Sie woll­ten mehr Land; sie woll­ten unser Land. Unse­re Augen wur­den geöff­net, und unser Ver­stand wur­de unru­hig. Krie­ge fan­den statt; India­ner wur­den ange­heu­ert, um gegen India­ner zu kämp­fen, und vie­le unse­rer Leu­te star­ben. Sie brach­ten auch star­ken Schnaps zu uns; er war stark und mäch­tig und hat Tau­sen­de getötet.

Bru­der, unser Land war einst gross, und eures war sehr klein. Ihr seid jetzt ein gros­ses Volk gewor­den, und wir haben kaum noch Platz, um unse­re Decken aus­zu­brei­ten. Ihr habt unser Land bekom­men, aber ihr seid nicht zufrie­den: Ihr wollt uns eure Reli­gi­on aufzwingen.

Bru­der, hör zu. Du sagst, du bist gesandt, um uns zu leh­ren, wie wir den Gros­sen Geist in sei­nem Sin­ne ver­eh­ren sol­len, und wenn wir die Reli­gi­on nicht anneh­men, die ihr Weis­sen lehrt, wer­den wir in Zukunft unglück­lich sein. Ihr sagt, dass ihr recht habt und wir ver­lo­ren sind. Woher sol­len wir wis­sen, dass dies wahr ist?

Wir wis­sen, dass eure Reli­gi­on in einem Buch nie­der­ge­schrie­ben ist. Wenn sie sowohl für uns als auch für euch gedacht war: War­um hat der Gros­se Geist sie uns nicht gege­ben, und nicht nur uns, son­dern auch unse­ren Vor­fah­ren? War­um hat er unse­ren Vor­fah­ren nicht das Wis­sen um die­ses Buch gege­ben, mit den Mit­teln, es rich­tig zu ver­ste­hen? Wir wis­sen nur, was du uns dar­über erzählst. Wie sol­len wir wis­sen, wann wir glau­ben sol­len, da wir so oft von den Weis­sen getäuscht werden?

Bru­der, du sagst, es gibt nur einen Weg, den Gros­sen Geist zu ver­eh­ren und ihm zu die­nen. Wenn es aber nur eine Reli­gi­on gibt, war­um seid ihr Weis­sen dann so uneins dar­über? War­um sind sich nicht alle einig, da ihr alle das Buch lesen könnt? (Anspie­lung auf die vie­len Kir­chen, die Mis­sio­nie­rung betrie­ben: Katho­li­ken, Cal­vi­nis­ten, Luthe­ra­ner, Angli­ka­ner, Bap­tis­ten, Epi­sko­pa­le Mis­si­on, Metho­dis­ten, Men­no­ni­ten, Pres­by­te­ria­ner, usw. usw.)

Bru­der, wir ver­ste­hen die­se Din­ge nicht. Uns wird gesagt, dass eure Reli­gi­on euren Vor­vä­tern gege­ben und vom Vater an den Sohn wei­ter­ge­ge­ben wur­de. Auch wir haben eine Reli­gi­on, die unse­ren Vor­vä­tern gege­ben wur­de und die an uns, ihre Kin­der, wei­ter­ge­ge­ben wur­de. … Sie lehrt uns, für alle Wohl­ta­ten, die wir erhal­ten, dank­bar zu sein, ein­an­der zu lie­ben und zusam­men­zu­hal­ten. Wir strei­ten nie über Religion.

Bru­der, der Gros­se Geist hat uns alle erschaf­fen, aber er hat einen gros­sen Unter­schied zwi­schen sei­nen weis­sen und roten Kin­dern gemacht. Er hat uns eine ande­re Haut­far­be und ande­re Sit­ten gege­ben. Er hat euch viel Wis­sen gege­ben. Er hat uns die Augen dafür nicht geöff­net. … Wenn er auch in ande­ren Din­gen einen so gros­sen Unter­schied zwi­schen uns gemacht hat, war­um sol­len wir dar­aus nicht schlies­sen, dass er uns auch eine ande­re Reli­gi­on gege­ben hat, je nach unse­rem Ver­ständ­nis? Der Gros­se Geist tut recht; er weiss, was das Bes­te für sei­ne Kin­der ist. Wir sind zufrieden.

Bru­der, wir wol­len eure Reli­gi­on nicht zer­stö­ren oder sie euch weg­neh­men. Wir wol­len nur unse­re eige­ne genies­sen. …Wir haben gehört, dass du den Weis­sen in die­sem Ort gepre­digt hast. Die­se Leu­te sind unse­re Nach­barn; wir sind mit ihnen ver­traut. Wir wer­den eine Wei­le war­ten und sehen, wel­che Wir­kung eure Pre­digt auf sie hat. Wenn wir fest­stel­len, dass es ihnen gut tut, dass sie ehr­lich sind und weni­ger geneigt, uns India­ner zu betrü­gen, dann wer­den wir noch ein­mal dar­über nach­den­ken, was du uns gesagt hast.

Bru­der, du hast nun unse­re Ant­wort auf dei­ne Rede gehört, und das ist alles, was wir im Moment zu sagen haben. Da wir uns nun tren­nen, wol­len wir dich bei der Hand neh­men und hof­fen, dass der Gros­se Geist dich auf dei­ner Rei­se beschüt­zen und sicher zu dei­nen Freun­den zurück­brin­gen möge.

Rever­end Cram ver­wei­ger­te beim Abschied Red Jacket den Hand­schlag mit der Dro­hung, dass kei­ne Gemein­schaft zwi­schen der Reli­gi­on Got­tes und den Wer­ken des Teu­fels bestehen könne.

Wir blei­ben in der nächs­ten Fol­ge bei der Fra­ge, wor­in For­bes den Unter­schied zwi­schen “Weg” und “Glau­ben” sieht, — und dies wie immer in der nächs­ten Fol­ge am kom­men­den Don­ners­tag, den 29. Juni.

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